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Klimazwist: Defizite bei der wissenschaftlichen Debattenkultur

Vor wenigen Tagen veröffentlichte die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) ihr Positionspapier "Anpassungsstrategien in der Klimapolitik", das im Vorfeld heftige Kontroversen ausgelöst hat: Vier prominente Wissenschaftler hatten sich aus der Expertenkommission zurückgezogen, weil sie sich mit dem Abschlussbericht in keinster Weise einverstanden erklären konnten ("Die Risiken wurden weichgespült"). Reinhard Hüttl, der Vorsitzende der acatech erklärt im Interview mit Spektrum.de, wie er die Kontroverse beurteilt und warum er das Endergebnis dennoch als Erfolg betrachtet.
Gewitterwolken über Deutschland

Herr Prof. Hüttl, halten Sie den Bericht der acatech zur Anpassung an den Klimawandel in Deutschland trotz des Rückzugs der vier Klimaforscher Wolfgang Cramer, Hans von Storch, Paul Becker und Jürgen Schmid für einen Erfolg?

Uns war es wichtig, Politik und Gesellschaft für das Thema Anpassung in der Klimapolitik zu sensibilisieren. Auf die Folgen des Klimawandels müssen sich Bund, Länder, Kommunen und Unternehmen einstellen und sehr bald konkrete Anpassungsmaßnahmen ergreifen. Diese zweite Säule der Klimapolitik findet zu wenig Beachtung. Deshalb begrüße ich, dass dieses wichtige Thema in der Öffentlichkeit angekommen ist. Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass die Inhalte der Publikation stärker im Mittelpunkt des Interesses stehen.

Wie stellte sich aus Ihrer Sicht der Rückzug der vier Wissenschaftler dar?

Auslöser des Konflikts waren Formulierungen in einem früheren Entwurf der Studie über die Bewertung der physikalischen Klimaforschung. Auf einer Sitzung der 39-köpfigen Projektgruppe im Mai 2012 sollte dieser Entwurf diskutiert werden. Die vier Wissenschaftler sind dazu nicht erschienen und haben ihre Einwände schriftlich geliefert. Die Projektgruppe hat die Desiderate der vier Forscher in den Text eingearbeitet. Umso überraschter waren wir, als sie im August endgültig den Austritt aus der Gruppe erklärt haben. In einem Brief schrieben sie, dass sie ihre Position nach der Urlaubsphase erläutern wollten und bei anderer Gelegenheit gerne wieder mit acatech in die Diskussion einsteigen würden. Dies ist leider nicht geschehen.

Gab es keine Chance, den Konflikt beizulegen?

Ich habe mich persönlich sehr dafür eingesetzt, die vier Kollegen wieder in die Projektgruppe zu holen und seit Mai intensive Abstimmungsgespräche mit allen Beteiligten geführt. Nach ihrem Austritt habe ich den vier Wissenschaftlern angeboten, eine Kommentierung als Anhang zu unserer Position zu veröffentlichen, und sie außerdem zur Podiumsdiskussion im Rahmen der Abschlussveranstaltung eingeladen – alle Gesprächsangebote wurden bislang abgelehnt.

Deshalb waren dann keine Klimawissenschaftler mehr an der Erstellung des Berichts beteiligt.

Nein, das ist nicht richtig. Zunächst einmal: Weite Teile der Position stammen aus der Feder der vier Kollegen, dies gilt im Übrigen auch für Passagen, die im Nachhinein kritisch gewertet wurden. Zum zweiten: Unter den verbliebenen 35 Mitgliedern, die das Papier einstimmig verabschiedet haben, gibt es hochrangige Wissenschaftler aus dem Bereich Klimaforschung wie Volker Mosbrugger vom Forschungsinstitut Senckenberg, Peter Herzig von GEOMAR und Karin Lochte vom Alfred-Wegener-Institut. Darüber hinaus haben ausgewiesenen Experten mitgearbeitet, unter anderem aus den Bereichen Energie, Wirtschaft, Medizin und Städteplanung. Es ist ein im besten Sinne interdisziplinäres Projekt, das nun leider an manchen Stellen auf vier Wissenschaftler reduziert wird.

Wie haben die anderen Kommissionsmitglieder diesen Rückzug aufgenommen? Gab es in der Folge weiteren Streit um die Ausrichtung des Thesenpapiers?

Reinhard Hüttl | Reinhard Hüttl ist Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und leitet das Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum – GFZ. Er war Mitglied der Ethikkommission Sichere Energieversorgung und hat gemeinsam mit dem Kommissionsleiter Klaus Töpfer im Juni eine Expertenanhörung Energiewende geführt.

Natürlich haben die Kollegen das Ausscheiden der vier Wissenschaftler sehr bedauert und waren auch ein wenig erstaunt, schließlich ist ihre Position in die Veröffentlichung eingeflossen. Grundlegende fachliche Differenzen waren und sind für uns nicht erkennbar. Die Projektgruppe hat gut zusammengearbeitet und das Papier einstimmig verabschiedet.

Sieht acatech wirklich noch so großen Forschungsbedarf hinsichtlich der Folgen des Klimawandels in Deutschland?

Nicht nur die acatech. Wir wissen noch viel zu wenig, wie sich der Klimawandel regional auswirkt. Und gerade auf regionaler Ebene müssen wir uns an den Klimawandel anpassen – auf Basis globaler Daten können Länder und Kommunen nicht planen. Auch die ökonomische Analyse der Kosten und Nutzen der Klimafolgen und die Priorisierung der Maßnahmen sind wichtige Forschungsfelder.

Wie gesichert sind Ihrer Meinung nach die Erkenntnisse dieses Forschungsbereichs: Hätte hier nicht eine stärkere Aussage erfolgen müssen?

Das kann ich nicht nachvollziehen. Wir verweisen in dem Bericht ausdrücklich auf die Gefahren des Klimawandels und fordern, dass wir uns auf seine Folgen vorbereiten. Wir sagen aber auch: Den wissenschaftlichen Prognosen zufolge ist der Klimawandel in Deutschland im betrachteten Zeitraum grundsätzlich beherrschbar, wenn wir uns früh genug darauf einstellen. Umso größer ist unsere internationale Verantwortung, Anpassungsstrategien nicht nur für Deutschland zu entwickeln. Das heißt, wir verharmlosen den Klimawandel in keiner Weise. Im Übrigen stellen wir auch den menschlichen Faktor bei seiner Entstehung in keiner Weise in Frage, wie uns manche vorgeworfen haben.

Wird Klimaschutz durch Anpassungsmaßnahmen überflüssig?

Nein. Strategien zur Anpassung an den Klimawandel dürfen auf keinen Fall gegen Strategien der Vermeidung, also Reduzierung von Treibhausgasen, ausgespielt werden. Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften unterstützt die Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel. Viele unserer Projekte beschäftigen sich mit Technologien und Rahmenbedingungen für den Klimaschutz. Unsere erste und wichtigste Empfehlung lautet deshalb: Klimawandel erfordert Mitigation – und Adaptionsmaßnahmen! Die beiden Maßnahmenpakete dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Streit entzündete sich wohl vor allem an der Rolle von Herrn Vahrenholt als einem der Vorsitzenden der Kommission. Er ist seit seiner Buchveröffentlichung "Die kalte Sonne. Warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet" für viele Klimaforscher ein rotes Tuch. Warum wurde gerade ihm eine herausgehobene Position im Projekt übertragen?

Fritz Vahrenholt wurde im Sommer 2011 als Wirtschaftsexperte für Energiefragen in die Steuerungsgruppe einberufen, neben dem Naturwissenschaftler Volker Mosbrugger und dem Ökonomen Kai Konrad. Zu dem Zeitpunkt war uns nicht bekannt, dass er ein Buch über den Klimawandel plant. Zum Konflikt kam es erst, nachdem sein Buch erschien. Seine Mitarbeit in der Projektgruppe wurde auch von den vier Wissenschaftlern nicht infrage gestellt.

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Wie haben Sie versucht, diesen Konflikt einzudämmen?

Ich habe im Frühling 2012 die Rolle des Moderators übernommen und dabei sehr viele Gespräche mit allen Beteiligten geführt. Die Koordinatoren hatten in der Steuerungsgruppe von da an keine gesonderte Stellung mehr.

Wieso wurde Fritz Vahrenholt nicht seine Mitgliedschaft in der Gruppe entzogen, nachdem er mit dem Buch an die Öffentlichkeit ging und so für Unmut in den Forscherkreisen sorgte?

Das Thema seines Buches war nicht Gegenstand der Projektgruppe. Der klare Fokus war auf Anpassungsfragen gerichtet, und zwar konkret an die sich regional unterschiedlich vollziehenden Auswirkungen des globalen Klimawandels. Somit war und ist die Feststellung, dass der Klimawandel bereits stattfindet, die grundlegende Voraussetzung dieser ad-hoc-Position. Es ist zudem eine bemerkenswerte Vorstellung, hochkarätige Wissenschaftler beziehungsweise Experten ließen sich von einem einzelnen Mitglied zu Aussagen bringen, die sie eigentlich nicht mittragen könnten, obwohl sie wissen, dass dieses Papier auch ihren Namen trägt.

Sehen Sie die Klimaforschung sowie die acatech durch diesen – von vielen als Eklat bezeichneten – Vorgang beschädigt?

Es ist gut, dass es nun eine Diskussion über Anpassung an den Klimawandel gibt. Gleichwohl bedaure ich die Fokussierung auf einen internen Konflikt in der Projektgruppe. Insbesondere tut es mir leid, dass manche Berichte behauptet haben, nach dem Streit hätten keine Experten zur Klima- und Anpassungsthematik mehr an dem Papier gearbeitet. Dadurch wurde den vielen exzellenten Kollegen indirekt ihre Kompetenz abgesprochen.

Was würden Sie sich von den vier abtrünnigen Klimaforschern wünschen?

Wir hoffen, dass sie den Dialog wieder aufnehmen. Die vier Wissenschaftler haben, wie gesagt, wesentliche Teile des Textes mit verfasst und koordinierend in der Gruppe mitgewirkt. Deshalb bleibt das Angebot bestehen, über dieses Projekt hinaus weiter mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Was würden Sie das nächste Mal besser machen – auch, was die Öffentlichkeitsarbeit rund um den Vorgang anbelangt?

Manche Konflikte lassen sich nicht verhindern: Das Thema Klimawandel ist extrem politisiert. Formulierungen werden unterschiedlich bewertet, je nachdem, welcher Autor dahinter vermutet wird. Andererseits ist es uns gelungen, dem Thema Anpassungsstrategien eine breitere öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen und das ist ein Erfolg. Wir haben viele positive Rückmeldungen erhalten und werden dieses Thema bei acatech weiterverfolgen. Akademien haben unter anderem die Aufgabe, gesellschaftlich relevante Themen, die nicht im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, wissenschaftlich aufzubereiten. Selbstverständlich kann es hier abweichende Voten geben, diese müssen dann aber auch schriftlich dargelegt werden. Erst dann ist eine adäquate Auseinandersetzung möglich. Uns ist klar geworden, dass wir in Deutschland noch Defizite im Hinblick auf eine sachlich geführte wissenschaftliche Debattenkultur haben.

Herr Hüttl, vielen Dank für das Gespräch.

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