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News: Der Älteste

In Äthiopien gefundene sterbliche Überreste von zwei Erwachsenen und einem Kind brechen einen neuen Rekord: Mit 160 000 Jahren sind sie die bisher ältesten Fossilien des anatomisch modernen Menschen - und bestätigen den afrikanischen Ursprung von Homo sapiens.
<i>Homo sapiens idaltu</i>
Es gibt Regionen, die sich immer wieder als wahre Fundgrube für Paläoanthropologen bewähren: die Olduvai-Schlucht in Tansania beispielsweise, wo Louis und Mary Leakey den Homo habilis ausgegraben haben, oder Hadar in Äthiopien, der Fundort von Australopithecus afarensis, berühmt geworden unter den Namen "Lucy". Die äthiopische Region Middle Awash gehört ebenfalls dazu; hier stießen 1992 Tim White und Desmond Clark von der University of California in Berkeley auf die Überreste von Ardipithecus ramidus, ein Hominide, der vor mehr als vier Millionen Jahre auf Erden wandelte.

Auffällig ist die Häufung der Fundorte in Afrika, vor allem im östlichen Teil des Kontinents von Äthiopien im Norden bis hinunter nach Südafrika. Der afrikanische Ursprung der Hominiden gilt unter Anthropologen auch als sicher. Doch "irgendwann" und "irgendwo" tauchte der anatomisch moderne Mensch Homo sapiens auf – und hier beginnt der Streit: Nach der multiregionalen Hypothese entwickelte sich die heutige Menschheit in vielen Teilen der Erde parallel aus regionalen Abkömmlingen von Homo erectus, der vor ein bis zwei Millionen Jahren aus Afrika kommend die Erde eroberte.

Die meisten Forscher setzen jedoch auf die Austausch-Hypothese, besser bekannt unter den Namen Out-of-Africa- oder Arche-Noah-Modell. Demnach verließen einige Exemplare von Homo sapiens vor etwa 100 000 Jahren Afrika und verdrängten überall die einheimische Urbevölkerung, darunter auch den Neandertaler. Die gesamte heutige Menschheit müsste demnach unmittelbar auf afrikanische Ahnen zurückblicken.

Unterstützung erfuhr die Out-of-Africa-Hypothese durch genetische Daten. Denn Vergleiche des Erbgutes der Mitochondrien, die nur mütterlicherseits weitergegeben werden, ließen Genetiker auf eine "Urmutter" oder "Eva" schließen, die vor vielleicht 150 000 Jahren in Afrika lebte. Der hierzu zeitlich halbwegs passende "Adam" konnte aus Daten des männlichen Y-Chromosoms inzwischen ebenfalls rekonstruiert werden.

Doch leider fehlten die fossilen Belege für Adam und Eva aus Afrika. Die bisher ältesten Funde von Homo sapiens, die 130 000 Jahre alten Schädelüberreste aus dem Omo-Becken in Äthiopien und die "nur" fast 100 000 Jahre alten, aber nahezu vollständigen Skelette von Qafzeh und Skuhl in Israel, sind deutlich jünger.

Doch am 16. November 1997 sollte sich wieder einmal das Gebiet von Middle Awash in Äthiopien als Fundgrube erweisen. Denn an diesem Tag stieß Tim White in der Nähe des Dorfes Herto auf alte Steinwerkzeuge und Flusspferdknochen. Elf Tage später erfolgte die akribische Untersuchung des Fundortes durch Whites Grabungsteam – mit Erfolg: Die Paläontologen holten etliche menschliche Knochen hervor, darunter die Überreste dreier Schädel, von zwei Erwachsenen und einem Kind. Die radioisotopische Datierung ergab das erstaunliche Alter von 160 000 bis 154 000 Jahren – genau passend zur genetischen Eva.

Die Schädel waren allerdings weitgehend zertrümmert, und insbesondere die deutlichen Schnitt- und Schabspuren des Kinderschädels lassen Raum für Spekulationen. "Vermutlich haben sie das Muskelfleisch abgetrennt und die Schädelbasis zertrümmert, um das Gehirn herauszunehmen", nimmt White an, "aber warum, vielleicht als kannibalistisches Ritual, das werden wir wohl nie erfahren."

Der Schädel eines Erwachsenen ließ sich zur Freude der Forscher jedoch so weit rekonstruieren, dass Vergleiche mit anderen Hominiden möglich waren. Die Wissenschaftler sind sich daraufhin sicher, einen männlichen Vertreter des anatomisch modernen Menschen Homo sapiens in den Händen zu halten. Aufgrund bestimmter Besonderheiten schlägt White – der erst kürzlich die Namensflut in der Anthropologie heftig kritisierte – nun eine neue Unterart des Menschen namens Homo sapiens idaltu vor. Dabei zielt die Bezeichnung idàltu, was "älter" in der Sprache der einheimischen Afar bedeutet, sowohl auf das paläontologische als auch auf das individuelle Alter des Schädels von vielleicht 35 Jahren.

Die Forscher sehen in ihrem Fund einen klaren Beleg für das Out-of-Africa-Modell. "Die Fossilien von Herto sind unverkennbar nicht von Neandertalern", ist sich Clark Howell von der Arbeitsgruppe sicher. "Sie zeigen, dass sich moderne Menschen in Afrika entwickelten, lange bevor die europäischen Neandertaler verschwanden. Sie beweisen endgültig, dass es niemals eine Neandertaler-Phase in der Humanevolution gab."

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