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Feuchtgebiete: Das verlorene Land der Giganten

Im Westen Amazoniens existierte einst ein enormer Sumpf voller riesiger Tiere. Langsam entschlüsseln Wissenschaftler seine Geheimnisse.
Ein heutiger Kaiman aus dem Pantanal

Heute ist das Pantanal im Dreiländereck zwischen Brasilien, Bolivien und Paraguay das größte Feuchtgebiet der Erde: Es ist ungefähr so groß wie Westdeutschland und das tierreichste Ökosystem Südamerikas. Verglichen mit dem Pebas-Sumpf ist aber selbst das Pantanal nur ein kleiner Tümpel. Dieses Megafeuchtgebiet erstreckte sich im Miozän vor 15 Millionen Jahren über den gesamten westlichen Amazonasraum von Bolivien bis hinauf nach Venezuela – und es bildete die Heimat einer bis heute kaum erforschten Megafauna mit zehn Meter langen Kaimanen, büffelgroßen Nagetieren und Schildkröten, deren Panzer einen Durchmesser von 3,5 Metern aufwiesen. Erst nach und nach finden Wissenschaftler wie Marcos Bissaro-Júnior von der Universidade de São Paulo und Kollegen heraus, wie sich dieser Supersumpf entwickelte und warum er schließlich zusammen mit seinem Artenreichtum wieder verschwand. Ihre neuesten Ergebnisse veröffentlichten sie in »Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology«.

Die Entstehung des Pebas-Feuchtgebiets ist eng mit der Geschichte der Anden und des Amazonas verknüpft. Ursprünglich floss der wasserreichste Strom der Erde in umgekehrter Richtung im Vergleich zu heute. Er entsprang einst im Gebiet des heutigen afrikanischen Kontinents, als dieser noch in Gondwana mit Südamerika verbunden war, und behielt die von Ost nach West ausgerichtete Fließrichtung auch bei, als sich beide Landmassen voneinander trennten. Die Quellen lagen nach der Aufspaltung wahrscheinlich im Hochland von Guayana, und entwässert wurde im Pazifik. Als sich die Anden vor etwa 45 bis 50 Millionen Jahren aufzufalten begannen, wurde dieser Weg zunehmend erschwert und schließlich blockiert: Der Amazonas staute sich an jener Barriere und füllte schließlich das Vorland im westlichen Amazonasbecken, so dass der Pebas-Sumpf entstand. Ein Teil des Wassers floss zudem nach Norden ab und strömte in die heutige Karibik. Gleichzeitig sorgten das Gewicht der Wassermassen und die Hebung der Anden dafür, dass die Region auch absank – was dem Meer erlaubte, zweimal weit landeinwärts vorzudringen. Der Süßwassersumpf wurde durch eine Lagune mit anderer Tierwelt abgelöst: Sie könnte erklären, warum heute noch Rochen und weitere ursprünglich ozeanische Fischarten im peruanischen Amazonasabschnitt schwimmen.

Während der Süßwasserphasen dominierten hingegen ganz andere Arten. Eine erst vor wenigen Jahren entdeckte Fossilienlagerstätte etwa offenbarte eine reichhaltige Krokodilfauna. Mindestens sieben verschiedene Krokodilarten lebten hier vor 13 Millionen Jahren ziemlich einträchtig nebeneinander und nutzten unterschiedliche ökologische Nischen. So kamen sie sich nicht in die Quere. Heute existieren im gesamten Amazonasbecken nur noch sechs bekannte Spezies, von denen sich niemals mehr als drei gleichzeitig am selben Ort tummeln – die Konkurrenz um Nahrung ist offensichtlich viel größer. An ihrer Spitze stand die Art Purussaurus brasiliensis, die bis zu zwölf Meter lang und acht Tonnen schwer werden konnte. Sie brachte es beim Zubeißen auf einen Druck, der einer Kraft von 11,5 Tonnen pro Zahn entsprach; selbst die kräftigen Kiefer von T. rex erreichten nur sechs Tonnen pro Zahn.

Ernährt hat sich dieser Riese, der schätzungsweise 40 Kilogramm Fleisch pro Tag benötigt haben könnte, unter anderem von Nagetieren, die ihre heute noch lebende Verwandtschaft in Südamerika in den Schatten stellten. Die Art Neoepiblema acreensis etwa erreichte ein Gewicht von 120 Kilogramm, was sie nochmal um ein Drittel schwerer machte als die Capybaras, die immer noch die Gewässer des Kontinents besiedeln und die größten lebenden Nagetiere der Erde sind. Auch Riesenfaultiere und ausgestorbene Huftiere aus der Gruppe der Litopterna wurden schon als Fossilien in der Region gefunden.

Den ökologischen Höhepunkt erreichte der Sumpf nach den Daten von Bissaro-Júnior und Co vor 20 Millionen Jahren, und seine Zeit endete vor 8,5 Millionen Jahren. Die Anden wuchsen weiter in die Höhe, gleichzeitig verstärkte sich ihre Erosion. Das Becken im östlichen Vorland füllte sich langsam auf. Am Ende war schließlich so viel Material aufgeschüttet worden, dass sich das Gefälle zwischen Anden und Atlantik umkehrte und der Amazonas seinen Lauf änderte: Er strömte fortan nach Osten zum Atlantik. Dies zeige sich auch in der allmählichen Zunahme an Flusssedimenten im Ozean, die sich seit 10 Millionen Jahren mit steigender Tendenz auftürmten. Zumindest ein kleiner Teil des Sumpfes überdauerte allerdings noch mindestens im Gebiet des heutigen brasilianischen Bundesstaats Acre, wo Arten wie Purussaurus bis vor sieben Millionen Jahren überlebten. Dann war dieses Feuchtgebiet endgültig Geschichte – und mit ihm die letzten Reste der miozänen Megafauna.

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