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Aids: Der Kampf gegen HIV stockt - auch wegen Corona

Corona hat zuletzt vieles in den Schatten gestellt, so auch HIV und Aids. Mancherorts steigt die Zahl der Neuinfektionen wieder. Auf der Welt-Aids-Konferenz soll nun gegengesteuert werden.
Aids-Schleife
Die Zahl der Neuinfektionen mit dem HI-Virus im vergangenen Jahr ist zwar im Vergleich zu 2020 gesunken, allerdings nur um 3,6 Prozent – so wenig wie seit 2016 nicht mehr.

Der Kampf gegen das Coronavirus überlagert derzeit häufig den Kampf gegen HIV. Aus Sorge vor einer weiteren Verbreitung von Sars-CoV-2 war 2020 sogar die gesamte Welt-Aids-Konferenz, die eigentlich in den kalifornischen Städten San Francisco und Oakland hätte stattfinden sollen, erstmals ins Internet verlagert worden. Zwei Pandemiejahre später startet nun am Freitag, 29. Juli, die nächste Auflage der 1985 erstmals durchgeführten Konferenz, die als weltweit größtes wissenschaftliches Treffen zum Thema Aids gilt. Diesmal findet sie bis zum 2. August im kanadischen Montreal statt – zumindest teilweise wieder mit Experten und Teilnehmern vor Ort.

»Im Rahmen der Coronapandemie ist es international zu dramatischen Reduktionen von HIV-Test- und Beratungseinrichtungen gekommen«, sagt Jürgen Rockstroh, Professor am Universitätsklinikum Bonn, der an der Welt-Aids-Konferenz teilnimmt. »Notwendige Laborkontrollen wurden gestreckt. Engpässe in der Medikamentenversorgung sind vielfach berichtet worden. Zudem haben sich viele Forscher, aber auch Public-Health-Kollegen, auf Covid konzentrieren müssen, so dass für HIV viele Ressourcen verloren gegangen sind.«

Millionen Leben sind von HIV bedroht

Das spiegelt sich in den Zahlen wider: Der Kampf gegen HIV und Aids sei weltweit ins Stocken geraten, hieß es in einem vor Beginn der Konferenz veröffentlichten Bericht des UN-Programms für den Kampf gegen Aids (UNAIDS). In einigen Regionen, in denen die Zahl der Neuinfektionen zuvor gesunken war, stieg sie nun wieder; Millionen von Leben seien bedroht.

Weltweit hätten sich im vergangenen Jahr rund 1,5 Millionen Menschen neu mit dem HI-Virus infiziert. Damit sei die Zahl der Neuinfektionen im Vergleich zum Vorjahr zwar noch gesunken, allerdings nur um 3,6 Prozent – so wenig wie seit 2016 nicht mehr. Unter anderem in Osteuropa, Teilen Asiens, Lateinamerika, dem Nahen Osten und Nordafrika sei die Zahl der Neuinfektionen sogar gestiegen. Auch im Osten und Süden Afrikas sei der Fortschritt ins Stocken geraten. Einen Rückgang der Infektionen habe es beispielsweise in West- und Zentralafrika sowie in der Karibik gegeben.

»Die neuen Daten bestätigen unsere schlimmsten Befürchtungen – dass die Auswirkungen der weltweiten Covid-19-Pandemie und der anderen Krisen den Kampf gegen Aids ausgebremst haben«Tom Hart, Chef der Entwicklungsorganisation One

Wenn eine HIV-Infektion nicht behandelt wird, schwächt das Virus das Immunsystem so stark, dass lebensgefährliche Krankheiten auftreten. Man spricht dann von Aids (erworbenes Immunschwäche-Syndrom).

»Die neuen Daten bestätigen unsere schlimmsten Befürchtungen – dass die Auswirkungen der weltweiten Covid-19-Pandemie und der anderen Krisen den Kampf gegen Aids ausgebremst haben«, kommentierte Tom Hart, Chef der Entwicklungsorganisation One, per Mitteilung. »Der Fortschritt von zwei Jahrzehnten wurde in nur zwei Jahren jäh gestoppt.«

Der Bericht bringe »schmerzhafte, aber lebenswichtige Neuigkeiten«, sagte UNAIDS-Chefin Winnie Byanyima bei einer Pressekonferenz am Mittwoch. Der US-Immunologe Anthony Fauci sprach von einem »Weckruf«, der daran erinnere, »dass wir es besser machen können«.

Bei HIV-Infizierten, die sich zusätzlich mit Corona anstecken, sind schwere Verläufe der Covid-19-Erkrankung deutlich wahrscheinlicher. »Coronaimpfungen schlagen aber auch bei Menschen, die mit HIV leben, gut an«, sagt Mediziner Rockstroh. Sie sollten entsprechend priorisiert werden.

Neben der Coronapandemie bereiteten unter anderem auch der Krieg in der Ukraine, das vermehrte Auftreten von Affenpocken und die schwierige weltwirtschaftliche Lage Sorgen im Kampf gegen HIV und Aids. Daher sei die Konferenz nun sehr wichtig, sagt Rockstroh. »Es gibt großen Bedarf, sich wieder auszutauschen und über Strategien zur HIV-Elimination in Zeiten von Pandemien und Krieg zu diskutieren.« Denn eigentlich seien alle Werkzeuge, die dafür benötigt würden, HIV zu beenden, vorhanden – unter anderem antiretrovirale Therapien und effiziente Präventionsmaßnahmen in Form von Tabletten oder Spritzen.

Zeit, dass sich Entscheidungshoheit verschiebt

Viele Menschen, gerade aus stark von HIV und Aids betroffenen Ländern, hätten kein Visum zur Teilnahme an der Konferenz in Kanada bekommen, beklagt Nitika Pant Pai von der McGill University in Montreal. Sie wünsche sich, dass die kommenden Konferenzen beispielsweise in Asien oder Lateinamerika stattfänden. »Es ist höchste Zeit, dass sich die Machtstruktur und die Entscheidungshoheit zu Gunsten derjenigen Länder verschieben, die am meisten leiden.«

Pai vergleicht den Kampf gegen HIV und Aids mit einem Langstreckenflug: Vor Beginn der Coronapandemie habe man gehofft, eine gute Flughöhe erreichen zu können. Viele Länder seien auf einem sehr guten Weg gewesen. Mit Corona erlebe dieser Flug nun Turbulenzen – aber die Pandemie habe auch positive Faktoren gebracht, vor allem im Hinblick auf Forschung, etwa an Impfstoffen.

Pai zeigt sich optimistisch: »Bei HIV können wir den Horizont der Eliminierung erkennen«, sagt die Wissenschaftlerin – und greift wieder auf ihre Flugmetapher zurück. »Wir versuchen, zu unserem Langstreckenflug zurückzukehren, die Selbstzufriedenheit abzustreifen und wieder auf den Weg zur Eliminierung zu kommen, so dass wir bei dieser einen Pandemie eine sanfte Landung hinbekommen.«

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