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Großkatzen: Der König verliert sein Reich

Löwen, die Symboltiere von Afrikas Savannen, sind zunehmend bedroht. Sterben sie aus, verliert die Menschheit auch eine Quelle der Inspiration.
Abenddämmerung färbt Löwen rot

Schwierige Aufgaben musste Herakles – auch bekannt als Herkules – erledigen, um sich von seiner Schuld zu befreien: Er hatte, vom Wahnsinn geplagt, seine eigenen Kinder getötet und sollte nun zwölf Jahre Dienst bei seinem älteren Großcousin Eurystheus leisten und dabei zwölf Heldentaten vollbringen. Gleich bei der ersten sollte der Göttersohn ein gefährliches Tier töten – den Nemëischen Löwen, ein unverwundbares Wesen, das auf dem Peloponnes für Angst und Schrecken sorgte. Dessen Fell sollte der in Ungnade gefallene Herakles nun dem verhassten Erstgeborenen überbringen, doch der Löwe fiel weder durch Pfeile noch durch einen Keulenschlag. Der Heros musste ihn schließlich mit bloßen Händen erwürgen, und das Fell ließ sich nur mit den eigenen Krallen aufschneiden und abziehen. Herakles schneiderte sich schließlich daraus einen Umhang, der ihn selbst ebenfalls fast unverwundbar machte. Der Nemëische Löwe war jedoch nicht Herakles' einziger Kontakt mit diesen Raubkatzen: Zuvor schon war er gegen den Kithäronischen Löwen zu Felde gezogen, der im Land seines Stiefvaters Amphitryon Angst und Schrecken verbreitete – auch ihn tötete der Held der griechischen Mythologie.

Abenddämmerung für den Löwen? | Kein Platz mehr für den König der Tiere: Afrikas Savannen schrumpfen rapide in dem Tempo, in dem die Bevölkerung zunimmt. Zehn Jahre Zeit geben Forscher der Großkatze noch, wenn nicht umfassende Schutzmaßnahmen eingeleitet werden.

Tatsächlich lebten noch in der Antike Löwen (Panthera leo) in Griechenland und auf dem südlichen Balkan bis ins südliche Serbien und in Bulgarien. Das belegen neben zahlreichen Heldengeschichten und Berichten zeitgenössischer Gelehrter wie Aristoteles auch umfangreiche Funde fossiler und subfossiler Knochen. Erst im ersten Jahrhundert nach Christi Geburt starb die Großkatze endgültig in Europa aus: verdrängt und ausgerottet durch Trophäenjagd und die Bekämpfung des gefährlichen Fleischfressers, der Hirten schweren Schaden zufügen konnte – ein Gebietsverlust, der sich seit damals dramatisch ausgeweitet hat. In den letzten Jahrhunderten verschwanden Löwen praktisch aus dem gesamten asiatischen Raum, wo sich heute nur noch 400 Angehörige der asiatischen Unterart im indischen Gir-Wald halten. Auch in Afrika, seinem letzten Verbreitungsschwerpunkt, musste sich das Raubtier aus ganz Nordafrika zurückziehen: Die berühmten großen Berberlöwen, die einst im Kolosseum zu Rom kämpfen mussten, überlebten wohl nur als genetisch vermischte Hybriden in verschiedenen Zoos und Zirkussen.

Nur noch wenige Hochburgen

Doch damit ist der Niedergang des "Königs der Tiere" nicht beendet, warnen verschiedene Wissenschaftler und Naturschützer. Seit 1960 habe sich die Zahl der afrikanischen Löwen um zwei Drittel auf heute nur noch maximal 35 000 Exemplare verringert, schließt eine Studie von Philipp Henschel von Panthera, einer Organisation, die sich intensiv dem Erhalt von Großkatzen widmet. Noch drastischer fallen sogar die Zahlen von LionAid aus, die den Bestand bei maximal 15 000 Löwen in ganz Afrika sieht. Schlimmer noch: "Viele Löwen leben in kleinen, isolierten Populationen. Das macht ihr Überleben zweifelhaft", zeigt sich Luke Dollar von der Duke University wenig optimistisch.

Besonders kritisch ist die Situation für die Löwen Westafrikas: Nur noch rund 500 Tiere verteilen sich dort über acht voneinander getrennte Gebiete. Ohne Austausch untereinander verarmen sie genetisch, was sie anfälliger für Krankheiten oder fatale Verschiebungen im Geschlechterverhältnis macht. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich zudem die Bevölkerungszahl in der Region verdoppelt – all diese Menschen benötigen Nahrung und Land, was Räuber und Beute an den Rand drängt. Mit den westafrikanischen Löwen könnte eine einzigartige Unterart aussterben, die neuesten genetischen Untersuchungen zufolge näher mit den asiatischen denn mit den ostafrikanischen Vettern verwandt ist.

Verbreitungsgebiet | Aktuell besiedeln Löwen nur noch einen kleinen Teil ihres früheren Verbreitungsgebiets (blau). In Asien ist er praktisch komplett ausgestorben – nur nicht im Gir-Wald.

Auch in anderen Teilen Afrikas sieht die Situation kaum besser aus: "Wir haben insgesamt nur zehn potenzielle Löwen-Hochburgen ausfindig gemacht, wo die Art sehr gute Überlebenschancen hat – die meisten davon liegen in großen Nationalparks", erzählt Henschel. Laut LionAid sieht es sogar noch düsterer aus, denn in nur fünf Teilgebieten liegt die Zahl der Löwen über 1000 Tiere und damit in einem einigermaßen sicheren Bereich: Drei davon befinden sich in Tansania und Kenia – darunter das Selous-Reservat mit mehr 4000 Tieren, je einer in Südafrika und Botswana/Simbabwe.

Damit befinden sich die Löwen mittlerweile auf der gleichen fatalen Abwärtsspirale wie fast alle anderen Großkatzen: Nur noch maximal 3500 Tiger sollen durch Asiens Urwälder und Savannen streifen – verteilt auf mehrere Unterarten und wenige Kerngebiete wie Teile Indiens oder den russischen Nordosten. Die in den Hochgebirgen Zentralasiens lebenden Schneeleoparden wurden auf maximal 6500 Köpfe reduziert – ihr Fell und die Knochen sind auf dem Schwarzmarkt begehrt, Viehzüchter trachten ihnen nach dem Leben, weil sie auch Schafe und andere Haustiere erlegen. Geparden bringen es immerhin noch auf 10 000 Individuen, doch sind sie praktisch aus ganz Asien verschwunden (nur noch im Iran hält sich eine kleine Gruppe), und in Afrika machen ihnen Krankheiten, Lebensraumzerstörung und genetische Verarmung zu schaffen. Selbst der Jaguar, der immerhin noch großflächig in Teilen Süd- und Zentralamerikas vorkommt, musste bereits 40 Prozent seines ursprünglichen Verbreitungsgebiets aufgeben; und der Rest wird zunehmend zerstückelt. Als Spitze der Nahrungsnetze kommen alle diese Großkatzen von Natur aus selten vor, benötigen viel Raum und Wild und ängstigen Menschen, da sie eine potenziell tödlich Gefahr sein können – für das Überleben der Arten eine fatale Kombination.

Wie so häufig bei gefährdeten Tieren setzt diese ganze Reihe an Problemen den Löwen ebenfalls zu, wie Pieter Kat von LionAid zusammenfasst: "Sie leiden unter Lebensraumzerstörung, dem Rückgang an Beute wegen der Nachfrage nach Buschfleisch, unkontrollierter Trophäenjagd und jetzt auch noch unter der neuen Nachfrage nach Löwenknochen, die jene des Tigers in der traditionellen asiatischen Medizin ersetzen sollen." Vor allem der rapide Verlust an geeigneten Lebensräumen mache der Großkatze zu schaffen, schließt auch die Studie von Panthera: Parallel zum Wachstum der ortsansässigen Bevölkerung und dem nötigen Bedarf an landwirtschaftlichen Flächen sind die Savannen massiv geschrumpft. "Das Wort Savanne weckt Bilder von weiten Ebenen mit reichhaltigem Tierleben. Doch von diesem Ökosystem, dessen Fläche einst um ein Drittel größer war als jene der USA, blieb nur ein Viertel übrig", sagt Stuart Pimm von der Duke University, der die Studie leitete.

Quo vadis, Leo?

Henschels und Pimms Analyse kam wie eine Art Schock. Denn bislang vermittelten Satellitenbilder, dass Afrikas Savannen größtenteils intakt seien – eine trügerische Sicherheit, so Jason Riggio, ebenfalls Teil des Duke-Teams: "Anhand eigener Anschauung vor Ort wussten wir, dass die vorhandenen Karten falsch sind." Erst hoch aufgelöste Satellitenaufnahmen zeigten das wahre Ausmaß der menschlichen Einflussnahme: "Viele dieser Gebiete sind übersät mit kleinen Feldern und ausgedehnten, wenngleich dünn besiedelten Dörfern. Dort kann kein Löwe überleben."

Löwinnen | Löwen sind die einzige gesellige Großkatzenart: Jedes Rudel besteht aus einem Männchen und mehreren Weibchen.

Welche Konflikte daraus erwachsen, zeigt sich gut am Beispiel Tansanias, das afrikaweit immer noch die meisten Löwen beherbergt. Vor allem in den dichter besiedelten Landesteilen raubt die oft unkontrollierte Bejagung von Wild den Katzen die Beute: Statt an Zebras oder Antilopen müssen sich die Tiere an die kleineren Warzenschweine halten, die wiederum bevorzugt auf den zahlreichen Feldern nach Fressbarem suchen. Dort treffen die Löwen schließlich auf Kleinbauern, die nachts Wache halten, um ihre Ernten zu schützen. Nur zu häufig endet das fatal für die Menschen: Allein zwischen 1990 und 2005 starben mehr als 500 Personen durch Löwenattacken, was umgekehrt zu gezielten Abschüssen führt, um die Gefahr auszuschalten.

Welches Dilemma Löwen für Viehzüchter darstellen können, schildert auch der Erfahrungsbericht eines Hirten aus dem Umfeld das kamerunischen Nationalparks Waza, einem der letzten Plätze Westafrikas, wo noch Rudel der majestätischen Jäger leben: "Wir versuchten die Löwen von unseren Herden wegzujagen, doch waren sie davon überhaupt nicht beeindruckt. Sie zogen sich nur etwas zurück und schnappten sich ein weiteres Schaf. Sie töten einfach nur. Ein Schaf haben sie weggeschleppt, aber das Kalb und drei weitere Schafe wurden umsonst umgebracht. Wir können das Fleisch nicht essen, denn unsere muslimische Tradition erfordert, dass ein Tier von einem Muslim getötet werden muss."

Bis zu 1000 Dollar im Jahr können Viehzüchter vor Ort durch die Löwen verlieren, schätzt eine Studie von Fred de Boer von der Universität Wageningen – eine riesige Summe für die armen Menschen der Region. Dennoch suchen sie weiterhin gezielt die Nähe zum Nationalpark auf, obwohl dort die größten Verluste drohen; gleichzeitig finden ihre Herden dort bessere Nahrungsgründe und Wasser, die andernorts bereits übernutzt sind. Aus Vergeltung werden Löwen in vielen Teilen Afrikas deshalb vergiftet oder geschossen. Dabei ließe sich schon mit wenigen kleinen Änderungen die Zahl der gerissenen Schafe, Ziegen oder Kühe verringern, wie die Forscher in Kamerun herausfanden. So mussten diejenigen Hirten die meisten Opfer beklagen, welche angreifende Löwen vertreiben wollten: Dadurch treiben sie erst recht ihre Herden auseinander. Letztlich profitieren davon aber die Raubkatzen. Wer also Ruhe bewahrt, minimiert Verluste. Einfacher umzusetzen sind dagegen dornenbewehrte Pferche, in die die Herden nachts getrieben werden, oder mehr Hirten, die zur Verstärkung die Tiere begleiten.

Die Löwenwächter

Andernorts werden die Löwen gezielt geschossen, weil sie als lukrative Trophäe für Jagdtouristen gelten. "Zweifellos ist Tansania von entscheidender Bedeutung für das Überleben der Löwen. Doch die Entscheidungsträger zeigen kein großes Engagement, dass die Tiere auch tatsächlich überleben. Stattdessen scheinen sie mehr damit beschäftigt zu sein, Profit aus den Tieren zu schlagen – gleich was es ist", zürnt Kat. Tansania ist eines der wichtigsten Ziele für Trophäenjäger.

Der König der Tiere | Löwen gehören zu den begehrtesten Zielen von Trophäenjägern – auch ein Grund, warum ihre Zahl abnimmt.

Botswana dagegen will ab 2014 jegliche Trophäenjagd auf Staatsland verbieten, so Präsident Ian Khama in einer Rede an die Nation: "Das Abschießen von Wildtieren nur zum Spaß oder für Trophäen lässt sich nicht mehr länger in Einklang bringen mit unserer Verpflichtung, die heimische Fanua als nationalen Schatz zu bewahren. Die Tiere sollten auch als solcher Schatz behandelt werden." Andernorts soll schnöde Marktwirtschaft helfen – angesichts der desolaten Situation von Panthera leo hilft wohl nur noch seine Kapitalisierung. "In Süd- und Ostafrika bringen Löwen Milliarden Dollar durch Touristen ein. Das stachelt diese Nationen an, in ihren Schutz zu investieren", fast Henschel zusammen: "Das touristische Potenzial der Löwen ist einzigartig, und keine Tierart zieht mehr Besucher in die großen Naturparks des afrikanischen Kontinents."

Die Menschen vor Ort müssen jedoch davon profitieren, ist sich Henschel mit zahlreichen Kollegen einig: "Die Einnahmen aus dem Tourismus sollten sowohl in den Schutz der Art fließen als auch in Projekte, die Menschen helfen, mit Löwen und anderen Wildtieren zu existieren." Mut machen ihm Länder wie Tansania und Botswana, die ein Drittel ihrer Landesfläche unter Naturschutz gestellt haben. "In Deutschland sind es drei Prozent", so der Panthera-Forscher.

In Kenia konnte im Bereich des riesigen Amboseli-Parks der Abwärtstrend sogar gestoppt und umgekehrt werden, erzählt Henschel von einem der bislang wenigen Erfolgserlebnisse: "Die Maasai in der Region leben fast ausschließlich von der Rinderzucht und stehen damit im ständigen Konflikt mit Löwen. Traditionell jagten und erlegten sie einzelne Problemlöwen mit Speeren, jedoch sank unter jungen Maasai die Toleranz, und im letzten Jahrzehnt wurden vermehrt ganze Rudel vergiftet – fast bis zur völligen Ausrottung der Löwen. Ab 2007 wurden junge Maasai-Krieger zu Hütern der Löwen ausgebildet. Jeder erhält 'seinen' Löwen, der besendert wurde. Sobald sich dieser Löwe einer Siedlung der Maasai nähert, muss er die Hirten vor dem nahen Löwen warnen und ihnen beim Schutz ihrer Rinder helfen. Wenn doch einmal ein Rind gerissen wird, versuchen die Krieger zudem aktiv auf andere Maasai einzuwirken, um das Töten ihres Tiers zu verhindern." Seit der Einführung der "Löwenwächter" hat sich der Bestand der Löwen in der Region wieder deutlich erholt – und auch die von den Katzen verschuldeten Viehverluste haben sich deutlich verringert.

Zehn Jahre bleiben

Ganz anders sieht es in Westafrika aus: "Naturtourismus entwickelt sich dort nur langsam. Und Löwen besitzen dort momentan praktisch keinen ökonomischen Wert, während die Übergriffe der Großkatzen auf Vieh sehr wohl Kosten verursachen. Es ist eine einfache Rechnung – mit einem fatalen Ausgang für den Löwen."

Sterben die Löwen in Freiheit aus, verliert die Menschheit jedenfalls eine stete Quelle der Inspiration: Seit Jahrtausenden bilden wir sie ab, erheben sie zu Wappentieren, benennen Sternbilder nach ihnen, verehren sie als Götter – die Sphinx bei den Pyramiden von Giseh ist ein Musterbeispiel – oder bauen sie in Fabeln und Heldengeschichten ein. Der Verlust wäre also nicht nur ein ökologischer. Viel Zeit bleibt den Löwen und ihren Bewahrern aber wohl nicht mehr, befürchtet Andrew Jacobson von der Duke University: "Die nächsten zehn Jahre sind entscheidend nicht nur für die Löwen, sondern für die gesamte Artenvielfalt der afrikanischen Savannen. Um den Löwen überhaupt so etwas wie eine reelle Chance zu geben, müssen wir uns gewaltig anstrengen."

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