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News: Dem Gen auf der Spur

Nicht jeder Tumor muss bösartig sein. Aber trotzdem ist es gut, wenn eine Veranlagung für eine Krebserkrankung bereits im Vorfeld feststellbar ist. Bei erblichen Formen nutzen Wissenschaftler dafür die verantwortlichen Gene - sofern sie bekannt sind. Für eine vererbbare Form einer Tumorerkrankung des Nervensystems konnten Forscher nun einen weiteren Genort aufspüren. Das macht weitere Vorsorgeuntersuchungen möglich.
Paragangliome, die auch als Glomustumoren oder Chemodektome bezeichnet werden, sind meist gutartige, langsam wachsende Tumoren des parasympathischen Nervengewebes. Sie liegen vorwiegend im Kopf- und Halsbereich, wobei die Halsschlagader, das Mittelohr sowie die Schädelbasis am häufigsten betroffen sind. In der Regel manifestieren sich die Paragangliome im Erwachsenenalter. Das Alter zur Zeit des Krankheitsbeginns kann jedoch stark schwanken.

Obwohl Paragangliomen selten bösartig werden, müssen die Tumoren dann chirurgisch entfernt werden, wenn durch der Körper durch die wachsende Geschwulst beeinträchtigt wird und beispielsweise Lähmungen der Hirnnerven und Hörstörungen auftreten. Während die Mehrzahl der Paragangliome sporadisch auftritt, kommen mindestens zehn Prozent familiär gehäuft vor und werden autosomal dominant vererbt.

Bisher kennt man die Stelle der verantwortlichen Gene auf den Chromosomen von drei autosomal dominant vererbten Formen des Paraganglioms. Zwei Formen liegen in unterschiedlichen Intervallen auf Chromosom 11 (PGL1 und 2), den dritten Genort (PGL3) haben nun Stephan Niemann und Ulrich Müller vom Institut für Humangenetik der Universität Gießen entdeckt und Chromosom 1 zugeordnet (Nature Genetics vom November 2000). Durch einen so genannten funktionellen Klonierungsansatz ist es Niemann und Müller gelungen, das Gen bei PGL3 zu identifizieren, welches für die Tumorigenese verantwortlich ist.

Das Gen, SDHC, codiert für einen Bestandteil eines Enzymkomplexes, welcher bei der oxydativen Phosphorylierung, also der "Zellatmung" und damit bei der Energiegewinnung in den Mitochondrien, den "Kraftwerken" der Zelle, eine wesentliche Rolle spielt. Wird die Zellatmung durch den funktionellen Ausfall dieses Komplexes reduziert, so entarten die Zellen schließlich. Das Gen verhält sich wie ein Tumorsuppressor, das heißt, beide Kopien des Gens müssen mutiert (verändert) sein, um schließlich eine Tumorentstehung zu verursachen. Die erste Mutation liegt in der Keimbahn vor und wird an 50 Prozent der Nachkommen eines Mutationsträgers vererbt.

Die zweite Kopie des Gens wird in Zellen des parasympathischen Nervengewebes durch partiellen Verlust von Chromosom 1 ausgeschaltet. Wenn beide Kopien des Gens fehlen, kommt es zur unkontrollierten Zellteilung im betroffenen Gewebe. Der genaue Mechanismus der Tumorentstehung, der bisher noch nicht aufgeklärt ist, ist Gegenstand intensiver Forschungsbemühungen. Es ist jedoch von Interesse, dass sporadische Paragangliome gehäuft bei Personen auftreten, die in großer Höhe, also unter permanentem exogenen Sauerstoffmangel leben. Außerdem finden sich sporadische Paragangliome vermehrt bei Patienten mit chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen. Bei der von Niemann und Müller beschriebenen genetischen Variante des Tumors führt offenbar endogener Sauerstoffmangel zur Ausbildung eines Paraganglioms.

Die Ergebnisse sind von unmittelbarem Nutzen für Betroffene mit hereditären Paragangliomen, da jetzt durch einen Gentest Risikopersonen schon frühzeitig erkannt werden können. Bei Nachweis einer Mutation können durch regelmäßige Kontrolluntersuchungen Paragangliome bereits im Frühstadium erkannt und operiert werden.

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