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Gesichtsrekonstruktion: Das wahre Antlitz der Kindermumie

Auf einigen ägyptischen Mumien prangen Porträts der Toten. Doch zeigen sie wirklich die Verstorbenen? Und wann entstand das Bildnis? Noch zu Lebzeiten? Forscher folgen nun per CT einer Spur.

Im alten Ägypten war Mumie nicht gleich Mumie: Um die Zeitenwende etwa, in griechisch-römischer Zeit, wickelten die ägyptischen Einbalsamierer ein Porträtbild in die Stoffbahnen ein. Forscher gehen davon aus, dass diese Bildnisse tatsächlich das einstige Gesicht des mumifizierten Menschen wiedergeben. Das lässt jedoch eine Frage offen: Zu welchem Zeitpunkt waren die Bilder gefertigt worden? Stand man noch zu Lebzeiten Modell? Was, wenn jemand unerwartet starb? Antworten auf solche Fragen haben nun Pathologen und Radiologen um Andreas Nerlich von der München Klinik Bogenhauen gefunden. Sie rekonstruierten anhand von Computertomografieaufnahmen das Aussehen eines mumifizierten Kindes. Wie sie im Fachblatt »PlOS ONE« schreiben, war sein Porträt offenbar nach dessen Tod entstanden.

In griechisch-römischer Zeit, welche Historiker von 332 v. Chr. bis ungefähr 400 n. Chr. ansetzen, war es vor allem im Norden Ägyptens Sitte, ein auf Holz gemaltes Bildnis des Verstorbenen auf dem Mumienkopf zu platzieren. Archäologen haben zahlreiche Bilder dieser Art entdeckt, die alle verschiedene Menschen zeigen. Vermutlich sind also tatsächlich diejenigen dargestellt, deren Überreste unter den Leinenbinden schlummern. Forscher konnten diese Annahme durch Gesichtsrekonstruktionen von einigen wenigen Mumien bestätigen, aber über die Frage, ob die Bilder zu Lebzeiten oder posthum geschaffen wurden, herrscht noch keine Einigkeit.

Die Kindermumie | In einem Kassettenmuster wurden die Leinenbinden um die Mumie des Kindes gewickelt. Vergoldete Knöpfe zieren den Körper. Der Maler fertigte das Porträt mit heißem, gefärbtem Wachs an, mit der so genannten Enkaustiktechnik.

Angesichts der Detailfreude in vielen Bildnissen würde es naheliegen, dass die Menschen lebten, als sie ein Maler porträtierte. Das würde auch eine Erklärung dafür liefern, dass einige Gemälde zurechtgeschnitten wurden, um zwischen die Mumienbinden zu passen. Derjenige, der die Bildnisse fertigte, kannte offenbar noch nicht die Maße der Mumie. Aber eine Sache lässt sich mit dieser These nicht so recht in Einklang bringen: Die Porträts zeigen Menschen verschiedener Altersstufen. Das würde bedeuten, dass man auch von Kindern Mumienbildnisse machen ließ, die dann aber alle paar Jahre erneuert werden mussten – für den Fall, dass die Kinder plötzlich sterben. Das erscheint wenig wahrscheinlich. Auch wäre zu erwarten, dass es Belege für diese Praxis gibt. Bislang kennen Historiker jedoch keine derartigen Zeugnisse.

Wenn altägyptische Kinder nicht immer wieder Modell standen für ihr Mumienporträt, dann lassen sich zwei Vermutungen dazu anstellen: Entweder die Bildnisse von Kindermumien zeigen keine große Ähnlichkeit mit den Toten – die Maler hatten die verstorbenen Kinder ja vielleicht nicht zu Gesicht bekommen. Oder: Die Porträts entstanden erst nach dem Tod.

Ein kleiner Junge, der an einer Lungenentzündung starb

Bisher haben Forscher vor allem die Gesichter von mumifizierten Erwachsenen rekonstruiert. Um der Sache auf den Grund zu gehen, hat nun eine Münchener Forschergruppe das Konterfei einer Kindermumie wiederhergestellt, die im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst in München aufbewahrt wird. Dazu legten die Wissenschaftler die Mumie in einen Computertomografen. Sie erhielten so einen dreidimensionalen Scan des einbalsamierten Körpers. Aus den Daten, genauer von den Zähnen, Knochen und dem verbliebenen Gewebe, haben die Mediziner verschiedene Erkenntnisse gewonnen. Die Anatomie des Kindes deute auf ein ungefähres Sterbealter von drei bis vier Jahren hin. Vermutlich war das Kind an einer Lungenentzündung gestorben. Und: Es war eindeutig männlich. In einem nächsten Schritt bearbeitete ein 3-D-Spezialist die Daten und schuf eine digitale Rekonstruktion des Gesichts.

Dabei lag dem Experten das Mumienbildnis für seine Arbeit nicht vor. Das Gemälde hätte sonst das Ergebnis beeinflusst. Aus der Gestalt des Schädels lässt sich die Gesichtsform erschließen, jedoch nicht die Haarfarbe, Frisur oder Augenfarbe. Normalerweise wählen Experten diese Variablen selbst oder folgen den Ergebnissen einer Genanalyse. In diesem Fall leisteten die Forscher ein wenig Hilfestellung. Als die Rekonstruktion nahezu fertig war, baten sie den Spezialisten, braune Augen und braune Locken hinzuzufügen, die über der Stirn in Zöpfen geflochten sind. Also entsprechend der Darstellung auf dem Mumienporträt. Das sollte es leichter machen, die Gesichter vergleichen zu können.

Das rekonstruierte Gesichte | ... und das Original rechts. Auf der Gundlage von CT-Daten bauten die Forscher die Physiognomie des mumifizierten Jungen auf (links). Frisur, Haar- und Augenfarbe beruhen auf seinem antiken Porträt.

Das Ergebnis: eine frappante Ähnlichkeit. Nach Ansicht der Forscher zeige das Porträt sehr wahrscheinlich das Gesicht des mumifizierten Jungen. Der einzige Unterschied sei, dass das Kind im Bild älter wirke als sein rekonstruiertes Konterfei. Das ließ sich auch biometrisch beziffern: Der Abstand der Nasenflügel und auch die Breite des Mundes differieren. Womöglich entsteht daher der Eindruck, das Kind im Gemälde sei etwas älter. Das Wissenschaftlerteam vermutet, dass die Differenzen stilistische Gründe haben, also mit den künstlerischen Konventionen der griechisch-römischen Zeit zusammenhängen.

Dennoch sehen sich die beiden Gesichter derart ähnlich, dass davon auszugehen sei, dass ein Mumienporträt tatsächlich den verstorbenen Menschen darstellt. Das würde auch bedeuten: Es wurden sehr wahrscheinlich die Toten porträtiert, vielleicht mit Hilfe einer groben Skizze. Jedenfalls liegt es bei dem Jungen nahe anzunehmen, dass von ihm kein altersgleiches Porträt zu Lebzeiten vorlag, für den Fall seines Ablebens. Sondern ein Maler hatte den Jungen gemalt, kurz bevor dieser einbalsamiert wurde.

Eva Amsen via The Story Market; first published in Forbes.

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