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Astrophysik: Der Radioblitz des Magnetars

Sie sind eines der großen Rätsel des Universums: extrem helle Strahlungsausbrüche im Radiowellenbereich. Nun haben Forscher herausgefunden, wo sie herkommen.
Künstlerische Darstellung des Magnetars SGR J1935+2154, dessen Kruste einen Knacks bekommt

Für die Sternleiche SGR J1935+2154 ist das Extreme eigentlich alltäglich, doch vor rund 31 000 Jahren übertraf sie sich selbst: Für den Bruchteil einer Sekunde schleuderte sie nicht nur das für sie übliche Maß an Gamma- und Röntgenstrahlen ins All, sondern flutete unsere Galaxie auch mit Radiowellen. Am 28. April 2020 der menschlichen Zeitrechnung erreichten sie die Erde – und könnten hier dabei helfen, ein großes Rätsel der Astrophysik zu lösen.

Immer wieder blitzt irgendwo im All eine extrem helle Quelle von Radiostrahlung auf, nur um nach ein paar Millisekunden wieder zu verschwinden. Lange konnten Forscher bloß spekulieren, was hinter diesen »Fast Radio Bursts« steckt. Denn stets fanden die Ausbrüche in fernen Galaxien statt, also in einer Distanz von vielen Millionen Lichtjahren – zu weit entfernt, um etwas über den Auslöser zu erfahren.

Ausbruch eines Magnetars

Bei dem Schwall von Radiowellen, der die Erde am 28. April 2020 erreichte, ist das anders. Er ging von einem schon länger bekannten Sternsystem in unserer Milchstraße aus, wie mehrere Forschergruppen in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins »Nature« berichten. Die 31 000 Lichtjahre entfernte Region ist Heimat des Magnetars SGR J1935+2154. Er gehört zu einer sehr seltenen Klasse von Neutronenstern, von der in unserer Galaxie gerade mal 30 Exemplare bekannt sind.

Magnetare entstehen, wenn ein Riesenstern all seinen Brennstoff aufgebraucht hat und in einer Supernova explodiert. Der Stern verliert dabei seine Hülle, während sich sein Kern immer dichter zusammenzieht. Am Ende bleibt eine nur 20 Kilometer große Kugel zurück, welche die Masse unserer Sonne – oder auch etwas mehr – in sich vereint. Die Schwerkraft saugt die Materie dabei so stark an, dass Elektronen in ihre Atomkerne gedrückt werden und Neutronen entstehen.

CHIME-Radioobservatorium bei Nacht

Nach ihrer Geburt drehen sich Neutronensterne zuweilen sehr flott um sich selbst. Da in ihrem Kern auch geladene Teilchen wie Protonen und Elektronen schwimmen, entstehen ähnlich wie bei einem Dynamo Magnetfelder. Bei Magnetaren, die besonders schnell rotieren, erreichen diese Werte, die dem Billiardenfachen des Erdmagnetfelds entsprechen.

Das hat Folgen für das Umfeld: Driften Trümmer aus der Sternexplosion in die rotierenden Magnetfelder, werden die geladenen Teilchen enorm stark beschleunigt – und geben dadurch große Mengen Röntgen- und Gammastrahlung ab. Astrophysiker vermuten seit Jahren, dass Magnetare dabei manchmal auch für kurze Zeit Radiowellen ins All feuern, die wir auf der Erde dann als Fast Radio Bursts wahrnehmen.

So gesehen ist die Entdeckung aus dem Sternsystem SGR J1935+2154 nicht gerade eine Überraschung. Für Fachleute ist sie aber dennoch ein besonderer Moment, schließlich hat man damit einen Magnetar quasi in flagranti beim Radioblitzen erwischt: »Nachdem wir uns ein Jahrzehnt lang den Kopf über die Sache zerbrochen haben, ist das auf jeden Fall ein großer Fortschritt«, sagt Jason Hessels von der Universität Amsterdam, der zu den Experten auf dem Gebiet zählt und nicht an den aktuellen Arbeiten beteiligt war.

Alles begann mit einer Mikrowelle

Für manchen Radioblitzjäger dürfte die Entdeckung auch eine Genugtuung sein. Schon im Jahr 2001 hatte das australische Parkes-Radioteleskop einen der Ausbrüche beobachtet, damals in der Kleinen Magellanschen Wolke, einer Satellitengalaxie der Milchstraße. Doch die Fachwelt war lange skeptisch: Die 64-Meter-Schüssel des Parkes-Observatoriums fing damals immer wieder rätselhafte Signale auf, meist während der Mittagspause. Wie später herauskam, steckten die Mikrowellenöfen im Besucherzentrum der Anlage dahinter.

Im Jahr 2013 flackerten dann allerdings vier Radioblitze auf, die zweifelsfrei aus dem Kosmos stammten. Und Astronomen stießen in einer anderen Galaxie auf eine Quelle, die immer wieder Fast Radio Bursts absetzt. 2017 weihten Astronomen schließlich eine Anlage ein, die auf die Suche nach den flüchtigen Ausbrüchen spezialisiert ist: Das Canadian Hydrogen Intensity Mapping Experiment (CHIME) besteht aus vier nach oben geöffneten, je 100 Meter langen Halbzylindern, die auf einer Wiese in der kanadischen Provinz British Columbia stehen.

Licht, Röntgenstrahlen, Radiowellen – aus Sicht von Physikern sind das alles schwingende elektromagnetische Felder, die sich mit Lichtgeschwindigkeit im Raum ausbreiten. Der Unterschied zwischen den Strahlungsarten liegt einzig in ihrer Wellenlänge: Bei Röntgen- oder Gammastrahlen liegt weniger als ein milliardstel Meter zwischen zwei Wellentälern, bei sichtbarem Licht sind es zwischen 0,4 und 0,8 millionstel Metern. Mikrowellen hingegen haben eine Wellenlänge im Zentimeterbereich, bei Radiowellen sind es Dezimeter oder Meter. Je nach Wellenlänge reagiert Strahlung unterschiedlich auf Materie: Während Röntgenstrahlung zum Beispiel problemlos in menschliches Gewebe eindringen kann, ist es für sichtbares Licht eine Barriere.

Mit ihnen haben die Wissenschaftler stets einen guten Teil des Himmels im Blick und können plötzlich aufploppende Radioblitze auffangen. Mittlerweile hat die Anlage Dutzende der extragalaktischen Signale nachgewiesen. Bei 20 handelt es sich sogar um Wiederholungstäter.

Am 28. April 2020 prasselten binnen einiger Sekundenbruchteile ungewöhnlich starke Radiowellenpakete auf CHIME ein. Kurz zuvor hatten mehrere Gammastrahlen-Satelliten aus dem Erdorbit beobachtet, dass der Magnetar SGR J1935+2154 mal wieder heiß lief: Wie schon öfter in der Vergangenheit entwichen aus seinem Umfeld große Mengen Röntgen- und Gammastrahlen.

Zwei Observatorien, ein Signal

Derweil registrierte nicht nur CHIME einen Radioblitz: Auch das deutlich kleinere STARE2-Projekt wies den Schwall an Radiowellen nach. Die drei über den Südwesten der USA verteilten Low-Tech-Antennen sind Teil der Doktorarbeit des jungen Caltech-Forschers Christopher Bochenek und wurden mit dem Ziel aufgestellt, galaktische Radioblitze aufzufangen. Statistisch gesehen sollte es in der Milchstraße bloß alle 50 Jahre zu solch einem Ereignis kommen, erzählt Bochenek. »Die Erfolgschance unseres Projekts lag daher bei gerade mal zehn Prozent.«

Dass es nun doch geklappt hat, ist ein Glück für Radioastronomen – und lässt nur noch wenig Zweifel daran, dass Magnetare etwas mit Fast Radio Bursts zu tun haben. »Insgesamt sind das schon gute Indizien für diesen Zusammenhang«, sagt Laura Spitler, die am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn eine Forschungsgruppe zu Radioblitzen leitet.

Das Rätsel der Strahlungsausbrüche ist mit der neuen Entdeckung aber womöglich nur zum Teil gelöst, findet ihr Kollege Michael Kramer, Direktor am Bonner Max-Planck-Institut. »Man kann darüber streiten, ob es sich bei diesem Ausbruch wirklich um einen klassischen Fast Radio Burst handelt«, sagt er.

FAST-Radioteleskop | Auch die 500 Meter große Radioschüssel des chinesischen Five-hundred-meter Spherical Aperture Telescope (FAST) nahm den Magnetar SGR J1935+2154 ins Visier. Zwei Tage nach dem eigentlichen Radioblitz spürte es einen schwächeren Strahlungspuls im Radiowellenbereich auf, der aus Richtung des Magnetars kam.

So setzte der Magnetar zwar binnen weniger Millisekunden so viel Energie im Radiowellenbereich frei, wie unsere Sonne in einer halben Minute abstrahlt. Das ist für die bisher nachgewiesenen Radioblitze jedoch sehr wenig: Die Ausbrüche in anderen Galaxien feuern im Schnitt 10- bis 100-mal so viel Energie ins All.

Entsprechend könnte es sich bei dem Magnetar-Ausbruch auch bloß um einen kleinen Cousin der mächtigen extragalaktischen Fast Radio Bursts handeln, sagt Kramer. Oder anders formuliert: Hinter manchem extragalaktischen Ausbruch steckt womöglich etwas anderes als ein Magnetar.

Das gilt insbesondere für die Fälle, in denen sich ein Radioblitz nicht wiederholt. Sie lassen sich aus Sicht der Experten nicht ohne Weiteres mit Magnetsternen wie SGR J1935+2154 erklären. »Dass sich manche Ausbrüche wiederholen und andere nicht, spricht aus meiner Sicht dafür, dass wir es mit verschiedenen Arten von Quellen zu tun haben«, sagt Jason Hessels.

Schwarze und weiße Löcher

Hinter den Einzeltätern könnten beispielsweise auch kollabierende Riesensterne oder miteinander verschmelzende Neutronensterne stecken, die seit einer Weile als Quelle von Gammastrahlenausbrüchen bekannt sind. Manche Theoretiker glauben, dass solche apokalyptischen Ereignisse auch einen mächtigen Schwall an Radiowellen freisetzen, wovon Astronomen bisher allerdings nichts gesehen haben. Daher sind auch exotischere Szenarien denkbar: plötzlich verdampfende Schwarze Löcher zum Beispiel oder ihre hypothetischen Pendants, die »weißen« Löcher, die Materie abstoßen statt sie anzusaugen.

Im Prinzip könnten Magnetare solche Gedankenspiele überflüssig machen – und die ganze Bandbreite der Radioblitze erklären. Dazu müsste es aber verschiedene Varianten der stark magnetisierten Neutronensterne geben, schreibt der Theoretiker Bing Zhang in einem aktuellen Übersichtsartikel: zum einen eine große Zahl eher zahmer Exemplare wie die in unserer Milchstraße, deren Radioemissionen vergleichsweise schwach sind und sich womöglich nur in sehr großen zeitlichen Abständen wiederholen. Zum anderen eine kleine Gruppe besonders aktiver Magnetsterne, die nach einer turbulenten Geburt regelmäßig enorm starke Fast Radio Bursts von sich geben – und diese durch das halbe Universum feuern.

Für Unsicherheit sorgt, dass die Forscher bisher allenfalls in groben Zügen verstanden haben, auf welchem Weg Magnetare überhaupt Radiowellen aussenden. Eine populäre Theorie sieht hier die mit dem Stern rotierenden Magnetfelder am Werk, die sich immer wieder verheddern. Dabei würden sie wohl die Sternkruste unter Spannung setzen – und diese zuweilen aufplatzen lassen. Das wiederum würde geladene Teilchen ins All schleudern, die unter bestimmten Umständen starke Radiopulse abgeben können.

Allerdings sind die Wellenpakete der Fast Radio Bursts überraschend stark geordnet, Physiker sprechen von »Kohärenz«. Sie ähneln damit dem, was ein gigantischer Laser ins All schießen würde. Wie das chaotische Umfeld eines geborstenen Magnetars das hinkriegen soll, ist noch unklar.

Letztlich können die Forscher nur darauf hoffen, immer mehr der Ereignisse aufzuspüren, bevorzugt in unserer kosmischen Nachbarschaft. Nicht wenige Fachleute würden es dabei wohl begrüßen, wenn sich möglichst viele der bereits aufgespürten Ausbrüche irgendwann wiederholen. Denn das würde man in erster Linie von Magnetaren erwarten. Nach ihrer Geburt verbringen sie tausende Jahre damit, die in ihren Magnetfeldern gespeicherte Energie an ihr Umfeld abzugeben – und feuern dabei ganz offensichtlich manchmal auch Radiowellen ins All.

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