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Christentum: Wer war der historische Jesus?

7 Fragen, die an Weihnachten auf den Nägeln brennen: Welcher Komet zog bei Jesu Geburt vorüber? Wo kam er zur Welt? Und trug er tatsächlich einen Bart?
Jesus Christus beim Gebet – die Malerei ist ein Entwurf von Rembrandt aus der Zeit um 1650.
Jesus Christus beim Gebet – die Malerei ist ein Entwurf von Rembrandt aus der Zeit um 1650.

Jesus von Nazareth hat zweifellos tiefe Spuren in der Geschichte hinterlassen. Nicht nur eine ganze Weltreligion beruht auf seiner Person, sondern er und das Christentum haben bis heute einen großen Einfluss auf Kunst, Literatur, Musik, Philosophie – und das weltweit. Sogar die westliche Zeitrechnung basiert auf diesem Mann. Das Christentum formte aus ihm einen Heiland, einen Gottessohn, einen Propheten. Doch wer war er zu Lebzeiten? Was ist über den historischen Jesus bekannt, der vor rund 2000 Jahren in der Levante zur Welt kam und dessen Geburt – jedenfalls rein nominell – zirka 2,5 Milliarden Menschen jedes Jahr zur Weihnachtszeit feiern?

Die knappe Antwort lautet: Die Sache ist vertrackt.

Wer den historischen Jesus finden will, steht zunächst vor mehr Fragen als Antworten. Es gilt eine fast zwei Jahrtausende währende Überlieferung aufzudröseln. Die christlichen Schriften, das sind vor allem die vier kanonischen Evangelien im Neuen Testament sowie weitere nicht in die Bibel eingegliederte Texte, entstanden allesamt nach dem Tod von Jesus – die Evangelien im Abstand einiger Jahrzehnte ungefähr zwischen 70 und 110 n. Chr. Und keine dieser Quellen sollte eine nüchterne Biografie liefern, sondern das Leben eines Messias und Endzeitpropheten auch im Sinn der Religion beschreiben.

Fachleute versuchen daher, die Teile in der Jesus-Überlieferung ausfindig zu machen, die zu seinen Lebzeiten zu Beginn des 1. Jahrhunderts entstanden und nicht theologisch überformt sind. Solche Forschungserkenntnisse bringen einen zwar näher an den »wahren« Jesus, doch wie in Geschichte und Archäologie üblich handelt es sich auch bei ihnen lediglich um Rekonstruktionen und Interpretationen, die das Wahrscheinlichste abbilden, aber nie vollkommene Tatsachen darstellen können – und es auch nicht sollen.

Die Probleme, dem historischen Jesus habhaft zu werden, wurzeln ein Stück weit in den Umständen der antiken Welt. Es gab zwar Unmengen an Büchern und Inschriften, aber sie stammten meist von der Elite, waren für sie gedacht oder befassten sich mehrheitlich mit ihr. Kaiser, Könige, Philosophen – zu seinen Lebzeiten zählte Jesus nicht zu jener illustren Runde, jedenfalls in den Augen der schreibenden Kulturen. Zudem hat von allem, was je im antiken Mittelmeergebiet schriftlich verfasst wurde, nur ein Bruchteil die Zeiten überdauert. Die Chancen, Notizen von und über Jesu aus seiner Zeit zu finden, stehen also relativ schlecht.

Ziemlich sicher ist auch: Was Jesus predigte, protokollierte niemand. Die Menschen tauschten sich mehrheitlich mündlich aus. Und als Jesus lebte, sah vermutlich niemand einen Grund, die Anfänge einer neuen Religion zu dokumentieren – es gab sie ja noch nicht. Nicht Jesus hob sie aus der Taufe, sondern seine direkten Nachfolger. Sie schufen das Christentum aus seinem geistigen Nachlass, allen voran der Apostel Paulus, der im 1. Jahrhundert in Kleinasien und Griechenland unterwegs war, dort neue Gemeinden gründete und die Christus-Lehre verbreitete.

Jesus selbst war Jude und offenbar überzeugt davon, seine Religion sitze in einer tiefen Krise. Ein Auslöser war die Fremdherrschaft der Römer in Judäa, das samt Jerusalem 6 n. Chr. zur römischen Provinz ernannt wurde. Zuvor schon hatten die Römer jahrzehntelang die Region im Griff: Ein Königsgeschlecht, dem auch Herodes der Große (73–4 v. Chr.) angehörte, regierte dort im Namen der Mittelmeermacht. Die Heimat Jesu, Galiläa, war zu dessen Lebzeiten ebenfalls unter der Kontrolle Roms, ein römischer Günstling herrschte über die Gegend. Die Folge von alldem: Die Regionen veränderten sich, die römisch-hellenistische Kultur und Herrschaft hielten Einzug. Die jüdische Bevölkerung geriet dadurch in eine Identitätskrise, Aufstände und Unruhen brachen sich immer wieder Bahn.

Diese Spannungsphase wurde von den Juden »als eine Krise des Gottesverhältnisses erfahren«, schrieb der Neutestamentler Jürgen Roloff (1930–2004), der an der Universität Erlangen-Nürnberg lehrte, in einer Abhandlung über Jesus. Die Menschen fragten sich, was Gott vorhabe – und wie und wann das Schicksal des Volkes Israels ein gutes Ende nehmen würde. Das rief religiöse Deuter auf den Plan. »Hoffnungen auf die Auferstehung der Toten und die endzeitliche Neuschöpfung gewannen in weiten Kreisen an Boden«, erklärt Roloff. Allerdings in unterschiedlichen Ausformungen, von denen Jesus eine war, der als »endzeitlicher Heilsbringer« das Kommen der Königsherrschaft Gottes mit seinem Wirken verknüpfte. Viele Menschen glaubten fest, dass die Herrschaft Gottes auf Erden auch das Ende der römischen Herrschaft zur Folge haben musste, so der Bibelforscher James Crossley von der Osloer MF Norwegian School of Theology, Religion and Society im »Jesus Handbuch« aus dem Jahr 2017.

Als dann einige Jahrzehnte nach Jesu Tod die neue Religion konkrete Gestalt annahm, begannen deren Anhänger in Evangelien zu sichern, was über Jesus bekannt war. Für einige Fachleute ist damit klar: Den »wahren« Religionsstifter Jesus kann man nicht finden, nur aus den Erinnerungen seiner Zeitgenossen und Nachfahren rekonstruieren. Doch egal auf welche Art von Suche Forschende ihm näherkommen wollen, »keine kann uns zurückführen zu dem Jesus von Nazareth aus Fleisch und Blut, der vor 2000 Jahren in Galiläa das Königreich Gottes verkündigte und nach seinem Kreuzestod zum Ausgangspunkt einer Bewegung wurde, aus der das Christentum hervorging«, erklärt Angelika Strotmann, katholische Theologin an der Universität Paderborn, in einem ihrer Bücher.

Strotmann zieht ein ernüchterndes Fazit, dämpft damit aber nur übertriebene Erwartungen. Wenn sich auf geschichtswissenschaftlichem Weg nicht doch die eine oder andere Erkenntnis gewinnen ließe, hätten sie und andere vermutlich keine Abhandlungen über den historischen oder erinnerten Jesus verfasst – und Antworten auf Fragen geliefert, die nicht nur zur Weichnachtszeit auf den Nägeln brennen: Welcher Komet zog bei Jesu Geburt vorüber? Wo kam er wirklich zur Welt? Und trug er tatsächlich einen Bart?

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Wo wurde Jesus geboren? Und war seine Mutter bei seiner Geburt noch Jungfrau?

Weihnachtskrippe | Im österreichischen Schladming war in einer Kapelle diese Krippe aufgebaut. Die Figuren stellen Maria, das Jesuskind, Ochs und Esel sowie Josef dar, die sich in einem Stall befinden. Darüber prangt ein Schweifstern.

Da standen sie: ein Ochs und ein Esel, dazwischen Maria und Josef mit ihrem Kind. In einem Stall in Bethlehem sei Jesus zur Welt gekommen, seine Mutter legte ihn in eine Futterkrippe. Dieses Motiv geben heute zigfach die Figuren in den Weihnachtskrippen wieder. Aber Moment! Jesus kam doch aus Nazareth? Wie konnte er da in Bethlehem zur Welt gekommen sein?

Bethlehem und Nazareth – die beiden Orte trennen zirka 150 Kilometer. Der eine lag in Judäa, der andere in Galiläa. Die Verwirrung entsteht, weil die Evangelien Jesu Geburtsort nicht einhellig überliefern. Über seine Geburt berichten am ausführlichsten Lukas und Matthäus. Bei Lukas erblickt Jesus in Bethlehem das Licht der Welt, allerdings kommen seine Eltern wegen der römischen Steuerschätzung von Nazareth in den Ort. Matthäus hingegen ist so zu verstehen, dass Maria und Josef bereits in Bethlehem leben. Sie fliehen nach Jesu Geburt von dort vor Herodes' Kindsmord nach Ägypten, kehren später zurück und lassen sich in Nazareth nieder. Das vermutlich älteste sowie das jüngste der vier Evangelien, das Markus- und das Johannes-Evangelium, hingegen lassen wenig Zweifel daran, dass Jesus in Nazareth aufwuchs und dort geboren wurde.

Dass der Messias aus Nazareth stammen sollte, war für einige frühe Christen offenbar problematisch. Es fiel ihnen schwer, »die Messianität Jesu mit der Herkunft aus einem solchen ›Kaff‹ zusammenzubringen (…), das in antiken jüdischen Quellen nirgends erwähnt wird«, erklärt Strotmann. Also bedienten sich Lukas und Matthäus eines theologisch geschickten Kniffs. Sie machten Jesus zu einem Heilsbringer, der Prophezeiungen aus dem Alten Testament erfüllt. Dafür war wichtig, dass er aus dem Geschlecht Davids abstammte. Und jener König David soll aus Bethlehem gekommen sein. Bei Lukas (2, 10-11) heißt es, als der Engel zu den Hirten kommt: »Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.«

Geschmückt und beleuchtet | Die Geburtskirche in Bethlehem gilt bei den Christen als Geburtsort von Jesus. Unter dem Bau, der auf das 5. Jahrhundert zurückgeht, soll sich die Geburtsgrotte befinden, wo Jesus angeblich zur Welt kam. Das Bild wurde im Dezember 2016 aufgenommen.

Die Geburt in Bethlehem »will vor allem als Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen verstanden werden«, schrieb Roloff. Dazu zählten auch die vaterlose Zeugung Jesu und die jungfräuliche Geburt. Konkret benennt es Matthäus (1, 21-23). Während Josef mit der Schwangerschaft Marias hadert, weil er ohne Zweifel nicht der Vater sein konnte, erscheint Josef im Traum ein Engel, der sagt: »Und sie (Maria) wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.« Dann spielt der Engel auf eine Weissagung an, die aus Jesaja (7, 14) im Alten Testament bekannt ist: »Das ist aber alles geschehen, auf dass erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: ›Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben‹«. In Jesus habe sich demnach nur erfüllt, was lange vorhergesagt war. Auch wenn das schon damals nicht ganz stimmte.

Im hebräischen Original des Alten Testaments – die Evangelien im Neuen Testament wurden auf Griechisch verfasst – ist an der Stelle in Jesaja gar keine Jungfrau genannt, sondern eine junge Frau. In der Übersetzung auf Griechisch schlich sich dann eine »parthenos« und auf Lateinisch eine »virgo« ein, wie das Forscherehepaar Simone und Claudia Paganini in seinem Buch »Von wegen Heilige Nacht« beschreibt. War die Jungfräulichkeit Marias nur ein Übersetzungsfehler? Offenbar. Doch die »Idee einer gebärenden Jungfrau« habe sich den Evangelisten gerade deshalb als passend angeboten, »weil (sie) durch (ihre) Spannung das Geheimnis von der Göttlichkeit Jesu zum Ausdruck bringt«, schreiben die Paganinis.

Jungfrau oder keine, wo war Jesus nun zur Welt gekommen? Strotmann – und mit ihr die meisten Fachleute – hält die Geburt von Jesus in Nazareth historisch am plausibelsten, gerade weil Nazareth so ein »Kaff« gewesen war. Eine solch schlichte Herkunft hätte man sich kaum ausdenken können.

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In welchem Jahr wurde Jesus geboren?

Jerusalem | Ein Blick auf die Klagemauer und den Felsendom auf dem Tempelberg. Die Klagemauer war einst Teil der Umfassung des zweiten jüdischen Tempels, den Herodes der Große umfassend neu gestalten ließ.

Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen: Im Jahr 1 kam Jesus zur Welt. Die westliche Zeitrechnung beruht doch auf seinem Geburtsdatum! Aber so einfach ist es leider nicht. Die Quellen geben nämlich kein eindeutiges Datum preis. Es gelingt einzig, sich einem ungefähren Geburtszeitraum anzunähern, wenn man diversen Hinweisen in den Evangelien folgt und sie als einigermaßen wahrheitsgetreu akzeptiert.

In den Evangelien werden nämlich Herrscher und Verwaltungsbeamte genannt, die auch durch andere Quellen als die Bibel belegt sind. Da wäre zunächst der römische Kaiser Augustus, der von 27 v. Chr. bis 14 n. Chr. regierte. Des Weiteren gibt es Herodes den Großen, den angeblichen Kindsmörder, dem Jesu Eltern durch ihre Flucht nach Ägypten entgehen – erst nach Herodes' Tod kehren sie nach Israel zurück. So überliefert es Matthäus. Herodes' grausame Jagd auf alle Kinder unter zwei Jahren ist allerdings nicht historisch belegt, überliefert ist er aber als brutaler Herrscher. Diese Erfahrung könnte bei Matthäus eingeflossen sein. Und Herodes' Lebensdaten sind einigermaßen gesichert: 73 bis 4 v. Chr.

Jesus muss demnach vor dem Sterbejahr des Herodes auf die Welt gekommen sein – folgt man Matthäus. Liest man das Lukas-Evangelium, sieht die Sache anders aus: Josef und die schwangere Maria kommen wegen der Steuerschätzung des Statthalters Quirinius nach Bethlehem. Jener trat sein Amt im Jahr 6 n. Chr. an. Einen Zensus hielt er 6/7 n. Chr. ab. Zu jener Zeit lebte aber Herodes schon nicht mehr.

Welche Überlieferung ist korrekt? Und ist es überhaupt vorstellbar, dass den Evangelisten jahrgenaue Lebensdaten jener Herrscher vorlagen? Oder hantierten sie mit ungefährem Wissen? Das könnte die widersprüchliche Überlieferung erklären. Simone und Claudia Paganini hegen noch eine andere Überlegung. Sie halten Herodes für die bedeutendere Figur, die Erinnerung an ihn liege deshalb womöglich weniger fehl – sie und viele andere Fachleute grenzen Jesu Geburt daher zwischen 8 und 4 v. Chr. ein. Aber selbst das sei laut Angelika Strotmann »angesichts des legendarischen, durch und durch theologischen Charakters der Kindheitserzählungen nicht sicher«. Das genaue Geburtsjahr Jesu lässt sich also nicht mehr feststellen.

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Welcher Komet zog zu Jesu Geburt vorüber?

»Divus Iulius« | Die römische Münze, die 19/18 v. Chr. geprägt wurde, zeigt auf einer Seite den Kometen Cäsars, das »sidus Iulium«. Neben der Abbildung steht »Divus Iulius« – gemeint ist die Gottheit, als die Julius Cäsar nach seinem Tod verehrt wurde.

Zu Beginn des Matthäus-Evangeliums heißt es: »Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten. … Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war.« Die so genannten drei heiligen Könige folgten also einem Stern und fanden so das Jesus-Baby. Sie huldigten dem Kleinkind, dem kommenden König der Juden, beschenkten ihn reich mit Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Was für ein sich bewegender Stern war das? Womöglich ein Komet? Dieser Idee entsprechen jedenfalls die vielen Darstellungen eines Schweifsterns an den Weihnachtskrippen. Und wenn es ein Komet war, ließe sich da nicht einer finden, der ungefähr zum Zeitpunkt von Jesu Geburt an der Erde vorüberzog? Im Oktober des Jahres 12 v. Chr. beispielsweise stattete der Halleysche Komet der Erde einen Besuch ab. Doch wie Claudia und Simone Paganini anmerken, passt das nicht so ganz in die vermutete Zeitspanne von Jesu Geburt. Doch ebenso gut ist es möglich, dass man sich mit der Suche nach astronomischen Sonderereignissen auf der völlig falschen Fährte befindet.

»Selbst ernstzunehmende Wissenschaftler schrecken nicht vor astronomischen Erklärungen zurück«, konstatiert Strotmann. Es sei sicher möglich, dass sich die Menschen an ein besonderes Himmelsereignis jener Zeit erinnerten, »doch fragt man sich, warum nur das (Matthäus-Evangelium) Kenntnis von einem solchen Ereignis in Zusammenhang mit der Geburt Jesu gehabt haben soll.« Wie Strotmann und auch andere bemerkt haben, sollte das Motiv des wegweisenden Sterns vielleicht einem theologischen Zweck dienen: nämlich eine sich erfüllende Prophezeiung ankünden. Das Himmelsobjekt könnte sich »auf das Erste Testament und den Messiasstern aus (dem 4. Buch Mose) 24,17« beziehen, schreibt Strotmann. Dort heißt es: »Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen und wird zerschmettern die Schläfen der Moabiter und den Scheitel aller Söhne Sets.«

Möglicherweise ist also bei Matthäus nicht von einem tatsächlichen Ereignis die Rede – wie bei so vielem in der Bibel. Und davon abgesehen, hätten die Menschen der Antike einen Stern als Zeichen einer göttlichen Ankunft wohl nicht für abwegig gehalten. Damals wurden häufig die Geburt und der Tod von Herrschern mit beeindruckenden Himmelserscheinungen verknüpft. So deuteten die Menschen einen Kometen als Zeichen einer Vergöttlichung, eines Aufstiegs in den Himmel. Ein bekanntes Beispiel: Bei der Leichenfeier von Gaius Julius Cäsar (100–44 v. Chr.) soll ein Schweifstern am Himmel aufgetaucht sein, das »sidus Iulium«, das als Zeichen von Cäsars Vergöttlichung galt. Augustus erklärte sich anschließend als »Sohn Gottes«. Ähnliche Schilderungen eines geradezu kometenhaften Aufstiegs in den Götterolymp sind auch für weitere römische Kaiser und antike Herrscher bezeugt.

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Wie sah Jesus aus, trug er einen Bart, war er hellhäutig?

»Die Passion Christi« | Jesus im Kreise seiner Jünger dargestellt in dem Spielfilm »Die Passion Christi« aus dem Jahr 2004. Der Streifen, der zum Skandalfilm wurde, wollte authentisch das Leben Jesu abbilden, aber ob Jesus Bart und lange Haare trug, ist zweifelhaft.

Vollbart, schulterlanges Haar, Mittelscheitel, ein bodenlanges Gewand und helle Haut – so sah Jesus aus. Jedenfalls wenn man der westlichen Kunst der vergangenen anderthalb Jahrtausende Glauben schenkt. Aber: Kann Jesus von Nazareth tatsächlich so ausgesehen haben? Mit dem jetzigen Wissensstand ist es unmöglich, sein einstiges Erscheinungsbild zweifelsfrei zu rekonstruieren. Aber sein typisches Bildnis gibt wohl eher ein theologisches Konstrukt wieder als den historischen Jesus.

Wie Joan E. Taylor, Expertin für frühes Christentum am King's College in London, erklärt, geht dieses Bildnis auf byzantinische Darstellungen zurück, die Jesus als thronenden Herrscher wiedergeben. Ein Motiv, das womöglich vom Bild väterlicher Götter abgeleitet wurde. »Byzantinische Künstler, die Christi himmlische Herrschaft als kosmischen König darstellen wollten, erfanden ihn als eine jüngere Version von Zeus«, schreibt Taylor bei der BBC.

Früher Jesus | Auf der Wandmalerei aus Dura-Europos heilt Jesus einen Kranken – wieder gesundet schultert dieser sein Bett. Das Bild befand sich in einem Wohnhaus, das Archäologen in die Zeit um 230/240 datieren. Der Bau war damals in ein christliches Gebetshaus umfunktioniert worden.

Es existiert kein Bildnis, das zu Lebzeiten von Jesus entstanden ist. Zumindest ist keines erhalten. Auch die vier Evangelien liefern keine konkreten Hinweise auf sein Aussehen. Eine der frühesten bekannten Darstellungen, die von Jesus überliefert sind, dürfte rund 200 Jahre nach seinem Tod entstanden sein. Sie befindet sich im ältesten bekannten Gebetshaus von Christen in Dura-Europos im heutigen Syrien. Der Bau, in dem ein Taufbecken stand, war mit Wandmalereien geschmückt. Darauf sind Adam und Eva im Garten Eden abgebildet sowie David, der Goliath besiegt, und Jesus bei der Heilung eines kranken Mannes. Und dieser Jesus trägt kurzes Haar und ist bartlos.

Ganz ähnlich sieht Jesus auch auf Bildern in manchen Katakomben Roms aus. In den unterirdischen Grabhallen aus dem 3. Jahrhundert ist er häufig als Guter Hirte dargestellt, der eine Ziege schultert – sofern in jedem Fall Jesus gemeint ist, weil das Hirtenbild schon damals ein altes antikes Motiv war. Jedenfalls trägt auch dieser Christus weder langes Haar noch Bart.

Zu Jesu Lebzeiten waren in der Mittelmeerwelt bei Männern kurze Haare Mode und ein glatt rasiertes Gesicht. Jedenfalls im Römischen Reich. Dass Jesus, der Jude, Bauhandwerker und aus Nazareth war, der Kultur der römischen Besatzer aufgeschlossen gegenüberstand, liegt nicht nahe. Dass er sich auch äußerlich vom typischen Römer absetzen wollte, ist damit aber noch nicht gesagt. Joan E. Taylor vertritt in ihrem Buch »What Did Jesus Look Like?« die Ansicht, dass es einen Grund gegeben haben muss, warum weder die Evangelien noch sonst jemand auf die Farbe von Jesu Augen, Haare oder Haut einging: »Sie sahen wohl genauso aus wie bei jedem anderen in der Region«, schreibt Taylor. »Braune Augen, olivbraune Haut, schwarzes Haar« – also ein Mensch, der seine Wurzeln im Vorderen Orient hatte.

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Was ist vom historischen Jesus übrig?

Apsismosaik | Die Darstellung vom thronenden Jesus mit den Aposteln befindet sich in der Kirche Santa Pudenziana in Rom. Das Mosaik entstand vermutlich am Ende des 4. Jahrhunderts.

Physisch hat wohl nichts von Jesus die Zeit überdauert. Weder Kleidung noch Knochen noch Grabtuch. Jedenfalls nichts, was sich zweifelsfrei seiner Person zuordnen lässt. Der renommierte Archäologe Jürgen Zangenberg von der Universität Leiden fällt deshalb ein nüchternes Urteil: »Da weder Jesus noch seine unmittelbaren Nachfolger bis ins 2. Jahrhundert n. Chr. hinein zu den kulturprägenden Eliten ihrer Zeit gehörten (anders etwa als Pilatus) und keinerlei erkennbare materielle Spuren hinterlassen haben (Bauten, Inschriften, Objekte), ist die Suche nach direkten archäologischen Zeugnissen für die Person Jesu oder ihrer direkten Wirksamkeit methodisch gesehen fragwürdig und hat zu keinen allgemein anerkannten Ergebnissen geführt.«

An diesem Fazit rütteln auch nicht die vielen angeblichen Jesus-Reliquien. Doch von der Welt, in der Jesus einst lebte, konnten Fachleute inzwischen ein recht gutes Bild gewinnen. Und auch einige Plätze entdecken, an denen er sich womöglich aufgehalten hat. Etwa in einem der großen Reinigungsbäder von Jerusalem, dem Bethesda-Teich. Der Evangelist Johannes (5, 1-18) berichtet, Jesus hätte dort Wunder getan und einen bettlägerigen Mann geheilt. Archäologen haben die Überreste von Bethesda in der Stadt frei gelegt. Irgendwo dort könnte Jesus also herumspaziert sein. Seine Sandalen hat er aber leider nicht vergessen. Jedenfalls haben Archäologen noch kein Paar originaler Jesuslatschen aufgetan.

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Hat Jesus tatsächlich gelebt?

Kind in der Krippe | Noch so ein Skandalfilm: Baby-Brian und seine Mutter im Film »The Life of Brian«. Die Gruppe Monty Python schuf den Film im Jahr 1979 und erzürnte weltweit die Christenheit. Obwohl die Geschichte nicht von Jesus, sondern Brian handelt, der unabsichtlich zum Messias wird …

Von Jesus selbst existieren keine Schriften. Und zu seinen Lebzeiten hat niemand über ihn schriftlich berichtet. Zudem hat nichts aus seinen Händen die Zeiten überdauert. Kann dieser Mann dann überhaupt existiert haben? Die kurze Antwort lautet: ja, kann er und hat er wohl auch.

Die vier kanonischen Evangelien im Neuen Testament liefern zwar die meisten Details, sie sind aber keine unabhängigen Quellen. Jahrzehnte nach Jesu Tod verfasst, speisen sie sich aus Erinnerungen, enthalten aber auch erfundene Details. Was davon stammt vom echten Menschen Jesus, was nicht? »Die erhaltenen Jesustraditionen bewahren … wohl zum Teil die grundlegenden Konturen seiner Worte und Taten«, erklärt der Religionswissenschaftler John Kloppenborg von der University of Toronto im »Jesus Handbuch«. »In vielen, wenn nicht in den meisten Fällen, ist es aber schlicht unmöglich zu ergründen, was Jesus genau gesagt und getan hat oder welche Absichten er mit seinen Worten und Taten verfolgt hat.«

Doch das Neue Testament ist nicht die einzige Quelle, die von Jesus handelt. Auch bei römischen und jüdischen Autoren taucht er auf. Es sind allerdings sehr wenige versprengte Nachrichten aus dem 1. und 2. Jahrhundert. Unbestritten ist etwa eine Erwähnung bei Tacitus (58–120). Der römische Historiker berichtet über den großen Brand in Rom im Jahr 64 und wie Kaiser Nero offenbar versuchte, die Schuld den Christen zuzuschieben. »Der Mann, von dem sich dieser Name herleitet, Christus, war unter der Herrschaft des Tiberius (14–37) auf Veranlassung des Prokurators Pontius Pilatus hingerichtet worden«, heißt es bei Tacitus.

Auch der jüdische Autor Flavius Josephus (37–100) erwähnt Jesus, allerdings sind jene Passagen von späteren christlichen Gelehrten angepasst worden. Der Aufbau des Textes und bestimmte Formulierungen zeigen aber laut Steve Mason von der Universität Groningen, dass die Stellen im Kern von Josephus stammen und er wohl tatsächlich Jesus erwähnte.

Dass von einer prominenten Person der Antike keine direkten Zeugnisse überdauert haben, ist nicht ungewöhnlich. Ein Beispiel liefert der Philosoph Sokrates (469–399). Kein Wort, dass der berühmte Athener einst aufgeschrieben haben mag, ist überliefert. Einzig andere Gelehrte allen voran Platon und Xenophon berichten über ihn und sein Denken. Was davon echt sokratisch ist und was eigene Ideen dieser Autoren, lässt sich nicht immer auseinanderhalten. Zwar sind von dem Philosophen auch Bildnisse überliefert, aber keines davon fertigten die Künstler zu seinen Lebzeiten. Das älteste dürfte auf eine Zeit zurückgehen, als Sokrates bereits 20 bis 30 Jahre tot war.

Die dürftige Quellenlage könnte also den Umständen von Jesu Zeit geschuldet sein. Und selbst wenn die Menschen damals, wie Joan E. Taylor vermutet, nicht von Jesu Aussehen hingerissen waren, sein Auftreten und seine Worte dürften die große Wirkkraft entwickelt haben, die ihn zum Religionsstifter werden ließen.

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