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News: Der kleine Unterschied

Auf der Suche nach unseren Urahnen bedienen sich Genetiker zweier unterschiedlicher Hilfsmittel: Die Uroma lässt sich durch die mitochondriale DNA zurückverfolgen, das Y-Chromosom weist dagegen auf den Uropa hin. Dabei variieren jedoch innerhalb einer Population die weiblichen Linien häufig sehr stark, während die männlichen eher konstant bleiben. Jetzt konnten Wissenschaftler diese genetischen Variationen auf das unterschiedliche Wanderverhalten der Geschlechter zurückführen: Frauen heiraten meist in neue Populationen ein, während die Männer eher ortsfest bleiben.
Die Geschichte unserer Ahnen spiegelt sich in unserem Erbgut wider. Durch genetische Analysen konnten Anthropologen die Wanderzüge der verschiedensten Völker über die Kontinente rekonstruieren und den Ursprung der Menschheit in Afrika zurückverfolgen. Meist greifen Genetiker auf das überschaubare genetische Material der Mitochondrien zurück. Diese Organellen, die unsere Zellen mit Energie versorgen, verfügen über ein kleines, ringförmiges DNA-Molekül, das unabhängig von den Chromosomen weiter vererbt wird. Da ein Spermium bei der Verschmelzung mit einer Eizelle seine Mitochondrien in der Regel nicht weitergibt, stammt der überwiegende Teil der mitochondrialen DNA (mtDNA) von der mütterlichen Eizelle. Mit mtDNA-Analysen lässt sich daher die mütterliche Ahnenreihe bis zurück zu einer "Ur-Eva" verfolgen. Wer sich dagegen für den "Ur-Adam" interessiert, muss auf das Y-Chromosom zurückgreifen. Denn dieses wird nur von den Vätern auf die Söhne übertragen, sodass sich hier die männliche Ahnenreihe analysieren lässt.

Damit liegen den Genetikern zwei unterschiedliche Werkzeuge vor, mit denen sie ihre Stammbäume aufstellen können. Diese sollten dann mehr oder weniger deckungsgleich sein. Doch dem ist oft nicht so. Es zeigt sich vielmehr, dass sich die Gene der mütterlichen mtDNA innerhalb ein und derselben Population meist stark unterscheiden. Zwischen verschiedenen Populationen sind die Unterschiede dagegen nicht so groß wie erwartet. Beim väterlichen Y-Chromosom ist es dagegen oft umgekehrt. Während seine Gene in derselben Population erstaunlich konstant bleiben, variieren sie zwischen den Populationen oft sehr stark. Warum?

Als mögliche Erklärung für diesen Unterschied sahen die Anthropologen ein unterschiedliches Reproduktionsverhalten der Geschlechter, wie es auch bei vielen Tieren angetroffen wird. So könnte es sein, dass in einer Population nur wenige Männer ihr Erbgut weitergeben, sodass sich im Genpool auch nur wenig verschiedene Gene vom Y-Chromosom wiederfinden lassen.

Mark Seielstad von der Harvard School of Public Health schlug 1998 eine andere Erklärung vor: das unterschiedliche Wanderverhalten der Geschlechter. Etwa 70 Prozent der menschlichen Gesellschaften sind so genannte patrilokale Gruppen. Hier heiraten die Frauen in die bestehenden männlichen Sozialsysteme ein und gelangen damit in eine neue Population. Die Männer hingegen verharren ortstreu in ihrem alten Genpool, der sich daher wenig ändern sollte. Bei matrilokalen Gesellschaften ist es dagegen genau umgekehrt: Hier verlassen die Männer ihre angestammte Heimat und wandern auf der Suche nach einer Lebensgefährtin herum. Bei diesem Sozialsystem müsste dann der mütterliche Genpool eher konstant bleiben.

Die Arbeitsgruppe von Mark Stoneking vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig überprüfte jetzt zusammen mit Wissenschaftlern aus Thailand und Japan diese Hypothese. Bei der Suche nach vergleichbaren Sozialsystemen wurden die Forscher in der Bergwelt an der Grenze von Thailand, Laos und Myanmar fündig. Hier leben – unter ähnlichen Bedingungen – sowohl patrilokale als auch matrilokale Volksgruppen zusammen. Die Wissenschaftler konnten hier das Erbgut von sechs Stämmen miteinander vergleichen, drei patrilokalen und drei matrilokalen.

Die Ergebnisse unterstützen Seielstads Hypothese: Bei den drei patrilokalen Stämmen, die Frauen in ihrer Gemeinschaft aufnehmen, schwankt das Erbgut der mtDNA sehr stark, während sich die Gene auf den Y-Chromosomen nur wenig voneinander unterscheiden – so wie das bei den meisten menschlichen Populationen der Fall ist. Bei den drei matrilokalen Stämmen ist es dagegen genau umgekehrt: Die Gene der mtDNA variieren deutlich weniger, die der Y-Chromosomen dafür um so mehr.

Der Genetiker David Goldstein vom University College London warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen, da die untersuchten Populationen nur klein und lokal begrenzt sind. Andererseits betonen die Wissenschaftler um Stoneking die gute Vergleichbarkeit der untersuchten Volksgruppen: Sie leben in der gleichen Region, sprechen ähnliche Sprachen und verwenden ähnliche landwirtschaftliche Methoden. In einem Punkt gibt Goldstein ihnen recht: "Wo immer es möglich ist, sollten zukünftige Studien sowohl die weibliche als auch die männliche Geschichte der Populationen berücksichtigen."

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