Direkt zum Inhalt

Aids: Der lange Weg zu einer HIV-Impfung

Klinische Studien testen zwar bereits Impfstoffe, die gegen Aids schützen sollen. Gleichwohl ist unklar, ob es jemals eine Impfung gegen HIV geben wird. Das HI-Virus ist schwer zu knacken.
Spritze in Virus

Im Jahr 1981 beschrieb der kalifornische Arzt Michael S. Gottlieb eine neue und ungewöhnliche Krankheit, die damals besonders bei homosexuellen Männern auftrat. Als Ursache vermutete er ein gestörtes Immunsystem. Weitere ähnliche Fallbeschreibungen folgten, und die Mediziner einigten sich bereits ein Jahr später auf die Bezeichnung Acquired Immune Deficiency Syndrome (Aids).

Im Jahr 1983 fanden drei französische Forscher dann den Auslöser für die seltsame Krankheit, das Human Immunodeficiency Virus (HIV oder HI-Virus). Der Erreger greift gezielt Zellen des Abwehrsystems an, vermehrt sich in ihnen, setzt sie außer Funktion und zerstört sie schließlich. Damals waren die Prognosen für die Betroffenen ziemlich schlecht, heutzutage können Infizierte dank Medikamenten zumeist ein relativ normales Leben führen.

Verbreitung von HIV

Ende 2020 lebten weltweit rund 38 Millionen Menschen mit HIV. Davon wussten etwa 84 Prozent von ihrer Infektion. Zirka 6 Millionen lebten unwissentlich mit der Krankheit. Im Jahr 2020 infizierten sich 1,5 Millionen Menschen weltweit neu mit HIV. Etwa 28 Millionen hatten Ende Juni 2021 Zugang zu HIV-Medikamenten, der Rest nicht. 680 000 Menschen starben im Zusammenhang mit ihrer HIV-Infektion.

Eine der wirkungsvollsten medizinischen Maßnahmen, die vor einer Viruserkrankung schützt, ist eine Impfung. Bestenfalls lässt sich die Krankheit damit sogar ausrotten, wie etwa bei Pocken geschehen. Logisch also, dass Wissenschaftler kurz nach der Entdeckung des HI-Virus damit anfingen, nach einem Impfstoff gegen den Erreger zu fahnden. Bislang ohne Erfolg.

Der Virologe und Impfstoffexperte Rip Ballou leitet das HIV-Vakzinprogramm bei der Non-Profit-Organisation International AIDS Vaccine Initiative (IAVI). Die Initiative unterstützt verschiedene Forschungsprojekte, die nach einem Impfstoff gegen HIV suchen – und Ballou kennt die vielen Probleme und Rückschläge, die dabei auftreten. »Einen effektiven Impfstoff gegen HIV zu entwickeln, ist eine große Herausforderung, denn wir müssen etwas im Labor kreieren, das die Natur nicht selbst kann.«

Bei den meisten anderen Viruserkrankungen ist die Situation hingegen anders. Ballou zieht als Vergleich das neue Coronavirus heran: »Die große Mehrzahl der Covid-19-Erkrankten wird wieder gesund.« Das bedeutet, der Körper findet Mittel und Wege, mit dem Virus fertig zu werden. »Im Gegensatz dazu gibt es bei HIV nicht einen einzigen Fall, bei dem jemand die Infektion ganz allein besiegen konnte.« Zwar existiert eine sehr seltene Gruppe von Menschen, die bereits neutralisierende Antikörper entwickeln und das Virus dadurch zumindest in Schach halten können, aber die großen Mehrheit der HIV-Positiven muss lebenslang behandelt werden, um einen tödlichen Ausgang zu verhindern.

Schwierigkeiten bei der Entwicklung einer HIV-Impfung

Das körpereigene Immunsystem erkennt und bekämpft ein Virus in der Regel anhand bestimmter Proteine auf der Oberfläche des Eindringlings. Das macht sich eine Impfung zu Nutze, indem sie dem Körper diese Merkmale gewissermaßen in einer ungefährlichen Form präsentiert. Das Immunsystem lernt den Erreger auf diese Art und Weise schonend kennen und ist für den Ernstfall gewappnet, da es Antikörper gegen das Virus gebildet hat. Gelangt der Erreger nun in den Körper, kann das Immunsystem ihn mit Hilfe der Antikörper erkennen und unschädlich machen, bevor es zur Erkrankung kommt. Auch eine potenzielle HIV-Impfung soll auf diese Art und Weise vor Aids schützen.

Das HI-Virus hat jedoch vergleichsweise wenige charakteristische Merkmale auf seiner Oberfläche. Und diejenigen Strukturen, die das Immunsystem theoretisch angreifen könnte, verstecken sich hinter einem Schild aus komplexen Kohlenhydraten: »Dieses so genannte Glykanschild macht es für Antikörper sehr schwierig, an das Virus zu binden«, erklärt Ballou.

Damit noch nicht genug: Von HIV gibt es viele Subtypen und Mutationen. Es mutiert beispielsweise viel schneller als Sars-CoV-2. Eine einzige Person allein ist meistens von einem ganzen Schwarm an mutierten HI-Viren und Subtypen infiziert. All das erschwert die Impfstoffentwicklung. Bei Sars-CoV-2 hingegen treffen die genannten Punkte nicht oder nur in geringerem Ausmaß zu.

Verschiedene Strategien

In den letzten Jahren wurden vor allem drei unterschiedliche Impfstrategien gegen HIV erforscht: Die erste setzt darauf, gewisse Bruchstücke des HI-Virus in den Körper zu injizieren – also beispielsweise bestimmte charakteristische Oberflächenproteine des Erregers. Die zweite Strategie nutzt gezielt veränderte Viren, so genannte virale Vektoren. Dazu werden für den Körper unschädliche Viren mit Merkmalen des HI-Virus ausgestattet. Die dritte Methode verwendet die Boten- oder mRNA. Sie enthält einen Bauplan für ein Protein, das dann von den Zellen hergestellt wird. Bei einer mRNA-Impfung möchte man einen solchen Bauplan für charakteristische Virusproteine in Körperzellen einschleusen. Die Zellen würden dann anfangen, die Proteine herzustellen und auf ihrer Oberfläche zu präsentieren.

Bei allen Strategien soll das Immunsystem die Virusproteine schließlich als fremd und potenziell schädlich erkennen, eine Immunreaktion entwickeln und Antikörper gegen die Proteine herstellen. Bei HIV gehen Experten mittlerweile auf Grund von Tierstudien davon aus, dass eine wirksame Impfstrategie höchstwahrscheinlich nur durch eine Abfolge verschiedener Impfungen zu erreichen ist.

Erste Erfolge

Der erste kleine Erfolg in der Entwicklung eines HIV-Impfstoffs gelang dann auch mit einer Kombination von Impfstoffen im so genannten Thai-Trial. Die im Jahr 2009 vom US-amerikanischen Militär durchgeführte Phase-III-Studie mit mehr als 16 000 Testpersonen zeigte, dass die Infektionsrate in einem Zeitraum von 3,5 Jahren in der Gruppe der Geimpften um etwa 30 Prozent im Vergleich zur Kontrollgruppe sank. Verwendet wurde ein Konzept, das aus zwei Einzelinjektionen besteht: ein so genanntes Prime-Boost-Vakzin. Bei der ersten Gabe, dem Primer, handelte es sich um einen viralen Vektor: eine veränderte Form eines so genannten Adenovirus, dem Bestandteile des HI-Virus zugefügt wurden. Adenoviren sind eine Erregergruppe, die eine Vielzahl von Erkrankungen auslösen können, etwa der Atemwege oder des Magen-Darm-Traktes. Für die Impfung werden sie aber abgeschwächt, so dass sie ungefährlich sind.

Die Boosterimpfung besteht stets aus einem anderen Impfstoff; beim Thai-Trial wurde ein charakteristisches Protein des HI-Virus verwendet. Die Kombination aus Primer und Booster soll das Immunsystem besonders stark anregen, indem die erste Impfdosis bereits eine Reihe von Immunzellen generiert, die Teile des HI-Virus erkennen. Diese Zellen würden dann eine schnellere und stärkere Immunreaktion auf den Booster hervorrufen.

Tatsächlich war der Booster allein bereits in einer früheren Phase-III-Studie erfolglos getestet worden. Doch erst das Prime-Boost-Vakzin zeigte dann eine gewisse Schutzwirkung. Um allerdings nachzuweisen, dass dieses Präparat tatsächlich funktioniert, sind Studien mit deutlich mehr Teilnehmern als im Thai-Trial notwendig. Zudem reicht für die Marktzulassung eine Schutzwirkung bei knapp einem Drittel nicht aus.

Auf den Thai-Trial folgten zunächst Studien mit ähnlichem Design: Eine untersuchte etwa, wie eine Auffrischungsimpfung bei einigen Teilnehmern der Thai-Studie sechs bis acht Jahre nach der ersten Impfung wirkte. Zwar zeigte das Immunsystem zunächst eine stärkere Antikörperreaktion als bei den ersten Impfungen, aber diese Reaktionen waren kurzlebig, und weitere Gaben des Impfstoffs konnten die Antikörperreaktion nicht weiter steigern.

Eine andere Studie rekrutierte neue Freiwillige, die alle das gleiche Impfschema wie in der Thai-Studie erhielten. Zusätzlich bekam ein Teil aber noch weitere Auffrischungsimpfungen mehrere Monate nach den ersten drei Impfungen. Die Ergebnisse wurden im Jahr 2020 veröffentlicht; sie würden darauf hindeuten, dass eine zusätzliche Verabreichung des Impfstoffs die Schutzwirkung verbessern würden so die Autoren.

MOSAICO, IMBOKODO und UHAMBO

Aufbauend auf dem Thai-Trial und den Nachfolgestudien wurden mehrere große Impfstoffstudien mit Prime-Boost-Konzepten entwickelt. Dazu gehören MOSAICO, die in Nordamerika, Lateinamerika und einzelnen europäischen Ländern derzeit durchgeführt wird, und IMBOKODO in einigen Ländern Afrikas und die bereits abgebrochene UHAMBO-Studie in Südafrika.

Deutschland eignet sich nicht als Studienland: Hier zu Lande haben wir nur sehr wenige jährliche Neuinfektionen. »Das ist einerseits sehr gut, denn die Präventionsmaßnahmen wirken«, so der Virologe Hendrik Streeck vom Universitätsklinikum Bonn, der an vorangehenden Machbarkeitsstudien beteiligt war. »Andererseits bedeutet es, dass das Risiko, sich mit HIV anzustecken, für Impfstoffstudien in Deutschland zu gering ist.« In Ländern wie Russland oder der Ukraine sprechen dagegen andere Gründe gegen die Durchführung: Dort sei das Risiko der Stigmatisierung der Studienteilnehmer zu hoch, da sich vermehrt homosexuelle Menschen mit HIV ansteckten. Betroffene werden bereits jetzt ausgegrenzt und teilweise sogar bedroht.

Die HIV-Impfstoff-Studien werden vom HIV Vaccine Trials Network, einer von öffentlichen Geldern finanzierten internationalen Organisation, in Kooperation mit Industrie und lokalen Partnern durchgeführt. Es handelt sich jeweils um randomisierte, kontrollierte Studien, »randomised controlled trials«, kurz (RCTs), was bedeutet: Aus den Studienteilnehmern werden mindestens zwei Gruppen gebildet. Die eine erhält ein Placebo, die andere den Impfstoff. Beide Gruppen sind möglichst gleich aufgebaut. Nach dem Zufallsprinzip wird entschieden, wer in welche Gruppe kommt. Weder der behandelnde Arzt noch die Teilnehmer wissen, wer das Placebo und wer den Impfstoff bekommt.

Die IMBOKODO-Studie startete im Jahr 2017, und insgesamt wurde rund 2600 Frauen zwischen 18 und 35 Jahre ein ähnlicher Prime-Boost-Impfstoff injiziert, wie er beim Thai-Trial verwendet wurde. Allerdings trägt der Primer die Gene von vier verschiedenen HI-Virus-Subtypen, unter anderem einem, der in Afrika am häufigsten vorkommt. »Mitte bis Ende nächsten Jahres wird es spannend. Denn da werden Ergebnisse der IMBOKODO-Studie veröffentlicht werden«, berichtet Streeck.

Auch die im Herbst 2019 gestartete MOSAICO-Studie testet einen Prime-Boost-Impfstoff. Der Primer ist der gleiche wie bei IMBOKODO, der Booster besteht hingegen auch aus verschiedenen Substanzen. Seine Zusammensetzung wurde jeweils für die dritte und vierte Dosis des Impfstoffs verändert. »Das ist eine Besonderheit des Impfstoffs: Man kann sich das wie ein Mosaikbild vorstellen«, erklärt Streeck, der bereits lange an HIV forscht. »Es wurden alle bekannten HI-Virentypen genommen und ein neues Virusprotein daraus gebastelt – aber kein ganzes Virus, weshalb der Impfstoff kein Aids auslösen kann.« Dieser vierdosige Impfstoff deckt besonders den HIV-Subtyp B ab, der sich in Nord- und Südamerika und Europa findet.

Abbruch von UHAMBO

Die UHAMBO-Studie baute auf dem Thai-Trial auf und war im Jahr 2016 gestartet. Eigentlich hätte sie noch bis ins Jahr 2022 laufen sollen. Im Jahr 2020 wurde sie aber abgebrochen, nachdem das unabhängige Expertengremium Data and Safety Monitoring Board (DSMB) zu dem Schluss gekommen war, dass die Impfung offenbar keinen Schutz vor HIV bietet: Es hatten sich etwa genauso viele Menschen in der Vakzingruppe mit HIV infiziert wie in der Kontrollgruppe. Das führte zum Abbruch von UHAMBO. »Die ganze Studie ist etwas unglücklich gelaufen«, sagt Streeck. »Der Plan war, den Thai-Trial zu verbessern, und man wollte nur wenige Parameter verändern.« Am Ende sei aber überall angepasst worden und nun lasse sich die Wirkung der einzelnen Änderungen nicht mehr nachvollziehen.

Der Thai-Trial wurde damals in einer wenig gefährdeten Population durchgeführt. UHAMBO sollte nun den gleichen Impfstoff an Teilnehmern testen, die deutlich gefährdeter sind, sich mit HIV zu infizieren. Allerdings wurde dadurch auch eine Gruppe gewählt, deren Sexualverhalten anders ist: weniger Vaginalsex und mehr Rektalsex. Zusätzlich wurden die Wirkstoffe teilweise verändert, weil in Südafrika ein anderer HIV-Subtyp vorherrscht als in Thailand. »Die Änderungen wurden durchgeführt, weil es Anhaltspunkte aus anderen Studien gab, was vielleicht gut funktionieren könnte und was nicht«, erklärt Streeck. »Durch die vielen Änderungen hat man nun aber die Möglichkeit der Hypothesengenerierung verloren.« Dennoch war die Studie nicht umsonst, findet Ballou: »Wir haben das einzig Richtige getan: Wir haben wissenschaftliche Fragen gestellt und sie getestet.«

Streeck denkt, dass zumindest die in IMBOKODO und MOSAICO verwendeten Impfstoffe eine gewisse Schutzwirkung zeigen. Sicherlich sei die nicht irgendwo bei 90 Prozent. »Dann hätte das DMB die Studie bereits abgebrochen und gesagt, der Impfstoff muss sofort jedem zur Verfügung gestellt werden. Aber zumindest laufen die Studien weiter«, sagt Streeck. Das deutet er als positives Signal.

Tablette als HIV-Prophylaxe

Neben der klassischen Impfung gibt es noch andere Methoden, die vor einer HIV-Infektion schützen. Großen Erfolg hat hier die so genannte PrEP, die Pre-Exposure-Prophylaxe – eine Tablette, die zuverlässig vor HIV-Infektionen schützen soll. Sie reduziert die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung um mehr als 80 Prozent. Bei korrekter Einnahme und bestimmtem Sexualverhalten könnte dieser Wert sogar bei bis zu 99 Prozent liegen. Man unterscheidet zwischen der klassischen PrEP, die dauerhaft jeden Tag eingenommen werden muss, und der On-demand-PrEP, die nur mehrfach um den Geschlechtsverkehr herum eingenommen werden muss.

Seit 2019 wird die PrEP von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen, wenn sie von speziell dafür zugelassenen Ärzten verschrieben wird. Auch in der längerfristigen Behandlung tut sich etwas: In Studien wird momentan getestet, ob breit neutralisierende Antikörper Schutz vor HIV bieten könnten, wenn sie dem Körper per Spritze alle paar Monate zugeführt werden. Gemäß ersten Ergebnissen funktioniert das zumindest für einige Wochen.

Um HIV mit dieser Art der Prophylaxe auszurotten, müssten allerdings alle Infizierten behandelt und alle Gefährdeten mit PrEP-Medikamenten versorgt werden. Dafür ist aber allein in Deutschland die Dunkelziffer mit geschätzten 10 600 HIV-positiven Menschen zu groß. Außerdem ist die Behandlung nur zum Eindämmen der Virusinfektion gedacht, heilen kann man sie damit nicht. »Es ist uns bisher noch bei keiner chronisch persistierenden Virusinfektion gelungen, eine Therapie zu entwickeln, die Betroffene heilt«, sagt Streeck. Daher ruht weiterhin große Hoffnung auf einer Impfung. Ob die jemals kommen wird, lässt sich allerdings nicht abschätzen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.