Es klingt wie eine mystische Legende: Das "Ich" verlässt
seinen physischen Ort und betrachtet seine körperliche
Hülle von hinten. Doch was nach parapsychologischem Humbug
klingt, lässt sich tatsächlich im Labor erzeugen.
Außerkörperliche Erfahrungen genießen
einen zweifelhaften Ruf. Wer erzählt, er habe seinen
Körper von oben oder von der Seite gesehen, dem wird mit
großer Wahrscheinlichkeit eine rege Fantasie oder ein Hang
zur Parapsychologie unterstellt. Dennoch interessieren sich auch
seriöse Neurowissenschaftler für das obskure Thema -
schließlich können derartige Erlebnisse die
Mechanismen enthüllen, die unsere Selbstwahrnehmung an den
Körper binden. Doch wie lässt sich eine
"Out-of-Body"-Erfahrung in einem reproduzierbaren Experiment
auslösen?
Out-of-Body-Experiment | Ein kleiner technischer Trick lässt das "Ich" aus dem
Körper entweichen: Während die Versuchsperson
über eine Videokamera sich selbst von hinten sieht, wird er
mit einem Stift auf der Brust berührt. Gleichzeitig erblickt
er die Bewegung eines zweiten Stiftes auf seiner
Körperrückseite.
Beachten Sie hierzu auch das Video unter "Medien"!
Mit moderner Technik! Henrik Ehrsson vom Stockholmer
Karolinska-Institut setzte seinen Testpersonen eine Videobrille auf, in
der sie ein Live-Video von sich selbst sahen – gefilmt von einer Kamera
zwei Meter hinter ihrem Rücken. So entstand bei den Probanden
der Eindruck, auf den eigenen, vor sich sitzenden Körper zu
blicken [1]. Ähnlich machten es Wissenschaftler um
Bigna Lenggenhager und Olaf Blanke von der Eidgenössische
Technische Hochschule Lausanne: Sie ließen den Film jedoch
zusätzlich in eine dreidimensionale Projektion
umrechnen [2].
Die Schweizer Forscher orientierten sich in ihrem Versuchsaufbau am so
genannten Gummihand-Experiment, bei dem Probanden eine
künstliche Hand sehen, die gestreichelt wird, während
außerhalb des Blickfeldes die eigene Hand eine
ähnliche Berührung erfährt. Sollen die
Testpersonen danach auf die eigenen Finger zeigen, neigen sie dazu, auf
die künstliche Gliedmaße zu deuten. Entsprechend
streichelten die Wissenschaftler ihre Versuchsteilnehmer am
Rücken, während diese die Berührung als
Live-Aufnahme sahen. Danach führten sie die Probanden mit
verbundenen Augen weg und baten sie, ihre ursprüngliche
Position wieder einzunehmen.
Tatsächlich bewegten sich die Testpersonen nicht auf den
Platz, an dem sie ursprünglich gestanden hatten, sondern
weiter nach vorne – wo sie die dreidimensionale Projektion ihres
Rückens gesehen hatten. Genau wie beim Gummihand-Experiment
hatten sie also die falsche Version für echt gehalten, nur
handelte es sich diesmal nicht um einen Körperteil, sondern um
den ganzen Menschen. Dies entspricht – so deuten Lenggenhager und Co
ihr Ergebnis – einer außerkörperlichen Erfahrung.
Auf eindrucksvolle Weise hat das auch ihr Stockholmer Kollege Ehrsson
belegt: Er hatte im unteren Blickfeld der Kamera einen Hammer in die
Richtung geschwungen, in der sich der Bauch des virtuellen
Körpers befinden sollte. Den Probanden brach bei diesem
Anblick der Schweiß aus – sie fühlten sich wirklich
bedroht!
Wenn eine derart einfache Manipulation der visuellen Informationen eine
außerkörperliche Erfahrung erzeugen kann,
genügen dann allein diese Informationen, um unser "Ich" dort
zu verorten, wo sich auch unser Körper befindet? Ganz so
einfach ist die Sache nicht. Offensichtlich brauchten die Probanden
auch die synchrone Berührung ihres realen sowie ihres
virtuellen Körpers, um das gesehene Bild als echt zu bewerten:
Sahen die Schweizer Versuchpersonen lediglich das vorher aufgenommene
Video, ohne dass sie berührt wurden, fanden sie an ihren
Standort zurück.
Ehrssons Hammer-Nachweis funktionierte ebenfalls besser, wenn er seine
sitzenden Probanden zuvor mit einem Stift an der Brust berührt
hatte, während er im Kamerablickfeld einen zweiten Stift in
Richtung des virtuellen Körperteils bewegte. Als entscheidend
erwies sich auch, dass die Versuchsteilnehmer in den Live-Videos
tatsächlich ihren eigenen Rücken betrachteten: Als
die Wissenschaftler um Lenggenhager stattdessen einen Dummy oder einen
Block in Menschengröße von hinten filmten,
schwächte sich der Effekt bei den Probanden deutlich ab.
Ehrsson schließt aus seinem Experiment, dass zwei
Schlüsselfaktoren bestimmen, wo wir unser Selbst verorten: die
visuelle Information aus der Ich-Perspektive – im Experiment durch die
Videobrille manipuliert – sowie die Kombination aus dem
Empfinden und gleichzeitigen Beobachten einer Berührung. Nach
Meinung seiner Schweizer Kollegen müsste für eine
echte außerkörperliche Erfahrung als drittes noch
eine kognitive Komponente dazukommen: die bewusste
Überzeugung, dass der in der Brille gesehene Körper
der eigene ist. Darauf führt Lenggenhager auch einen
Widerspruch zurück, der bei ihrem Experiment auftrat: Obwohl
die Versuchspersonen sich fälschlicherweise zu dem Ort
bewegten, an dem sie die Projektion ihres Körpers gesehen
hatten, behaupteten sie standhaft, sie hätten keine echte
Entkörperlichung erlebt.
Für die oft belächelten Patienten, die in vollem
Ernst von solchen Erlebnissen berichten, glaubt Bigna Lenggenhager
trotzdem eine neurologische Erklärung gefunden zu haben: Ihrer
Meinung nach könnte eine Störung an der Schnittstelle
der beiden Hirnbereiche, die das Sehen aus der Ich-Perspektive und die
sensorischen Informationen über die Umgebung koordinieren, das
Gefühl der Entkörperlichung bewirken. Vielleicht
steckt also doch ein wenig mehr als sprühende Fantasie
dahinter.
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