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News: Den Zwang bezwingen

Manche Menschen werden zu Leibeigenen immer wiederkehrender quälender Gedanken. Gedanken, die sie dazu zwingen, ständig die gleichen sinnlosen Handlungen auszuführen, während sie ihrem eigenen gesunden Menschenverstand kein Vertrauen schenken. Mit Hilfe frühzeitig eingeleiteter verhaltenstherapeutischer Maßnahmen, gelingt es jedoch häufig, in der Konfrontation mit dem inneren Drang den Sieg davonzutragen. Befinden sich die Betroffenen noch im Kindes- oder Jugendalter, kommt der Mitwirkung ihrer Familie dabei eine besondere Bedeutung zu.

Dr. Manfred Döpfner und Blanka Breuer von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Universität zu Köln weisen in ihrer Untersuchung darauf hin, daß Zwangsstörungen zu einem Drittel bereits im Kindes- oder Jugendalter wurzeln. Insbesondere Wasch-, Kontroll-, Ordnungs- und Wiederholungszwänge, nehmen in dieser Lebensphase ihren Anfang. Die Betroffenen überprüfen unzählige Male, ob Lichtschalter abgeschaltet oder Türen geschlossen sind. Aus Furcht vor Verunreinigung, waschen sie sich ständig die Hände. Bei einigen von ihnen lösen Asymmetrien, wie ein ungleich gebundener Schnürsenkel, Panik aus. Andere verfallen auf die Idee, daß sich eine von ihnen befürchtete Katastrophe beispielsweise dadurch verhindern läßt, daß sie statt eines roten einen blauen Stift zum Schreiben benutzen.

Zwangsgedanken speisen sich aus diffusen Ängsten. Wie bei Erwachsenen, so spielt auch bei Kindern und Jugendlichen die Furcht vor Verunreinigung, Verseuchung oder Vergiftung eine übergeordnete Rolle. Während einigen die Angst, sich selbst oder andere zu verletzen, zum ständigen Begleiter geworden ist, fühlen sich andere von Zwangsgedanken religiösen oder sexuellen Inhalts beherrscht. Indem die Betroffenen dem inneren Drang nachgeben, vermindern sie kurzfristig ihre Anspannung, ohne jedoch der Angst langfristig Herr zu werden – ein Teufelskreis, aus dem es scheinbar keinen Ausweg gibt. Um den Druck von sich auf andere zu übertragen, versuchen Kinder und Jugendliche häufig, ihre Eltern in das Zwangsgeschehen miteinzubeziehen, beispielsweise indem sie sie mit Fragen überschütten, sie maßregeln oder sich von ihnen Kontrollen abnehmen lassen.

Genau hier muß die Familientherapie nach Auffassung der Kölner Psychotherapeuten ansetzen. Die Eltern werden dazu aufgefordert, das Kind in seinem Zwangsverhalten ganz bewußt nicht mehr zu unterstützen, sondern ihm Alternativen zu bieten. Statt also jede zwanghafte Frage zu beantworten, sollten die Eltern mit Anreizen zu anderen, attraktiveren Tätigkeiten aufwarten. Sie sollten dem Kind ihre Zuneigung deutlich machen und ihm eventuell eine vorher ausgehandelte Belohnung zukommen lassen, wenn es seinen Zwangsimpulsen widersteht. Eltern sollten zudem darauf achten, selbst kein überängstliches Verhalten an den Tag zu legen, denn Kinder neigen dazu, sich dieses modellhaft zu eigen zu machen.

Weiterhin hat sich nach Auffassung der Kölner Psychotherapeuten in der Behandlung von Zwangsstörungen bei Kindern und Jugendlichen ein Verfahren bewährt, mit dem auch im Hinblick auf erwachsene Zwangsgestörte bereits gute Erfolge verzeichnet werden konnten. Unter Anleitung eines Therapeuten wird der Betroffene den jeweiligen angstauslösenden und zwangserzeugenden Reizen bewußt ausgesetzt und dazu angehalten, ihnen zu widerstehen. Dr. Döpfner und Breuer berichten von einem Jungen, der aus Furcht vor Verunreinigung seinen Hund ein halbes Jahr nicht mehr gestreichelt hatte. Er wurde dazu aufgefordert, mit dem Tier umherzutoben und danach mit ungewaschenen Händen ein Butterbrot zu verzehren. Durch diese Art der Überwindung, die zu Beginn ebensoviel Mut wie Motivation erfordert, lernen die Betroffenen, daß die von ihnen befürchtete Katastrophe auch dann ausbleibt, wenn sie ihrem Zwang – z.B. sich die Hände zu waschen – nicht nachkommen. Der Teufelskreis ist damit durchbrochen. Je häufiger dem Zwang nicht nachgegeben wird, desto schwächer wird er, bis er letztlich ganz verschwindet. Um Zwangsgedanken zu durchbrechen, übt der Therapeut mit den Betroffenen die gedankliche Konfrontation mit der befürchteten Katastrophe ein.

Neben der Zwangsstörung leiden dreißig bis vierzig Prozent der betroffenen Kinder und Jugendlichen unter einer Depression. Da sie meist Folge und nicht Auslöser der Störung ist, verschwindet sie in der Regel nach ihrer Behebung. Zum Krankheitsbild zählt zudem häufig eine Tendenz zum sozialen Rückzug, so die Kölner Psychotherapeuten. Auch sie erweist sich zumeist als umkehrbar. Ähnlich verhält es sich mit Schulproblemen, die auf die verminderte Aufmerksamkeitsfähigkeit der Betroffenen zurückzuführen sind.

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