Direkt zum Inhalt

Klimawandel: Der schlimmste Fall wird nicht ganz so schlimm

Eine Studie schließt die stärksten Erwärmungsszenarien aus - und die schwächsten. Doch wie hilfreich ist die neu berechnete Klimasensitivität wirklich?
Schmuddelwetter am Meer

Ein besonders milder, langsamer und harmloser Verlauf des Klimawandels ist nach einer neuen Studie unwahrscheinlich, ebenso wie ein katastrophal schneller. Ein Team um Peter Cox von der University of Exeter hat eine Schlüsselgröße des Klimawandels deutlich genauer bestimmt als bisher. Es geht um die »equilibrium climate sensitivity« (ECS; Gleichgewichtsklimaempfindlichkeit), sie gibt die Reaktion auf eine Verdopplung der Treibhausgase an. Demnach würde sich die Erde in diesem Fall vermutlich um 2,8 Grad Celsius erwärmen, jedenfalls läge der Wert wahrscheinlich zwischen 2,2 und 3,4 Grad.

Bislang gilt für die ECS die Angabe des Weltklimarats IPCC in seinem Bericht von 2013: Die zentrale Schätzung lag bei 3,0 Grad; die Spanne reichte von 1,5 bis 4,5 Grad. »Sehr niedrige oder sehr hohe Werte schließt unsere Studie jetzt praktisch aus«, sagt Cox. Und die ECS sei nicht nur eine lebensferne Rechengröße: Auch besonders drastische oder kaum zu bemerkende Veränderungen zum Beispiel bei Hitzewellen und Starkregenereignissen seien damit vom Tisch.

Den schlimmsten Fall ausgeschlossen

Erst im Dezember hatten Forscher von der kalifornischen Carnegie Institution den oberen Bereich der IPCC-Spanne ausgereizt und für die ECS einen Mittelwert von 3,7 Grad errechnet. Solche Angaben am oberen Limit machen Forschern Sorgen. Läge die Sensitivität wirklich so hoch, könnte die internationale Klimapolitik kaum noch ihre Ziel erreichen, die Erwärmung zu begrenzen. »Wir sind im Augenblick wegen unserer Emissionen bereits auf eine Erwärmung festgelegt, die der Hälfte der ECS-Angabe entspricht«, erklärt Cox. »Nach unserer Berechnung sind wir damit sehr nahe an der 1,5-Grad-Grenze des Pariser Vertrags, aber wir haben noch eine Chance, die zwei Grad zu vermeiden.«

Bisher ist die ECS schon mehr als 150-mal bestimmt worden, meist durch Blicke in die Vergangenheit: Wie hat zum Beispiel die Erde in der Eiszeit auf die deutlich veränderten Bedingungen und Treibhausgasmengen reagiert? Der Kniff von Cox Team nun ist, dass es nicht die absoluten Werte der Temperatur betrachtet, sondern die Variabilität, also die kurzfristigen Schwankungen innerhalb eines längeren Zeitraums. Die Reaktion des Klimas auf kleine und große Störungen sei gekoppelt, vermuten die englischen Forscher. Außerdem kann es tatsächlich einfacher sein, relative Abweichungen zu bestimmen als absolute Werte. Das sei eine »beneidenswert simple Idee«, schreibt Piers Foster von der University of Leeds in einem Kommentar in »Nature«. Und da die Kollegen nun die hohen Werte für die ECS und die Sorgen der Wissenschaftler für unrealistisch erklären, könne er auch besser schlafen.

Hilft uns die ECS weiter?

Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hingegen ist weniger überzeugt: »Kurzfristige Temperaturschwankungen von Jahr zu Jahr eignen sich grundsätzlich weniger gut, um die langfristige Gleichgewichtsreaktion des Klimas zu bestimmen, als Daten über längerfristige Temperaturveränderungen der Vergangenheit«, sagt er. Andere Forscher merken in Reaktionen auf die Studie an, Cox Team habe zwar ein neues Prinzip für die Bestimmung der ECS etabliert, aber nun müssten genauere Studien folgen. Doch auch Gabriele Hegerl, eine deutsche Forscherin an der University of Edinburgh, ist überzeugt, »dass eine sehr hohe und sehr niedrige Sensitivität weniger wahrscheinlich ist«, wie neuere Studien und »diese sehr schöne Arbeit« belegten.

Eis in der Antarktis

Insgesamt sieht Hegerl die künstliche Größe ECS jedoch eher kritisch. Diese gibt nämlich an, wie sehr sich die Erde aufheizen würde, wenn man die Menge der Treibhausgase auf einen Schlag verdoppelte und dann einige Jahrhunderte wartete, bis sich das Klima auf einem neuen Niveau einpendelt. Das ist eine unrealistische Vorstellung, die höchstens einen Eindruck liefert – so als würde man aus der eventuellen Höchstgeschwindigkeit eines Autos bei Vollgas auf beliebig langer, gerader Strecke etwas über seine Eignung für eine Berg-Rallye ablesen wollen.

Übersetzt in die Klimaforschung bedeutet das: Die Forschung kann der Wissenschaftlerin aus Schottland zufolge mehr mit der »transient climate response« (TCR; Übergangsklimareaktion) anfangen; diese sei auch besser zu bestimmen, stellte Hegerl im September 2017 fest. Der Wert misst die erreichte Erwärmung nach einem langsamen Anstieg der Treibhausgase in dem Jahr, in dem diese sich im Vergleich zum vorindustriellen Wert von 280 ppm (parts per million) verdoppelt haben; die Erwärmung ginge danach aber selbst ohne zusätzliche Emissionen weiter. Die TCR liegt laut IPCC zwischen 1,0 und 2,5 Grad. Diese Verdopplung von Kohlendioxid und anderen Substanzen in der Atmosphäre könnte bei einem ungebremsten Ausstoß schon 2050 erreicht sein.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.