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Verhalten: Der Hunger prägt's ein

Ein voller Bauch studiert nicht gern - ein leerer dafür umso besser? Bei Mensch und sonstigem Wirbelgetier zumindest hinterlässt Gutes in mageren Zeiten tiefe Spuren. Doch wie sieht es bei einfacher gestrickten Nervensystemen aus?
<i>Schistocerca gregaria</i>
Frisch nach dem Frühstück lockt die Banane auf dem Obstteller nur wenig – Banane macht satt, und das sind Sie gerade. Sie scheint auch noch etwas grün, ein Argument mehr, sie links liegen zu lassen. Einige Stunden später jedoch zählt nur eins: den grummelnden Magen zu beruhigen, und zwar schnell. Woran werden Sie sich zwei Tage später erinnern – dass die Frucht etwas fad schmeckte? Oder dass Sie danach gut gesättigt zum Nachmittagsprogramm übergehen konnten?

Mit Blick auf den Lerneffekt wäre zweiteres wichtiger, führte die Erinnerung doch dazu, dass Sie beim nächsten Hungeranfall wieder zur Banane greifen dürften. Merkwürdigerweise bliebe dann bei so manchem sogar Sättigenderes liegen. Wie kommt's – von Vitamin-Überlegungen mal abgesehen?

Besonders prägend für spätere Vorlieben wirkt offenbar, wenn allererste Erfahrungen à la "Banane macht satt" mit leerem Magen verinnerlicht wurden. So haben zahlreiche Studien an Mensch, Ratte, Star und Co inzwischen gezeigt, dass Betroffene dann – vor die Entscheidung gestellt – in irgendeiner Weise als kostspielig empfundene oder in schlechten Zeiten kennengelernte Objekte selbst besseren Alternativen häufig vorziehen. Warum, ist noch unklar.

Ob diese komplizierte Entscheidungsfindung auch bei einfacher gestrickten Nervenkostümen mit beschränktem Speicherpotenzial auftritt, untersuchten Lorena Pompilio von der Universität Buenos Aires und ihre Kollegen an der Universität Oxford an Wüstenheuschrecken (Schistocerca gregaria). Die Tiere wurden sowohl hungrig als auch satt dazu erzogen, kleine Futterhäppchen mit Duft nach Zitronengras oder Pfefferminz zu verknüpfen.

Der Clou an der Sache dabei war, dass es immer gleich viel zu fressen gab, sich die Leckerbissen also in Qualität und Quantität nicht unterschieden. Nach erfolgreichem Training folgte die Probe aufs Exempel: Wieder sowohl in hungrigem als auch sattem Zustand sollten sich die Sechsbeiner nun für einen der Düfte entscheiden. Für jedes Tier wiederholte sich dabei die frühere Erfahrung: Hatte es bei leerem Magen zuvor nach Zitronengras gerochen, galt das auch für die Testphase.

Wäre die jeweilige Ausbeute ausschlaggebend, sollten die Heuschrecken keine besonderen Präferenzen zeigen – sie hatten ja keinen Unterschied in der Futtermenge erfahren. Strebten sie vor allem nach dem angenehmsten erlebten Zustand, müssten sie jenen Geruch wählen, der sie an beste Zeiten erinnert – also den Duft, der ihnen bei vollem Magen weitere Happen verheißen hatte. Weckten die Gerüche einfach nur die Assoziation "So ging's mir schon einmal, und damals roch ich Pfefferminz", dürften sich die Heuschrecken wieder genau für diese Alternative entscheiden.

Doch die Wahl fiel klar auf die vierte mögliche Variante: Die Mehrheit der Tiere entschloss sich für jenen Geruch, der ihnen zu Hungerzeiten Futter signalisierte hatte – egal, ob ihnen jetzt gerade der Magen knurrte oder nicht. Wie in der Wirbeltierwelt räumen also offenbar auch Heuschrecken insbesondere solchen Erfahrungen eine Vorrangstellung ein, die ihnen bei schlechten Bedingungen großen Nutzen gebracht hatten.

Zwei Mechanismen könnten dafür verantwortlich sein. Zum einen wäre es möglich, dass die Tiere je nach Ernährungszustand ihre Erinnerungen subjektiv verbrämen. Für wahrscheinlicher halten die Forscher um Pompilio jedoch, dass sich die Wahrnehmung der Heuschrecken mit dem Hungergrad verzerrt. Laut früheren Arbeiten werden die Geschmackssensoren an den Mundwerkzeugen der Insekten für verschiedene Schlüsselnährstoffe umso empfindlicher, je weiter die Nährstoff-Konzentrationen in der Hämolymphe sinken. Oder aber die Tiere können bei Futtermangel mehr Inhaltsstoffe aus der Nahrung gewinnen als in sattem Zustand – dann wäre nicht das objektive Häppchenangebot entscheidend, sondern der subjektive Gewinn nach dem Verspeisen. Jedenfalls aber weckte genau wie beobachtet jenes Objekt am meisten Interesse, das zu hungrigen Zeiten den Magen füllte.

Und worin liegt der Sinn des Ganzen? Vielleicht darin, Entscheidungen zu beschleunigen, vermuten die Forscher. So wäre es erheblich aufwändiger, die verschiedenen Optionen jedes Mal gegen den aktuellen Ernährungszustand abzuwägen – wie viel einfacher ist dagegen der Schluss, dieses oder jenes hat schon mal den Magen gefüllt, das macht es immer zu einer guten Wahl. Zwar droht damit, dass Besseres im Angebot missachtet wird, doch dürfte das laut Pompilio und ihren Mitarbeitern selten der Fall sein. Oder anders gesagt: Wem der Pizzaduft in die Nase steigt, der wird die Banane wahrscheinlich ohne groß zu zögern auf morgen verschieben.

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