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Erdbeben: Der Bebenzyklus von Kathmandu

Sind die Erdbeben von Nepal Teil eines jahrhundertelangen Musters? Historische Daten deuten auf diese Möglichkeit - und erlauben vielleicht einen Blick in die Zukunft.

Es zeichnet sich ab, dass das neueste Erdbeben von Nepal kein einfaches Nachbeben der letzten starken Erschütterung vom 25. April war. Deswegen ist unklar, ob diese beiden Starkbeben tatsächlich einander bedingten. Sind sie möglicherweise der Anfang einer Serie – stehen der Region Kathmandu in absehbarer Zeit weitere große Erdbeben bevor?

Das Zusammentreffen kann auch Zufall sein. Schon die Statistik lehrt: Wenn beliebige Abschnitte einer Verwerfung jederzeit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit brechen können, dann eben auch direkt nacheinander. Andererseits ist jedoch ein kausaler Zusammenhang ebenfalls möglich – ein Erdbeben löst Spannung in einer Region, doch die Verschiebung baut andernorts zusätzliche Spannung auf, die wiederum dort die Wahrscheinlichkeit eines neuen Bebens erhöht.

Die Antwort darauf ist alles andere als klar. Die Plattengrenze im Himalaja ist sehr komplex, und ihr Verhalten gibt bis heute Rätsel auf. Entsprechend viele Meinungen gibt es zum Thema. In Nepal zum Beispiel gehen viele Menschen davon aus, dass es etwa alle 80 Jahre ein sehr schweres Erdbeben gibt, etwa von der Größe des Nepal-Bihar-Erdbebens von 1934 mit einer Stärke von 8,0 – eine internationale Forschungsgruppe dagegen kam 2014 zu dem Schluss, dass solche Megabeben in der Region nur etwa alle 800 Jahre auftreten.

Diese Spannbreite zeigt das Problem – bisher weiß man einfach viel zu wenig darüber, nach welchen Gesetzmäßigkeiten Starkbeben an der komplexen Plattengrenze im Himalaja auftreten. Die historischen Aufzeichnungen gehen zwar bis ins 13. Jahrhundert zurück, doch enthalten sie oft nur rudimentäre Informationen über Stärke und Ort von Erdbeben.

Es bietet sich allerdings an, die Situation mit einer grundsätzlich ähnlichen Art von Plattengrenze zu vergleichen, einer ozeanischen Subduktionszone – dort gleiten wie in Nepal zwei Erdplatten aufeinander zu und übereinander. Die Situation dort ist allerdings etwas einfacher, denn die schwerere ozeanische Kruste taucht bereitwillig unter die leichtere kontinentale in den Erdmantel ab. Solche Plattengrenzen verhalten sich zyklisch – eine Weile baut sich Spannung auf, bis die Kontaktfläche bricht und die Platten gegeneinandergleiten. Das resultierende Megabeben setzt die aufgestaute Energie in einem Ruck wieder frei. Dann geht der Zyklus von vorne los.

Jedoch gibt es, wie sich gezeigt hat, auch eine komplexere Variante dieses Auf und Ab der Spannungen, die der komplexen Situation im Himalaja möglicherweise etwas ähnlicher ist. An Subduktionszonen, in denen die Kontaktfläche zwischen beiden Platten überdurchschnittlich breit ist, reicht ein einziges Beben nicht mehr, um die Spannung in einem Abschnitt abzubauen. Sie brauchen dafür mehrere Versuche: Kleine Bereiche der verhakten Platten brechen nacheinander, doch sie können die aufgebaute Spannung nicht komplett abbauen. Schlussendlich entlädt sich die Energie in einem letzten großen Beben. Eine solche Bebenabfolge bezeichnet man als Superzyklus – er kann sich über Tausende von Jahren erstrecken.

Nun liegt Nepal nicht an einem Tiefseegraben, und die Struktur der Plattengrenze ist folglich weitaus komplexer, so dass man das Modell nicht einfach auf den Himalaja anwenden kann – doch gibt es gerade im Raum Kathmandu durchaus Indizien für einen ähnlichen Vorgang: Die schweren Erdbeben der historischen Aufzeichnungen sammeln sich in zwei Clustern. Aus frühen Dokumenten weiß man von starken Erdbeben in den Jahren 1223, 1255 und 1344. Bei den letzteren starb sogar jeweils der nepalesische König. Danach folgte eine Ruhepause, die über 500 Jahre dauerte – bis ins Jahr 1833, als ein Beben der Stärke 7,7 Teile von Kathmandu zerstörte, gefolgt von den Beben der Jahre 1934 und nun eben 2015.

Unglücklicherweise lassen die Daten keinen Schluss darüber zu, ob der Zyklus wirklich existiert oder das auffällige Muster Zufall ist; dazu ist die Zeitreihe viel zu kurz. Zum vermuteten 800-Jahre-Intervall würde er zumindest passen. Wenn dagegen der Volksmund Recht hat und sich pro Jahrhundert genug Spannung für ein Beben der Stärke 8 aufbaut, dann könnte möglicherweise noch etwas nachkommen – zusammengenommen haben die beiden Beben von 2015 weniger als die Hälfte der Energie freigesetzt, die beim Nepal-Bihar-Beben 1934 im Spiel war.

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