Akademische Debatten : Der Denkstil prägt, wie Forschende die Welt sehen

Obwohl wir schon vieles wissen, wird in der Wissenschaft nach wie vor kräftig gestritten. Wie diese inhaltlichen Gräben entstehen, interessierte ein Team um den Linguisten Justin Sulik von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dessen Studie, die Mitte April 2025 im Fachblatt »Nature Human Behaviour« erschien, zeigt: Akademische Meinungsverschiedenheiten gehen nicht nur auf unterschiedliche Methoden und Ergebnisse zurück – sondern auch auf Eigenschaften der Forschenden selbst.
Sulik und seine Kollegen hatten eine groß angelegte Online-Umfrage unter knapp 8000 Forschenden der Psychologie und angrenzender Disziplinen durchgeführt. Diese sollten darin zu 16 kontroversen Themen Stellung beziehen, etwa: Prägt Sprache das Denken? Handelt der Mensch vor allem egoistisch? Zusätzlich wurde der individuelle Denkstil der Wissenschaftler erhoben, zum Beispiel, ob sie die Welt eher in Worten oder in Bildern erfassen oder wie gut sie Widersprüche ertragen können.
Mit statistischen Mitteln fahndeten die Autoren der Studie dann in den Antworten nach Zusammenhängen. Und siehe da: Tatsächlich gingen bestimmte Denkstile mit bestimmten fachlichen Überzeugungen einher. So waren jene Forscherinnen und Forscher eher Anhänger biologischer Erklärungen für Psychisches, die sich tendenziell an Widersprüchen stören. Auch glaubten sie eher, dass bestimmte psychologische Eigenschaften von Geburt an festgelegt sind. Wer Widersprüche hingegen stärker duldet, war eher überzeugt, dass das soziale Umfeld und der Kontext für das Verständnis menschlichen Verhaltens essenziell sind oder dass sich die Funktionsweise des Gehirns nicht sinnvoll mit einem Computer vergleichen lässt. Dass Sprache das Denken bestimmt, fand eher bei jenen Zustimmung, die sich Konzepte mehr in Worten vorstellen als in Bildern. Forschende, die zu analytischem Denken neigen und ein besonderes Faible für Struktur und Planung haben, sahen den Menschen eher als »Homo oeconomicus«: als rationalen Agenten, der stets aus Eigeninteresse handelt.
Die Zusammenhänge waren auch dann noch signifikant, wenn Sulik und seine Kollegen das jeweilige Forschungsgebiet und die bevorzugten Forschungsmethoden herausrechneten. Wenig überraschend waren nämlich auch Psycholinguisten vermehrt der Überzeugung, dass Sprache zentral für das Denken ist; und jene, die mit bildgebenden Verfahren das Gehirn durchleuchten, fühlten sich zu biologischen Theorien hingezogen.
All das kratzt am Klischee des nüchternen Wissenschaftlers und wirft die Frage auf, inwieweit Menschen überhaupt in der Lage sind, eine objektive Wahrheit zu erkennen – so es sie denn gibt. Die Vielfalt im Denken könnte jedenfalls dazu führen, dass wissenschaftliche Lager selbst dann bestehen bleiben, wenn die Datenlage längst relativ klar ist.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.