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News: Das Wassermolekül - immer noch für Überraschungen gut

Linus Pauling hat es schon vor sechzig Jahren geahnt: Die Wasserstoffbrückenbindung, die für die gesamte Biosphäre eine überragende Bedeutung hat, besitzt einen kovalenten Anteil. Eine internationale Forschergruppe konnte in Grenoble experimentell nachweisen, daß die Wasserstoffbrückenbindung zwischen Wassermolekülen zu etwa zehn Prozent kovalent ist.
Eigentlich schien beim H2O alles klar und einfach: Innerhalb der Moleküle, zwischen Wasserstoff und Sauerstoff, herrscht die kovalente oder Atombindung. Dabei befinden sich die Elektronen in Zuständen (Molekülorbitalen), die keinem der beiden Atome allein zuzuordnen sind. Das heißt, die Atome "teilen" sich die Elektronen. Zwischen den Molekülen hingegen treten sogenannte Wasserstoffbrückenbindungen auf, die auf der Anziehung zwischen dem Wasserstoffkern eines Wassermoleküls und dem Sauerstoffatom eines anderen beruhen. Im Vergleich zur Atombindung ist die Wasserstoffbrückenbindung ziemlich schwach.

Jetzt wird dieses einfache Bild zerstört: Eine Gruppe von US-amerikanischen, französischen und kanadischen Forschern hat an der European Synchrotron Radiation Facility in Grenoble experimentell gezeigt, daß es zwischen den Molekülorbitalen der sigma-Bindungen innerhalb der Moleküle und den Wasserstoffbrückenbindungen zu Überlappungen kommt. Das heißt, die Wasserstoffbrückenbindung ist auch ein bißchen Atombindung oder besitzt, anders ausgedrückt, einen "kovalenten Anteil". Nach Angaben der Forscher beträgt er etwa zehn Prozent (Physical Review Letters vom 18. Januar 1999).

Für die Untersuchungen benutzten die Wissenschaftler kein flüssiges Wasser, sondern Eis, da dort die Bindungen in bestimmte Richtungen des Raumes ausgerichtet sind. Dieses Eis wurde mittels Compton-Streuung untersucht. Man beschießt dabei die Probe mit intensiver Röntgenstrahlung, die an den Elektronen der Probe gestreut werden. Unter geeigneten Voraussetzungen läßt sich aus den Eigenschaften der gestreuten Strahlung der Zustand der Elektronen, das heißt die Art ihrer Orbitale, berechnen.

Wasserstoffbrückenbindungen spielen für das Leben auf der Erde eine große Rolle. Ohne sie würde Eis nicht auf dem Wasser schwimmen, könnten die Weltmeere nicht die Wärmemengen speichern, die für ein ausgeglichenes Klima nötig sind, ja selbst unsere Erbsubstanz DNA würde ihre hochgeordnete Struktur nicht behalten. Diese Bindungen treten nämlich nicht nur in Wasser, sondern auch in vielen komplexen Molekülen auf, aus denen wir Lebewesen gebaut sind. So könnten die neuen Erkenntnisse über die Natur der Wasserstoffbrückenbindung zahlreiche Wissenschaftszweige, von der Materialforschung bis zur Biologie, beeinflussen.

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