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News: Der perfekte Fassadenkletterer

Sie gehen jede Wand hoch, laufen kopfüber an der Zimmerdecke und hängen mitunter sogar an der Fensterscheibe - ohne Geckos würde den Nächten in tropischen Gefilden etwas fehlen. Der Haftmechanismus, mit dem die Tiere förmlich am Untergrund zu 'kleben' scheinen, ist so raffiniert, dass alle menschliche Hochtechnologie nicht ausreicht, ein ähnliches System zu entwickeln: Die feinen Härchen an den Geckofüßen gehen eine besondere Wechselwirkung mit der Oberfläche ein. Stark genug, um selbst bei Sturm sicheren Halt zu gewährleisten, und schnell zu lösen, wenn es darauf ankommt, das Weite zu suchen.
Es ist ganz einfach, die Wände hochzugehen: Setzen Sie Ihren Fuß möglichst senkrecht an die Oberfläche, geben Sie etwas Druck, sodass er sich großflächig anschmiegt, und ziehen Sie ihn um fünf Mikrometer an der Wand entlang nach unten. So, der Fuß sitzt fest. Um ihn zu lösen, rollen Sie Zeh für Zeh und dann Ballen und Ferse nacheinander in einem kritischen Winkel wieder ab.

Dieses Rezept ist erprobt und funktioniert – zumindest bei Geckos. Allerdings sind die Füße der Tiere extra an das Laufen auf schrägen, glatten Flächen angepasst. Der Tokeh-Gecko (Gekko gecko) hat zum Beispiel auf jeder Sohle annähernd 500 000 Haare aus Keratin, die so genannten Setae. Jedes einzelne davon trägt an der Spitze Hunderte von winzigen spatelförmigen Strukturen mit Durchmessern zwischen 0,2 und 0,5 Mikrometern. Sie sind es letztlich, die den Gecko an der Wand halten. Und zwar so sicher, dass man schon zehn Newton pro Fuß aufwenden müsste, um ihn mit Gewalt abzulösen.

Lange haben Wissenschaftler gerätselt, welche Kräfte zwischen den Geckofüßen und dem Untergrund wirken. Einfache Reibung kommt nicht in Frage, denn sogar polierte, ultraglatte Flächen bieten dem Reptil genug Haftung. Elektrostatische Anziehung scheidet aus, weil das Prinzip auch in ionisierter Luft funktioniert. Selbst im Vakuum "kleben" die Füße geradezu an der Wand, was die Hypothese von kleinen Saugnäpfen widerlegt. Ein Team um Kellar Autumn vom Lewis and Clark College in Portland und Robert J. Full von der University of California in Berkeley glaubt nun, das Geheimnis gelüftet zu haben: Die feinen Spatelchen bilden van-der-Waals-Bindungen zum Untergrundmaterial aus (Nature vom 8. Juni 2000). Diese besondere Art der Wechselwirkung ist relativ schwach und hat nur eine geringe Reichweite, doch ihre enorm große Zahl sorgt in der Summe für den nötigen Halt.

Statt mit ganzen Geckos arbeiteten die Forscher mit einzelnen Fußhärchen, die sie an einen beweglichen Sensor klebten. Zunächst brachten sie das Haar mit verschiedenen Materialien in Kontakt und maßen dann die notwendige Kraft, um beide wieder voneinander zu trennen. Dabei stellten sie fest, dass sehr viel mehr Energie zum Lösen erforderlich ist, wenn sie das Haar ein wenig fester an den Untergrund gedrückt und um fünf oder mehr Mikrometer daran entlang gezogen hatten. Vermutlich bekommen dadurch immer mehr Spatelchen Kontakt und verstärken die Haftung, meinen die Wissenschaftler. Hochgerechnet auf einen ganzen Fuß wären bis zu 100 Newton nötig, um ihn von der Wand zu lösen. Das entspricht etwa der gleichen Kraft, die notwendig ist, um ein Gewicht von 10 Kilogramm anzuheben – wahrscheinlich mehr, als ein Geckobein aushalten würde.

Doch es ist nicht anzunehmen, dass alle Spatelchen gleichzeitig am Untergrund anliegen. Dennoch muss das Reptil selbst einen Trick aufwenden, um überhaupt einen Fuß heben zu können. Es rollt die Zehen nacheinander von der Wand ab. Dabei überschreitet der Winkel zwischen den Härchen und der Oberfläche einen kritischen Wert, und die schwachen van-der-Waals-Bindungen werden nacheinander aufgebrochen, so als ziehe man einen Klebestreifen ab.

Noch liegt es jenseits der technischen Möglichkeiten, Mikrostrukturen, die den Fußhärchen der Geckos ähneln, so dicht nebeneinander zu packen. Die Idee, nach diesem Prinzip trockene Klebstoffe zu entwickeln, ist allerdings verführerisch. Anwendungen dafür gäbe es sicher genug – mal abgesehen von gelegentlichen Spaziergängen an der Zimmerdecke.

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