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Objekt des Monats: Kleiner Edelstein im Schützen

Wer sich darüber wundert, wie die abgestoßenen Hüllen von sterbenden Sternen zu dem Namen »Planetarische Nebel« kamen, dem möchten wir NGC 6818 vorstellen. Viele Objekte seiner Art haben vom Anblick her rein gar nichts mit Planeten gemein, aber NGC 6818 zählt zu den wenigen Vertretern mit einer verblüffenden Ähnlichkeit. Er geht allerdings auch als Edelstein durch.
Komposition aus drei Bildern, die den offenen Sternhaufen Trumpler 14, den Kugelsternhaufen Messier 15 und die Galaxie NGC 2276 zeigt.
Jeden Monat stellen wir ein kosmisches Objekt vor, das sich mit Amateurmitteln beobachten lässt. Das kann ein Sternhaufen oder Planetarischer Nebel in unserem Milchstraßensystem oder eine weit entfernte Welteninsel sein. Diesen Monat steht der Planetarische Nebel NGC 6818 im Mittelpunkt.

Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Beobachter im 18. oder 19. Jahrhundert und haben das recht flächenhelle Nebelscheibchen von NGC 6818 zusammen mit drei dicht benachbarten Sternen im Okular: Ein 13,5 mag heller Stern steht nur 0,7 Bogenminuten nordwestlich der fast runden Scheibe, ein 13,9 mag heller Stern befindet sich 1,0 Bogenminuten ostnordöstlich, und einer mit 14,3 mag liegt 1,3 Bogenminuten südwestlich (siehe »Eine fast perfekte Illusion«). Ihr erster Gedanke wäre vielleicht, dass Sie einen neuen, weit entfernten Planeten mit drei Monden ausgemacht haben! Sogar seine Nähe zur Ekliptik – er steht 7,5 Grad nördlich von ihr – passt zu der eines echten Planeten des Sonnensystems.

Eine fast perfekte Illusion | NGC 6818 und drei nahe Sterne erwecken den Eindruck eines fernen Planeten mit kleinen Monden. Franz Hofmann und Wolfgang Paech gelang diese Aufnahme mit einem Astrografen CDK12.5 (f/8) von PlaneWave mit 32 Zentimeter Öffnung in Namibia. Sie verwendeten eine monochrome CCD-Kamera QHY 163M und erstellten nach dem RGB-Verfahren 800 Belichtungen von einer Sekunde mit jedem der drei Filter. Die Nachbearbeitung erfolgte mit Nebulosity, Registar und Photoshop.

Erfolglose Täuschung

So ähnlich muss es zunächst William Herschel am 8. August 1787 ergangen sein, als er NGC 6818 entdeckte. Sechs Jahre zuvor hatte er mit Uranus bereits wirklich einen fernen Planeten aufgespürt. Dem erfahrenen Beobachter war dennoch sofort bewusst, dass es sich bei NGC 6818 um einen Nebel handeln muss. Der Anblick bestätigte Herschel höchstens, dass der von ihm gewählte Name für die Objektklasse – Planetarische Nebel – passend ist. Er hatte zuvor bereits mehrere von ihnen gesichtet. In seiner Beschreibung erwähnte er die drei nahe stehenden Sterne allerdings nicht: »Ein beachtlich heller, kleiner, schöner Planetarischer Nebel, aber ziemlich verwaschen an den Rändern, von einem gleichförmigen Licht, 10′′ oder 15′′ Durchmesser, perfekt rund.«

Sein Sohn John Herschel merkte im Jahr 1826 zumindest die beiden helleren Nachbarsterne an: »… genau wie ein Planet und zwei Satelliten.« Johann von Lamont und Heinrich Louis d’Arrest führten zu späteren Zeitpunkten präzise mikrometrische Messungen durch, um mögliche Bewegungen der nahen Sterne nachzuweisen: Lamont im Jahr 1837, d’Arrest 1862 und 1864. Beide fanden keinerlei Bewegungen relativ zum Nebel.

Rund und jung

Da sich NGC 6818 nicht relativ zu den Sternen am Himmel bewegt, ist der erste Eindruck eines Planeten zudem schnell widerlegt. Eine ebenfalls zum Anblick passende Bezeichnung ist der Eigenname »Kleiner Edelstein« (englisch: Little Gem), den NGC 6818 von John H. Mallas (1927 – 1975) erhielt. Mit 9,3 mag ist er der hellste Planetarische Nebel im Schützen (lateinisch: Sagittarius). Mit den Koordinaten 𝛼 = 19h 44,0m, 𝛿 = –14° 09′ liegt er in der Nordostecke des Sternbilds, zwei Grad nördlich des 5,1 mag hellen Sterns 55 Sagittarii und nur 41 Bogenminuten nordnordwestlich der irregulären Zwerggalaxie NGC 6822, auch Barnards Galaxie genannt (siehe »Gut versteckter Schatz«).

Gut versteckter Schatz | Östlich der Milchstraße, in der unscheinbaren nordöstlichen Ecke des Sternbilds Schütze, befindet sich der Keine Edelsteinnebel (NGC 6818). Man kann den Planetarischen Nebel zwei Grad nördlich des 5,1 mag hellen Sterns 55 Sagittarii (55 Sgr) ausmachen.

NGC 6818 ist fast perfekt rund und hat unter einem dunklen Himmel einen visuellen Durchmesser von etwa 20 Bogensekunden. Das entspricht bei einer geschätzten Entfernung von 6000 Lichtjahren einer Ausdehnung von rund 0,5 Lichtjahren. Die Nebelhülle expandiert an ihrem äußeren Rand mit etwa 28 Kilometern pro Sekunde, was auf ein kinematisches Alter von unter 3000 Jahren führt. Damit ist NGC 6818 ein kompakter, flächenheller und relativ junger Planetarischer Nebel. Deshalb ähnelt sein Anblick einem diffusen Planetenscheibchen – oder einem kleinen Edelstein.

Farbe und Struktur

Admiral William Henry Smyth (1788 – 1865) war der Erste, der die bläuliche Farbe des Nebels bemerkte. Aber nicht alle späteren Beobachter hatten denselben Farbeindruck, worauf der seltener benutzte Eigenname »Green Mars Nebula« hindeutet. Damit läge die Farbe irgendwo zwischen Neptun und Uranus. Weder William noch John Herschel sahen ein dunkleres Zentrum oder gar eine Ringstruktur. Dieser Aspekt wird erstmals von Lord Rosse in seiner Beobachtung vom 28. August 1850 bemerkt: »Sehr heller, blauer planetarischer Nebel, Ränder nicht scharf, etwas dunkler in der Mitte.«

Die meisten späteren Beobachter sahen ebenfalls ein dunkleres Zentrum, obgleich eine Ringstruktur weniger ausgeprägt ist als in einigen anderen Planetarischen Nebeln. Der mit lediglich 17 mag äußerst schwache Zentralstern – ältere Quellen geben 15 mag an – wurde auf einer im Jahr 1912 von Francis Pease am 60-Zoll-Reflektor des Mount Wilson Observatory aufgenommenen Fotografie entdeckt. Er ist mit gewöhnlichen Amateurfernrohren nicht sichtbar. Der sehr erfahrene Beobachter Sherburne Wesley Burnham (1838 – 1921) konnte ihn selbst in einer Optik mit 36 Zoll (91,4 Zentimetern) nicht sehen.

Der Anblick im Teleskop

Bei niedriger Vergrößerung steht Barnards Galaxie zusammen mit NGC 6818 im Gesichtsfeld, und man darf einen kosmischen Kontrast zwischen diesen beiden ungleichen Objekten bestaunen, der kaum größer sein könnte. Ein 7- oder 8-fach vergrößerndes Fernglas zeigt den Planetarischen Nebel noch komplett sternförmig; erst ab einer 20-fachen Vergrößerung ist das Objekt für einen geübten Beobachter von einem Stern zu unterscheiden. Eine 55-fache Vergrößerung offenbart das Nebelscheibchen bereits deutlich. Sein dunkleres Zentrum ist ansatzweise ab einer 90-fachen Vergrößerung zu erkennen. Trotz der hohen Flächenhelligkeit von 6,8 mag pro Quadratbogenminute kann Michael Fritz in seinem 130-Millimeter-Refraktor bei keiner Vergrößerung eine deutliche Farbe ausmachen. NGC 6818 stellt sich ihm eher grau als blau dar.

Der Kleine Edelstein ist für Michael Fritz am besten mit 255-facher Vergrößerung zu beobachten, und dann sind auch alle drei leuchtschwachen Sterne – seine »Satelliten« – zu sehen (siehe »Anblick im Teleskop«). Ein Stern der 12. Größe steht zudem 3,7 Bogenminuten westlich. Das Nebelscheibchen erscheint bei dieser hohen Vergrößerung etwas oval in Nordsüdrichtung und misst etwa 20 × 15 Bogensekunden. Der Zentralbereich wirkt dunkler. NGC 6818 sieht jedoch nicht wie ein Ring aus, weil sein Rand kaum heller als die Mitte ist. Der Kontrast zwischen beiden ist deutlich schwächer als beispielsweise im bekannten Ringnebel Messier 57 im Sternbild Leier (lateinisch: Lyra). Der Rand des Nebelscheibchens wirkt auf der Ostseite am hellsten, und er scheint zu pulsieren, als ob immer wieder Sterne in ihm aufblitzen würden. Das rührt vermutlich von der nicht erkennbaren Feinstruktur im Randbereich her. Aber die erste Frage an Sie lautet: Sehen Sie hier einen fernen Planeten mit Monden oder einen kleinen Edelstein?

Anblick im Teleskop | Michael Fritz erstellte die Zeichnung des kompakten Planetarischen Nebels NGC 6818 an seinem 130-Millimeter-Refraktor bei Vergrößerungen von 20- bis 255-fach. Das Feld durchmisst acht Bogenminuten. Norden ist oben.

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