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News: Der Phallus in der Höhle

Unter den Völkern der antiken Welt gehören die Illyrer sicher zu denen, über die man am wenigsten weiß. Die Geschichtsschreiber der Antike berichteten zwar so manches über sie, aber trotz allem blieben die Illyrer auch für heutige Historiker eine ziemlich unbekannte Kultur. Bei Ausgrabungen in Kroatien fanden Archäologen jetzt eine seit etwa 2000 Jahren unbetretene rituelle Höhle diese Volkes.
Die Illyrer sind eigentlich kein richtiges Volk gewesen, sondern eher eine Anhäufung von indogermanischen Stämmen. Sie waren Träger der Hallstattkultur im nordwestlichen Teil der Balkanhalbinsel. Dort traten sie auch mit den antiken Griechen in Kontakt, welche mehrere Kolonien an der illyrischen Küste hatten. Doch trotz der Aufzeichnungen antiker Geschichtsschreiber, wie beispielsweise des Griechen Herodot, weiß man noch immer sehr wenig über Leben, Religion und Kult der Illyrer. Eine Ausgrabung in Kroatien erbrachte jetzt neue Erkenntnisse über dieses antike Volk: Tim Kaiser und seine Kollegen vom Royal Ontario Museum und kroatische Archäologen entdeckte in Dalmatien auf einem abgelegenen Hügel eine Höhle, die offensichtlich für einen Kult benutzt worden war.

Die Nakovana-Höhle, die seit 1999 bearbeitet wird, besteht aus drei verbundenen Räumen, deren zwei hintere jedoch durch Steinschlag verschüttet waren. Nachdem die Archäologen die Hindernisse beseitigt hatten, entdeckten sie einen etwa 50 Meter langen Höhlenraum, in dessen Zentrum ein 60 Zentimeter hoher Stalagmit stand. Diesem messen die Wissenschaftler phallische Bedeutung bei, weil der Stalagmit nicht nur die Form eines Phallus hat, sondern auch von Gegenständen umgeben war, die sie als Votivgaben deuten: Mit eingeritzten Schriftzeichen waren hier Scherben von sehr feiner Keramik entweder direkt der Göttin Aphrodite zugedacht worden oder anonym an die "Liebe" adressiert. Bei einem bestimmten Sonnenstand im Jahr konnten die Ausgräber außerdem feststellen, wie der Stalagmit vom Sonnenlicht bestrahlt wird. Die Umstände sprechen also dafür, dass der phallische Stalagmit hier ein Kultmal war.

Anhand der Funde kommen die Archäologen zu dem Urteil, dass die Höhle seit über 2000 Jahren nicht betreten worden war. Illyrische und griechische Keramik bezeugt auch hier den engen Kontakt zwischen den beiden Völkern. "Diese Schalen und Amphoren gehörten zu den feinsten ihrer Zeit, und ihre Verwendung in der Höhle unterstreicht die Bedeutung der Rituale, die hier abgehalten wurden", sagt Kaiser. Weitere Funde von 6000 vor Christus deuten auf die lange Geschichte der Höhle hin, die demnach schon im Früh-Neolithikum begonnen hat.

In Sichtnähe der Höhle liegt eine illyrische Hügelfestung, die von großer strategischer Bedeutung gewesen sein muß. Von hier konnte man eine wichtige Transportroute überwachen, die von der adriatischen See zum Tal des Flusses Neretva führt. Für eine längere Besiedelung sprechen auch 70 Hügelgräber, die um die Festung verteilt waren. Weitere hochqualitative Keramik bezeugt hier die Beziehung zu der Kulthöhle.

Was die Deutung des Kultes betrifft, sind die Wissenschaftler noch im Unklaren. Es liegt nahe, einen Fruchtbarkeitskult zu vermuten, aber was für Vorgänge in der Höhle genau abliefen und was damit bezweckt wurde, ist noch völlig unsicher. Im Jahr 2001 will das Archäologenteam seine Arbeit in der Nakovana-Höhle fortsetzen – man darf gespannt sein, was sich dadurch noch ergibt.

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