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News: Der Duft des Spiegelbilds

Ratten sind für ihr feines Näschen bekannt, spüren sie doch damit so manchen Leckerbissen auf, vermeiden aber tückische Giftköder. Ihr Geruchssinn vermag jedoch weit mehr, als man gemeinhin annimmt. Sie können sogar Spiegelbildisomere - also Moleküle, die sich nur in ihrer räumlichen Anordnung unterscheiden - differenziert wahrnehmen.
Viele Moleküle der organischen Chemie existieren in zwei Formen, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten. Diese Spiegelbildisomere oder Enantiomere entstehen, wenn vier unterschiedliche Molekülgruppen an einem so genannten asymmetrischen Kohlenstoffatom binden, sodass zwei zueinander spiegelverkehrte räumliche Anordnungen möglich sind. Da es sich um gleiche Moleküle handelt – mit nur unterschiedlichem räumlichen Aufbau –, haben sie identische chemische Eigenschaften. Physikalisch lassen sie sich aufgrund ihrer Eigenschaft, polarisiertes Licht in unterschiedliche Richtungen zu drehen, voneinander unterscheiden.

Mitunter genügt der Geruch, um Spiegelbildisomere wahrzunehmen. So riecht ein Enantiomer der Chemikalie Carvon wie Kümmel, während das andere eher an Minze erinnert. Meist versagt jedoch unser Riechorgan bei der Analyse: Butanol zeigt immer den typischen Alkoholgeruch, egal welches Isomer vorliegt.

Bei Nagetieren sieht das jedoch anders aus, wie Benjamin Rubin und Lawrence Katz von der Duke University in Durham feststellten. Sie trainierten Ratten mit vier unterschiedlichen Substanzen, von denen es Spiegelbildisomere gibt: Neben Carvon und 2-Butanol testeten sie auch die Chemikalien 2-Octanol und Fenchon. Und siehe da: die Ratten hatten bei allen Substanzen überhaupt kein Problem, zwischen den Spiegelbildern zu unterscheiden.

Doch nicht nur Verhaltensexperimente offenbarten das feine Näschen der Ratten, auch physiologische Versuche bestätigten ihr Unterscheidungsvermögen: Wie die Wissenschaftler entdeckten, aktivierten die Spiegelbildisomere unterschiedliche Regionen des Riechkolbens, der die Signale weiter zum Gehirn der Tiere leitet.

Die Wissenschaftler vermuten, dass die differenzierte Geruchswahrnehmung für die Ratten überlebenswichtig ist. Der Mensch ist dagegen ein typisches "Augentier"; in unserer Nase gibt es im Vergleich zu Nagetieren nur einen winzigen Bruchteil an Sinnesrezeptoren, welche die unterschiedlichen Gerüche wahrnehmen. Leslie Vosshall von der Rockefeller University in New York glaubt, dass wir in früheren Zeiten ebenfalls über einen ausgeprägten Geruchssinn verfügten, den wir aber im Laufe der Evolution verloren haben: "Wir brauchen unsere Nase nicht mehr, seitdem wir keine Jäger und Sammler mehr sind. Im Gegensatz zu Ratten verhungern wir nicht, wenn wir nicht mehr riechen können."

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