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Depression: Mit Magnetimpulsen aus dem schwarzen Loch

Bei manchen Menschen hält sich eine Depression trotz Medikamenten und Psychotherapie hartnäckig. Eine Stimulation des Gehirns mit Magnetimpulsen kann ihnen oftmals helfen.
Die Silhouette einer Frau, die sich dem Ende eines dunklen Tunnels nähert
Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen: Studien zufolge erkrankt etwa jeder fünfte bis sechste Mensch im Lauf seines Lebens daran. Der Weg aus der Krankheit heraus ist für manche steiniger als für andere.

Anfangs fühlt sich die Behandlung für Claudia Schäfer* ein wenig unangenehm an. Sie spürt ein Zucken oben an der Stirn. Es wird durch eine Magnetspule ausgelöst, die wie eine Acht aussieht und die ein Mitarbeiter des Uniklinikums über den Kopf der 51-Jährigen hält. Sie soll Magnetimpulse durch ihren Schädel schicken, die das Gehirn stimulieren – und so Schäfers Depression lindern.

Die gesamte Prozedur dauert nicht einmal fünf Minuten. Fünfmal pro Woche kommt Schäfer zur Behandlung in die Klinik, insgesamt sechs Wochen lang. An das unangenehme Gefühl gewöhnt sie sich im Lauf der Zeit. Was aber noch wichtiger ist: Nach ungefähr der Hälfte der Sitzungen merkt sie, dass sich auch bei ihrer Depression etwas tut: Während sie zuvor vor allem antriebslos und ängstlich war, fühlt sie sich nun wieder fröhlicher und hat mehr Energie. Und das, obwohl weder Antidepressiva noch Psychotherapie in der Vergangenheit ausreichend bei ihr angeschlagen hatten.

Die so genannte transkranielle Magnetstimulation kommt in Deutschland bei Menschen mit Depressionen immer häufiger zum Einsatz. Dabei wird das Gehirn durch Magnetimpulse stimuliert, und zwar »transkraniell« – durch den Schädel hindurch. Um die Nervenzellen in der Hirnrinde zu erreichen, müssen die Magnetimpulse Muskeln und Nervengewebe an der Kopfoberfläche passieren. Das kann zu Beginn etwas unangenehm sein, wie Claudia Schäfer es erlebt hat. Manche Personen klagen auch über Kopfschmerzen, insgesamt ist die Behandlung aber gut verträglich.

Die Stimulation soll die Vernetzung im Gehirn verbessern

Das Verfahren wird in erster Linie bei Patientinnen und Patienten eingesetzt, die an einer therapieresistenten Depression leiden, zuvor also mindestens zweimal erfolglos mit Antidepressiva behandelt wurden. Je nach Studie ist bis zu einem Drittel der Patienten von einer therapieresistenten Depression betroffen. Aus diesem Grund gibt es neben der medikamentösen Behandlung und der Psychotherapie als dritte Säule der Depressionsbehandlung mittlerweile nicht invasive Hirnstimulationsverfahren wie die transkranielle Magnetstimulation.

»Über die Spule werden magnetische Impulse ausgesendet, die dann im Gehirn zu einer elektrischen Aktivierung von Nervenzellen führen«, erklärt René Hurlemann, Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Oldenburg, das Wirkprinzip der Therapie. Mittlerweile gibt es verschiedene Stimulationsverfahren. Bei dem klassischen Verfahren wird über dem linken dorsolateralen präfrontalen Kortex stimuliert, einer Region an der Stirnseite des Gehirns, die an der Steuerung von Gedanken und Gefühlen beteiligt und bei Menschen mit einer Depression häufig weniger aktiv und schlechter vernetzt ist. »Über die Stimulation wird, so die Hypothese, die Plastizität angeregt. Es kommt zu einer besseren Vernetzung von Gehirnbereichen.« Hurlemann zufolge zeigen Grundlagenstudien, dass eine Stimulation des Areals außerdem den Botenstoff Dopamin im Belohnungszentrum freisetzt: »Das deutet darauf hin, dass sich der Effekt in die Tiefe des Gehirns fortsetzen kann, auch wenn nur an der Kopfoberfläche stimuliert wird.«

Früher war es üblich, fünfmal die Woche zu stimulieren, vier bis sechs Wochen lang. Jede Sitzung dauerte rund 37 Minuten. »Bei dem klassischen Verfahren zeigte sich bei bis zu 50 Prozent der Patienten eine Verbesserung der Depression«, sagt Hurlemann. »Dieses Ergebnis führte bei vielen Behandlern zu der Ansicht, dass die transkranielle Magnetstimulation nicht wirklich groß wirksam ist.« Viele hätten sich daraufhin von der Technik abgewandt.

Besser öfter kurz als einmal lang

In der Zwischenzeit gab es allerdings durchaus erfolgreiche Versuche, die Methode zu verbessern. Eine Innovation war die Entwicklung des Theta-Burst-Verfahrens. »Zum einen um die Behandlung intensiver zu machen, zum anderen um sie zu verkürzen«, berichtet Hurlemann. »Statt einzelne Magnetimpulse zu verabreichen, werden hier Salven (»bursts«) von Impulsen verwendet.« Bei der Theta-Burst-Stimulation wandern die Impulse nicht mehr 37 Minuten lang, sondern nur noch drei Minuten durch den Schädel der Patienten und Patientinnen. Der Psychiater Daniel Blumberger von der University of Toronto und sein Team testeten den Ansatz 2018 in einer viel zitierten klinischen Studie. Dabei entschied das Los, in welche von zwei Gruppen die mehr als 400 Patienten mit therapieresistenter Depression kamen: Bei den einen stimulierten die Forscher den linken dorsolateralen präfrontalen Kortex mit der herkömmlichen Methode, bei den anderen nutzten sie das Theta-Burst-Verfahren. Alle Patienten wurden an fünf Tagen die Woche behandelt, vier bis sechs Wochen lang. Das Ergebnis: Das intensivierte Verfahren mit nur drei Minuten Behandlung war genauso effektiv wie die 37-minütige Behandlung.

In die gleiche Richtung weist auch die bislang größte Metaanalyse zur Wirksamkeit verschiedener Stimulationsverfahren von Forscherinnen und Forschern um Julian Mutz vom King's College London. Die Gruppe wertete mehr als 100 randomisiert-kontrollierte Studien mit insgesamt mehr als 6000 Patienten aus. Es zeigte sich: Im Vergleich zu einer Placebobehandlung verringerten sich die Symptome der Depression bei Patienten, die nach der klassischen Methode stimuliert wurden, mehr als dreimal häufiger um mindestens 50 Prozent. Beim Theta-Burst-Verfahren war die Chance ebenfalls rund dreimal so hoch, beide Ansätze scheinen also ähnlich wirksam zu sein. »Damit ist die Behandlung offenbar auch ähnlich effektiv wie eine Behandlung mit Antidepressiva«, schlussfolgert der experimentelle Psychologe und Neurowissenschaftler Maximilian Kiebs vom Universitätsklinikum Bonn. Bislang gebe es allerdings noch keinen direkten Vergleich zur Wirksamkeit von transkranieller Magnetstimulation und Antidepressiva.

Auch zu der Frage, wie lange der Effekt der Magnetstimulation anhält, lägen bislang keine guten Studien vor, erklärt Kiebs. »Die klinische Erfahrung sagt, im Mittel sechs Monate bis ein Jahr. Teilweise aber auch viel länger.«

»Dieses Verfahren hat das Potenzial, vielleicht die schnellstwirksame Depressionsbehandlung überhaupt zu werden«René Hurlemann, Psychiater

René Hurlemann arbeitet derzeit daran, die Wirkung der transkraniellen Magnetstimulation weiter zu optimieren. Ihm reicht es nicht, dass man beim Theta-Burst-Verfahren lediglich kürzer stimulieren muss. Er will erreichen, dass es noch mehr Menschen noch besser hilft. Mit seinem Team testet er gerade, wie es sich auf die Behandlung von Depressionen auswirkt, wenn man nicht nur einmal am Tag, sondern zwei-, dreimal mit Theta-Burst stimuliert, und das rund zwei Wochen lang. »In eine ähnliche Richtung gehen Arbeiten aus Stanford, die mit ihrem Verfahren zehnmal am Tag stimulieren, eine Woche lang«, berichtet der Oldenburger Psychiater. Forscher um den Neurologen und Psychiater Nolan Williams von der Stanford University haben erst 2022 eine kleine, randomisiert-kontrollierte Studie zu ihrem Verfahren veröffentlicht. Bei fast 30 Patienten mit einer Depression konnten sie zeigen, dass sich bereits nach einer Woche einer solchen intensivierten Behandlung bei rund 85 Prozent der Betroffenen im Vergleich zu einer Placebobehandlung die Beschwerden deutlich besserten.

»Dieses Verfahren hat das Potenzial, vielleicht die schnellstwirksame Depressionsbehandlung überhaupt zu werden«, sagt Hurlemann. Es könne möglicherweise sogar die Elektrokonvulsionstherapie ersetzen, bei der unter Kurznarkose durch Stimulation des Gehirns ein Krampf ausgelöst wird und die bislang als das wirksamste Mittel bei hartnäckigen Depressionen gilt. Dafür müssten sich die Ergebnisse allerdings erst einmal in weiteren Untersuchungen bestätigen: Die Studie aus Stanford war sehr klein, Langzeitdaten fehlen bislang gänzlich.

Zielgenaue Ortung im Hirnscanner

Hurlemann und das Stanford-Team wollen aber auch noch an einer weiteren Stellschraube ansetzen, um die transkranielle Magnetstimulation zu verbessern. Die Lage des linken dorsolateralen präfrontalen Kortex, der Zielregion der Behandlung, variiert von Mensch zu Mensch ein wenig. Eine weitere Innovation, die Hurlemanns Gruppe verfolgt, ist daher die punktgenaue Lokalisation der Zielregion, um die Spule präziser zu platzieren. Dafür kombinieren die Forscher die Behandlung mit Hirnscans. »Da die Zielregion eigentlich nicht über ihre anatomische Lage, sondern über ihre Funktion definiert ist, machen wir in laufenden Studien ein funktionelles MRT, um den dorsolateralen präfrontalen Kortex noch genauer zu lokalisieren«, erklärt der Experte.

Ganz so weit ist man in der klinischen Praxis noch nicht. Dafür ist es für Patientinnen und Patienten inzwischen einfacher geworden, eine Stimulationstherapie zu erhalten. Früher wurde die transkranielle Magnetstimulation vor allem stationär in Kliniken angewandt. Heute bieten auch einige niedergelassene Ärzte die Behandlung ambulant an. Genaue Zahlen dazu, inwieweit das Verfahren im ambulanten Bereich eingesetzt wird, gebe es nicht, sagt Kiebs. »Aus meiner Erfahrung heraus kann ich aber sagen, dass eine ganze Reihe von nicht universitären Krankenhäusern und Praxen die Behandlung durchführt.«

Nicht alle Anbieter von transkranieller Hirnstimulation seien allerdings seriös, warnt der Experte. Eine Übersicht über seriöse Kliniken und Zentren, die Hirnstimulation zur Therapie von psychischen Störungen anwenden, findet man beispielsweise auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Hirnstimulation in der Psychiatrie.

Die Kosten für die Behandlung übernehmen inzwischen immer mehr private Krankenversicherungen. Zu den Regelleistungen der gesetzlichen Krankenkassen zählt die transkranielle Magnetstimulation bei Patienten und Patientinnen mit therapieresistenter Depression hingegen noch nicht, zumindest im ambulanten Bereich. Wer Interesse an der Therapie hat, sollte sich deshalb vorher bei seiner Versicherung erkundigen, ob er die Sitzungen aus eigener Tasche bezahlen muss.

* Name von der Redaktion geändert

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