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Satellitenmission: Europas neuer Späher ist im All

Sentinel-2, der neue Erdbeobachtungssatellit der ESA, fotografiert im Dauereinsatz - und soll unser Verständnis der Erde verbessern. Aber wohin mit den ganzen Daten?
Start der Sentinel-2A Trägerrakete

Hier ein Bild, dort eine Aufnahme und ganz hinten noch ein Schnappschuss. Satelliten zur Erdbeobachtung waren bislang äußerst wählerische Fotografen. Sie machten in der Regel nur dann ein Bild der gerade überflogenen Region, wenn die Ingenieure der Bodenstation sie im Vorfeld dazu aufgefordert hatten.

Sentinel-2A ist dagegen ein Dauerknipser. Europas neuester und modernster Erdbeobachtungssatellit wird auf seinem Weg um den Globus ständig Bilder schießen – zumindest, solange er sich über Land befindet. Mindestens sieben Jahre lang soll er eine Bestandsaufnahme des Geschehens auf der Erde liefern. Er soll Veränderungen in der Natur dokumentieren, aus dem All den Reifegrad von Feldfrüchten und die Verschmutzung von Gewässern erkennen. Er wird aber auch zeigen müssen, ob die dabei anfallenden Datenmengen zu beherrschen sind. In der Nacht auf Dienstag ist der 3,4 Meter lange Späher ins All gestartet.

Acht Jahre hatten die Sentinel-2A-Macher darauf gewartet, dann ging alles ganz schnell. In der Nacht zum Dienstag, Punkt 3:52 Uhr MESZ, erhob sich die schlanke Vega, die kleinste Trägerrakete im europäischen Arsenal, in den wolkigen Nachthimmel über Kourou. Keine Stunde später wurde Sentinel-2A im Weltall ausgesetzt. Derzeit deutet alles darauf hin, dass der mehr als eine Tonne schwere Satellit seine Einsatzhöhe in 786 Kilometern Höhe erreicht hat. In den kommenden Tagen sollen nun nach und nach seine Systeme überprüft und in Betrieb genommen werden. Klappt alles wie geplant, steht einem pünktlichen Arbeitsbeginn in drei bis vier Monaten nichts mehr im Weg.

Kein Puzzlespiel mehr

"Sentinel-2A ist die erste Mission, die in der Lage ist, die Erde an einem Stück komplett abzubilden", sagt Heinz Sontag, Projektleiter beim Raumfahrtkonzern Airbus Defence and Space in Friedrichshafen, wo der Satellit federführend gebaut worden ist. "Einmal eingeschaltet, läuft die Aufnahme kontinuierlich ab." Sentinel-2A unterscheidet sich damit grundlegend von anderen optischen Erdbeobachtungssatelliten. Die haben ihre Fotos nur nach Bedarf geschossen. Forscher mussten – wenn sie Bilder einer kompletten Region benötigten – die Aufnahmen hinterher mühsam zusammenpuzzeln.

Innerer Aufbau des Satelliten | Das Kernstück von Sentinel-2 besteht aus einer extrem leistungsfähigen und robusten Kamera. Die Betriebslaufzeit ist auf mindestens sieben Jahr ausgelegt.

Knapp 300 Kilometer breit ist der Streifen auf der Erdoberfläche, den die Kamera an Bord von Sentinel-2A wie ein Rasenmäher abgrast. Seine Bahn führt den Satelliten dabei über die Pole. Da sich die Erde derweil dreht, ist der nächste abzugrasende Streifen etwas versetzt. Mindestens alle zehn Tage liefert Sentinel-2A auf diese Weise ein Bild der gleichen Region. Wenn kommendes Jahr sein Zwilling Sentinel-2B startet, der um 180 Grad versetzt um die Erde kreist, reduziert sich diese Spanne auf fünf Tage. Länder wie Deutschland werden dann sogar alle zwei bis drei Tage überflogen.

"Auf diese Weise haben wir erstmals die Möglichkeit, rasche Prozesse auf der Erdoberfläche zu erfassen und daraus zum Beispiel Prognosen für den landwirtschaftlichen Ertrag zu erstellen", sagt Bianca Hoersch, Sentinel-2A-Missionsmanagerin bei Europas Raumfahrtagentur ESA im italienischen Frascati. Aber auch langfristige Untersuchungen werden möglich: Sieben Jahre soll das Satellitenduo durchhalten, dessen Bau rund 360 Millionen Euro gekostet hat; der Treibstoff würde auch für zwölf Jahre reichen. Zudem sammelt die ESA gerade Angebote für die weit gehend identischen Satelliten Sentinel-2C und 2D, die im Anschluss starten sollen. "Damit wäre bis mindestens 2030 sichergestellt, dass wir die gleichen Messungen machen können und vergleichbare Daten bekommen", sagt Hoersch.

Aussagekräftig sind solche Langzeitstudien allerdings nur, wenn die Satelliten nicht allzu sehr unter den harschen Bedingungen im All leiden. Die Airbus-Ingenieure haben die Optik ihrer Satelliten daher aus Siliziumkarbid gebaut, einer besonders widerstandsfähigen Keramik, die sich auch nach Jahrzehnten nicht verziehen soll. Die Kamera kann mit Hilfe des Sonnenlichts regelmäßig kalibriert werden, defekte Pixel lassen sich durch redundante Bildpunkte ersetzen. Dank einer besonders präzisen GPS-Anlage weiß der Satellit zudem auf zwei bis drei Meter genau, wo er sich befindet und in welche Richtung er blickt. Daraus lässt sich berechnen, welchen Punkt auf der Erde die Kamera gerade festhält. Ziel ist es, den Ort jedes Pixels auf mindestens zehn Meter exakt anzugeben.

"Es ist relativ einfach, ein buntes Bild von der Erde zu machen", sagt Airbus-Ingenieur Sontag. "Die große Kunst besteht darin, Aufnahmen zu machen, die vergleichbar sind – heute und in vielen Jahren. "Ohnehin macht Sentinel-2A nicht einfach nur bunte Bilder. Der Satellit fotografiert die Landoberfläche vielmehr in 13 unterschiedlichen Farbnuancen, so genannten Spektralbändern. Zehn Kanäle decken dabei den Bereich vom sichtbaren Licht bis hinein ins nahe Infrarot ab – mit speziellem Fokus auf den unterschiedlichen Rottönen. Drei Kanäle dienen dazu, atmosphärische Phänomene wie Aerosole oder Zirruswolken zu erkennen und solche Störungen später aus den Bildern herauszurechnen.

Landwirtschaft aus dem All

"Die Spektralkanäle sind so ausgerichtet, dass wir die Vegetation optimal erfassen können", sagt Bianca Hoersch. Verschiedene Feldfrüchte stechen zum Beispiel durch ihre jeweils eigene Farbsignatur heraus. Die Aufnahmen aus dem All zeigen aber auch, ob Felder erntereif sind oder ob sie unter Dürre leiden und dringend bewässert werden müssen. Raumplaner sehen, wie sich Städte ausdehnen und wie sich die Landnutzung verändert. Katastrophenschützer können die Folgen von Stürmen, Fluten oder Erdrutschen abschätzen. "Letztlich gibt es unendlich viele Ideen", sagt Hoersch. "Sobald die ersten Daten da sind, werden sich neue, bislang ungeahnte Anwendungen entwickeln."

Helfen wird dabei, dass die Daten offen und kostenlos zur Verfügung stehen. Bislang mussten Firmen, wenn sie zum Beispiel eine Ernteprognose für Landwirte entwickeln wollten, Beobachtungsdaten teuer einkaufen. Sentinel-2A ist dagegen Teil des Copernicus-Programms von ESA und Europäischer Kommission, die auf einen freien Zugang zu den Aufnahmen pocht. "Das wird sicherlich eine kleine Revolution auslösen", sagt Heinz Sontag.

Das Problem: Durch Sentinel-2's Rasenmähmethode und seine Auflösung von bis zu zehn Metern kommen Unmengen an Daten zusammen. Mit 1700 Gigabyte pro Tag und Satellit rechnet Bianca Hoersch. Zur Erde gefunkt werden können diese Informationen allerdings nur, wenn eine Bodenstation in Sicht ist. Im Schnitt stehen dafür nur 16 bis 18 Minuten während des etwa hundertminütigen Umlaufs um die Erde zur Verfügung.

Problem: die verzögerte Datenübermittlung

Für die Datenberge von Sentinel-2A dürfte das reichen, bei künftigen, datenintensiveren Missionen könnte es knapp werden. Zudem vergeht im ungünstigsten Fall fast ein kompletter Umlauf, bis neue Bilder zum Boden gefunkt werden können. "In der heutigen, modernen Ära der Erdbeobachtung dauert das zu lange", sagt Gunter Schreier, stellvertretender Leiter des Fernerkundungsdatenzentrums beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen. Sollen Satelliten zum Beispiel Schiffe aufspüren, die unerlaubt Öl ins Meer kippen, müssen diese Aufnahmen binnen 20 Minuten am Boden sein. Nur so kann rechtzeitig die Küstenwache verständigt werden, um den Kapitän auf frischer Tat zu ertappen. "Bekommen wir solche Satellitendaten nicht rechtzeitig, sind sie nutzlos", sagt Schreier.

Zusätzlich zum bewährten Mikrowellenfunk hat Sentinel-2A daher ein experimentelles Laserterminal an Bord. Mit der Infrarotkanone kann der Späher seine Informationen an den europäischen Telekommunikationssatelliten Alphasat schicken. Dieser ist im so genannten geostationären Orbit unterwegs, scheint daher stets über demselben Ort am Äquator zu verharren. Dadurch kann er wie eine Relaisstation jederzeit Daten zum Boden funken – und das mit einer deutlich höheren Übertragungsrate als Sentinel-2A bei seinen schnellen Überflügen.

Noch ist das System im Aufbau. Zusätzliche Satelliten des Europäischen Daten-Relais-Systems (EDRS) sollen demnächst ins All fliegen. Neben dem Sentinel-2-Duo werden dann auch die beiden Sentinel-1-Satelliten, deren erster Vertreter vergangenes Jahr gestartet worden ist, mit Laser kommunizieren. Sie beobachten die Erde mit einem hochauflösenden Radar und ergänzen das optische Auge von Sentinel-2A. "Wenn wir solche Daten in Zukunft schnell rund um den Globus bekommen können", sagt DLR-Forscher Schreier, "dann eröffnet das ganz neue Möglichkeiten für die Wirtschaft und die Wissenschaft."

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