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Kaiser Wilhelm II. im Exil: Der schrille Zwangspensionär

Jahrzehntelang saß der deutsche Exkaiser Wilhelm II. im Exil, hackte Holz und fantasierte wie besessen von der Rückkehr nach Berlin. Bloß wollte ihn dort keiner mehr.
Wilhelm in Doorn

Es steht nicht gut um die Demokratie im geschlagenen Deutschland. Und nicht wenige wollen schon bald ihren »alten Kaiser Wilhelm wiederhaben«, wie es seit Ende des Kaiserreichs in einem alten Gassenhauer zur Melodie des 1893 komponierten Fehrbelliner Reitermarsches, auch Kaiser-Wilhelm-Marsch genannt, gesungen wird. Wilhelm II., am 10. November 1918 ins holländische Exil geflohen, und egozentrisch bis über beide Ohren, hört es mit Wohlgefallen. Und – wie so oft – nicht richtig zu. Denn im Lied heißt es weiter: »Aber den mit'm Bart, mit'm langen Bart.« Dass damit nicht er und seine Oberlippenzier gemeint sind, sondern sein Großvater Kaiser Wilhelm I. (1797-1888), bekommt er nicht mit. Eines der vielen Missverständnisse im langen Leben des vor genau 160 Jahren am 27. Januar 1859 geborenen Monarchen.

Standhaft weigerte sich Wilhelm II., des Reiches oberster Kriegsherr, den Weg freizumachen zu einem Waffenstillstand, den die alliierten Siegermächte nur mit einem demokratiewilligen Deutschland zu schließen bereit waren. Aus diesem Grund schickte der neue Reichskanzler, Prinz Max von Baden, am 1. November 1918 den preußischen Innenminister Bill Drews ins Große Hauptquartier im belgischen Spa, um dem Kaiser den Thronverzicht nahezulegen. Doch der wies das Ansinnen brüskiert von sich: »Ich danke nicht ab: Es würde dies mit den Pflichten, die ich als preußischer König und Nachfolger Friedrichs des Großen vor Gott, dem Volke und meinem Gewissen habe, unvereinbar sein […]. Vor allem verbietet mir auch meine Pflicht als oberster Kriegsherr, jetzt die Armee im Stich zu lassen. Das Heer steht in heldenhaftem Kampfe mit dem Feinde. Sein fester Zusammenhalt beruht in der Person des obersten Kriegsherrn. Geht dieser fort, so fällt die Armee auseinander und der Feind bricht ungehindert in die Heimat ein.«

In völliger Verkennung der tatsächlichen Situation lehnte Seine Majestät auch in den darauf folgenden Tagen eine Demission kategorisch ab: »Ich denke gar nicht daran, wegen der paar 100 Juden und der 1000 Arbeiter den Thron zu verlassen.« Noch am 8. November 1918 kanzelte er telefonisch aus dem Großen Hauptquartier seinen Kanzler ab: »Werdet ihr in Berlin nicht anderen Sinnes, so komme ich mit meinen Truppen und schieße die Stadt zusammen.« Die starken Worte eines Mannes, der längst verspielt hatte. Denn die Militärs waren sich einig: Der Kaiser musste auf den Thron verzichten, um die Monarchie zu retten.

Der Kaiser bei der Lagebesprechung | Kaiser Wilhelm II. (Mitte) im Großen Hauptquartier in Pleß während einer Lagebesprechung mit der Heeresleitung. Links Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, rechts General Erich Ludendorff. Von beiden (und nicht nur von diesen) fühlte sich der Wilhelm nach der Abdankung verraten.

Unklarheit herrschte bei den Militärs nur in einem Punkt: Wohin mit dem hohen Herrn? Allein das neutrale Holland konnte man von Spa aus einigermaßen risikolos erreichen, und Eile war geboten. Man rechnete mit einem »bolschewistischen Angriff« aus dem Raum Aachen. Schließlich bröckelt auch bei Wilhelm II. der Widerstand. Voll Selbstmitleid seufzte er am Abend des 9. November, als ihn die Nachricht erreichte, die deutsche Republik sei ausgerufen worden: »Das Beste wird schon sein, ich schieße mich tot.« Aber dann willigte er doch in Fluchtpläne ein, weil seine Getreuen ihn davon überzeugen konnten, dass ein Christ nicht einmal mit dem Gedanken an den Freitod spielen dürfe. Auch Holland war ihm recht. Das oranische Königshaus, mit den Hohenzollern versippt und verschwägert, würde kaum einen Vetter ausliefern.

Die Alliierten hatten nämlich keinen Zweifel daran gelassen, dass sie Wilhelm vor Gericht stellen wollten. Ob das kleine Holland den nötigen Schutz bieten konnte? »Kaiser Hosenvoll«, wie der Publizist Maximilian Harden den flüchtigen Kaiser verächtlich nannte, fand zunächst Unterkunft beim Grafen Godard van Aldenburg-Bentinck in Amerongen und wälzte – für den Fall der Fälle – mit seinem Stab die abenteuerlichsten Fluchtpläne, falls Den Haag doch noch schwach werden sollte. Doch so weit kommt es nicht, weil die Siegermächte Ende 1918 ganz andere Sorgen haben: Der Waffenstillstand muss umgesetzt und Friedensverhandlungen in die Wege geleitet werden.

So gerät der letzte deutsche Kaiser zunächst aus dem Blickfeld der alliierten Siegermächte. 18 Monate – viel länger als es dem Grafen Bentinck lieb sein mochte – verbrachte der Kaiser mit seinem Minihofstaat aus letzten Getreuen im Wasserschloss Amerongen. Dort schmiedet der kaiserliche Asylant nicht nur Pläne für seine Rückkehr, sondern rechnet auch rigoros mit jenen ab, die er einst in ihre Ämter berufen hat. Schon in Amt und Würden nicht um markige Sprüche verlegen, zog Wilhelm auch im Exil kräftig vom Leder: Hindenburg (der ihm zugeredet hat, ins Exil zu gehen), Prinz Max von Baden (der eigenmächtig seine Abdankung bekanntgab) und Ludendorff (der nicht mehr weiterkämpfen wollte) seien allesamt Verräter. »Dreißig Jahre habe ich meine ganze Kraft fürs Vaterland eingesetzt. Dies ist nun der Dank. Nie hätte ich geglaubt, dass die Marine, mein Kind, mir so danken würde. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass meine Armee sich so schnell zersetzen würde. Alle haben sie mich im Stich gelassen.«

Tapetenwechsel

Als im Mai 1920, nach langem diplomatischen Hin und Her, sicher war, dass Holland den Exilkaiser nicht ausliefern würde, zog der 61-jährige Wilhelm nach Haus Doorn nahe Utrecht um. Ebenso fürstlich wie die neue Bleibe war auch die Abfindung, welche die »Saurepublik von Weimar«, so der geschasste Kaiser über die verhasste Regierung, ihm zur Führung eines standesgemäßen Unterhalts hatte zukommen lassen. Im ersten Jahr des Exils belief sich diese auf rund 66 Millionen Reichsmark, nach heutiger Kaufkraft rund 30 Millionen Euro. Und im Mai 1921 forderte Wilhelms Hausminister Graf August zu Eulenburg weitere 10 Millionen Reichsmark aus der Staatskasse an. Im Vergleich zu seinen gebeutelten ehemaligen Untertanen konnte der Zwangspensionär ein Leben in Saus und Braus führen. Am 1. September 1919 gab der preußische Finanzminister die für die Einrichtung der Wohnung des ehemaligen Kaisers und Königs bestimmten Möbel und sonstigen Einrichtungsgegenstände frei. Mehr als 50 Eisenbahnwaggons rollten mit dem kaiserlichen Umzugsgut nach Holland. Darunter auch ganz persönliches Inventar aus dem Familienbesitz der Hohenzollern, wie etwa ein Krückstock des Alten Fritz, etliche Marschall- und Admiralstäbe oder der Sattelstuhl, auf dem Seine Majestät schon im Berliner Stadtschloss am Schreibtisch gesessen hatte, der nun im Turmzimmer zu Doorn einen neuen Standort fand.

Dorthin folgte ihm auch Freiherr Sigurd von Ilsemann (1884-1952), Wilhelms ergebener Flügeladjutant, der über die gesamte Exilzeit (1918-1941) minuziös Tagebuch führte. Dank der Aufzeichnungen des ehemaligen Generalstabshauptmanns sind wir heute in der Lage, das Leben des letzten deutschen Kaisers im niederländischen Exil nachzuvollziehen. Vor allem geben sie Aufschluss darüber, dass der abgesetzte Monarch bis in seine letzten Tage hinein fest mit seiner Rückkehr auf den Hohenzollernthron gerechnet hat. O-Ton Willi II: »Ich bin der Einzige, der die Fähigkeit hat, Deutschland wieder aus dem Dreck herauszuführen.«

»Ich brauchte nur zu pfeifen, dann hätte ich Zehntausende hinter mir«Wilhelm II.

Wie schon seinerzeit in Amt und Würden unterliegt der kaiserliche Zwangspensionär auch im Ruhestand zahlreichen Fehleinschätzungen. »Wilhelm unverbesserlich« ist fest davon überzeugt, dass bald seine große Stunde schlägt. So unerschütterlich ist sein Glaube, dass Gott ihn eines Tages auf den Thron seiner Väter zurückrufen wird, dass er auch weiterhin – und das bis zu seinem Tod – seine Briefe mit IR (Imperator Rex) signierte.

Holzfäller im Exil

Zwischenzeitlich vertrieb sich der Kaiser im Unruhestand die Zeit mit Rosenzüchten, Altertumskunde und Holzfällen. Besonders auf letzterem Feld entfaltete der Exkaiser bald eine hektische Betriebsamkeit. Fast täglich rückt der rastlose Zwangspensionär am Morgen zum Sägen aus und lässt dort seinen zigtausendsten Baum fällen. Mit der Besessenheit eines Bibers verwüstet der Kaiser die Parks und Wälder in seiner Umgebung. Angeblich aus Gründen der Fitness, doch stecken wohl eher Allmachtsfantasien und aufgestaute, ziellose Gestaltungswut dahinter. Alle müssen mit anpacken, auch die Damen. Ilsemann: »Der Kaiser hält den Baum, die Gräfin Elisabeth (Hofdame der Kaiserin) und ich sägen, und die Kaiserin legt die abgeschnittenen Stücke auf einen Haufen zusammen.« Nur sonntags und bei besonders schönem Wetter wird nicht gesägt.

Längst geht es Wilhelm nicht mehr um die Gesundheit, sondern um Rekorde. Stolz meldet er seinem Gefolge Tag für Tag das Ergebnis seines Tagewerks. Durch Ilsemanns Tagebuch ziehen sich die Meldungen über des Kaisers Hobby wie eine Heimsuchung. Bald hatte Seine Majestät seinen 13 000. Baum gesägt. Und als dem umtriebigen Waldarbeiter die Roderei zu langsam ging, schaffte er sich eine Motorsäge an. Schon im November 1920 notierte Ilsemann: »Der Park wird immer kahler, ein Baum nach dem anderen fällt.«

Abenteuerliche Rückkehrpläne

Doch bei aller Passion für die Waldarbeit, sein Ziel, auf den Hohenzollernthron zurückzukehren, verliert er zu keiner Zeit aus dem Blick. Spätestens seit er weiß, dass sein Gastgeberland ihn nicht an die Alliierten ausliefern wird, schöpft er neuen Mut. Mit dem Wegfall des politischen Drucks, kam auch der alte, nassforsche Wilhelm wieder zum Vorschein. Schwärmerisch malt er sich schon die neuen »herrlichen Tage« aus, denen er das Reich nun entgegenführen werde, freilich erst, nachdem er den »Saustall« in Berlin gründlich ausgemistet hat: »Wenn ich zurückkomme«, poltert er in gewohnt kraftmeierischer Manier, »wird das deutsche Volk mit der Rute regiert.« Und, so der Säbelrassler weiter: »Wenn ich erst wieder zu Hause bin, fliegen aber die Köpfe!«

Als im Frühjahr 1920 schwere Kämpfe zwischen den Polen und der Roten Armee gemeldet werden, sehnt Wilhelm den Einmarsch der Bolschewiken in Deutschland herbei. In der dann fälligen Volkserhebung will er sich an die Spitze der Truppen stellen und im Triumph auf den Thron zurückkehren. Noch näher sieht er sich seinem zweiten Reich, als wenig später der ostpreußische Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp mit Freikorps gegen die junge Republik putscht und Berlin besetzt. Wie bei einer Siegesnachricht jubelt Wilhelm und ordnet an: »Heute Abend gibt es Champagner!« Und als noch im selben Jahr Kämpfe zwischen deutschen Freikorps und polnischen Aufständischen aufflackern, lässt er Vorbereitungen zur Abreise treffen: »Ich kehre jetzt nach Deutschland zurück, und wenn sie mich dort nicht als Herrscher wollen, übernehme ich ein Korps oder ein sonstiges militärisches Kommando; aber ich kann nicht länger zusehen, wie mein Volk ganz zu Grunde gerichtet wird!«

Hochzeit mit Hermo

Am 11. April 1921 dämpfte der Tod der herzkranken Kaiserin Auguste Viktoria Wilhelms Rückkehrfantasien. Der Kaiser war tief betrübt. In den Kriegsjahren war er seiner Frau nähergekommen, als je zuvor in ihrer langen Ehe, und nun, im Exil, fühlte er sich gänzlich verlassen. Wie seine Mutter es einst bei einem Trauerfall in der Familie getan hatte, ließ er das Zimmer seiner toten Frau abschließen. Alles blieb so, wie sie es verlassen hatte. Solange er lebte, besuchte Wilhelm jeden Morgen den Raum und beugte den Kopf in stillem Gebet.

Die Einsamkeit, die über Haus Doorn lag, sollte jedoch bald vorbei sein. Knapp ein halbes Jahr nach dem Tod der Kaiserin ging der rüstige Witwer auf Brautschau. Schließlich hatte Auguste Viktoria selbst kurz vor ihrem Tod den Wunsch nach einer Wiedervermählung des Kaisers nach ihrem Ableben geäußert. Das war auch ganz im Sinn von Wilhelms Leibarzt Dr. Alfred Haehner, dem die zunehmende Vereinsamung seines Patienten Sorge bereitete. Mehrere Damen wurden in der Folgezeit im Haus Doorn vorstellig, darunter eine hellseherische finnische Ärztin und eine 25-jährige lungenkranke Baronesse. Schließlich entschied sich der kaiserliche Witwer für die 39-jährige, ebenfalls verwitwete Prinzessin Hermine (Hermo) von Schönaich-Carolath, eine geborene Prinzessin Reuß ältere Linie und Mutter von vier Kindern.

Kaiserliche Familie in Doorn | Mit seiner zweiten Ehefrau Hermine, genannt Hermo, und deren Töchtern aus erster Ehe, Hermine Karoline und Henriette, lebte Wilhelm in Doorn.

Argwöhnisch beobachtete Ilsemann die über 20 Jahre jüngere Besucherin und holte Erkundigungen über sie ein (»Die Fürstin Castell sagte, dass die Prinzess in Deutschland als falsch und männertoll bekannt sei«). Und er war traurig, weil er an die gute Kaiserin denken musste. Schon am ersten Abend des Hermo-Besuchs änderte Wilhelm, der sonst nie ins Bett fand, seine Gewohnheit: »Schon um 10 Uhr zog der Kaiser sich mit ihr in ihre Gemächer zurück.« Wie die höchst agile Brautanwärterin Wilhelm für sich einzunehmen wusste, mag dahingestellt bleiben. Fakt ist, dass schon am 5. November 1922 die Hochzeitsglocken läuteten. Hierzu ließ sich Seine Majestät in der Uniform des 1. Garderegiments fotografieren und bat Ilsemann, er möge auf etwaige Anfragen nach dem Grund erklären, »dass ich mich noch im Krieg befinde, dass ich deshalb meine Kriegsuniform, mit der ich seinerzeit hier über die Grenze kam, weitertragen werde«.

Gewehr bei Fuß

Wilhelm schwebt auf Wolke sieben. Mit dem privaten Glück wächst auch wieder sein Verlangen, möglichst bald zu Hause die Macht zu übernehmen. Ungeduldig steht der Exilkaiser Gewehr bei Fuß und deutet nahezu jede politische Veränderung als sicheres Anzeichen für seine baldige Rückkehr. Im November 1923 sorgt sein einstiger Feldherr Ludendorff gemeinsam mit einem gewissen Hitler in München für Aufruhr. Wieder ist Wilhelm wie elektrisiert: »Die Ereignisse zeigen aufs Neue, dass eben nicht wieder Ruhe und Ordnung kommt, bis sie wieder ihren Kaiser in Deutschland haben.« Voller Erwartung schreibt er seinen Generälen: »Wenn Ihr mich braucht, ruft mich, ich bin jederzeit bereit, zurückzukehren.«

Es ruft aber keiner. Im Gegenteil, zum Leidwesen des Exilanten konsolidiert sich die Republik. Und schuld daran ist ausgerechnet sein »treuer Eckart«, Feldmarschall von Hindenburg. Dieser sei für seine Flucht verantwortlich, habe er ihn doch damals zu dem verhängnisvollen Schritt überredet und maße sich nun eine Stellung an, die doch nur ihm, dem gottgewollten Monarchen, gezieme. Denn der Sieger von Tannenberg hatte sich 1925 zur Kandidatur für die Nachfolge von Reichspräsident Ebert bewegen lassen und die Wahl triumphal gewonnen. Als »Ersatzkaiser« gelingt es Hindenburg, viele Menschen mit der Republik zu versöhnen. Für den »richtigen« Kaiser grenzt das an Hochverrat. Die Beteuerungen seines einst höchsten Offiziers, er stehe treu zu seinem »kaiserlichen Herrn«, ignoriert Wilhelm.

Weil ihm Deutschland in den Goldenen Zwanzigern nur wenig Stoff für seine Rückkehrfantasien bietet, müssen entlegenere Ereignisse herhalten. Als im Juli 1927 der rumänische König stirbt, sieht Wilhelm wieder einmal seine Stunde gekommen. »Das bedeutet ein zweites Sarajevo«, verkündet er. Aus sicherer Quelle will er wissen, dass die Engländer bereits mobil machen gegen Moskau und daher ein Durchmarschverlangen an die Reichsregierung richten. »Deshalb werde ich gezwungen sein, einzugreifen. Ich will mir ja nicht schmeicheln, aber wenn die Engländer sehen, dass ich die Zügel der Regierung wieder ergriffen habe, werden sie mehr Respekt bekommen.« Doch nichts passiert.

Bald gibt ihm jede auch noch so fantastisch anmutende Gelegenheit Anlass für neue Rückkehrhoffnungen. Statt auf Adel und Offizierskorps setzt er nun auf die deutschen Arbeiter, jene Gesellschaftsgruppe, die er wenige Jahre zuvor noch als Schweinebande bezeichnet hatte: »Ich brauchte nur zu pfeifen, dann hätte ich Zehntausende hinter mir«, verkündet er vollmundig. Und als auch die Massen sich nicht rührten, spekuliert der Emigrant darauf, dass ihn einer ganz gewiss heim ins Reich holen werde: Adolf Hitler.

Unheilvolle Allianz

Als die Weltwirtschaftskrise die Saat des Nationalsozialismus aufgehen lässt, keimen auch die Hoffnungen im Haus Doorn. Getreu dem Motto, die Hoffnung stirbt zuletzt, setzt das Kaiserpaar nun auf die braune Karte, wobei die Initiative in diesem Fall mehr von Hermine ausgeht. Hermo oder I.M. (Ihre Majestät) – Spitzname Giftspritze – knüpft Kontakte zu Hitlers zweitem Mann, dem hochdekorierten Weltkriegsflieger Hermann Göring. Ihn holt sie am 17. und 18. Januar 1931, dem 60. Jahrestag der Versailler Kaiserproklamation 1871, nach Doorn. Inzwischen setzt auch Wilhelm große Hoffnungen in den Gast aus Berlin. Wieder notiert Ilsemann: »Der Kaiser hat aus allen Äußerungen Görings entnommen, dass er für seine Rückkehr arbeiten wird [...]. Auch Ihre Majestät, die Kaiserin, ist sehr stolz auf ihren Erfolg mit Göring und spricht nur noch von ›dem treuen und anständigen Menschen‹.«

Haus Doorn | Üppige Zuwendungen aus der republikanischen Staatskasse erlaubten es dem Exilanten, ein einigermaßen standesgemäßes Leben zu führen. Heute ist das kleine Schloss nahe Utrecht ein Museum.

Was Wilhelm II. dazu bewegt, trotz aller immer wieder geäußerten Bedenken den Pakt mit den Nationalsozialisten zu suchen, ist eine offene Frage der Geschichtsforschung. Für den deutschen Historiker und Publizisten Volker Ullrich ist der Fall klar: Es war »ein trübes Gemisch aus illusionären Restaurationshoffnungen und antidemokratischen Ressentiments«, das zu der unheiligen Allianz zwischen dem Royalisten und den Braunhemden führte. Ob auch Wilhelms strammer Antisemitismus die Nazis attraktiv machte, lässt sich nicht eindeutig sagen. Auf jeden Fall aber hegte Wilhelm II. bereits während seiner Regierungszeit Ressentiments gegenüber Juden. Und diese haben im Exil zugenommen, wie der englische Historiker John C. G. Röhl dank akribischem Aktenstudium nachweisen konnte.

Kaum im Exil angekommen sei Wilhelm »in einen paranoiden Alptraum versunken, durchdrungen von der Vorstellung, dass satanische Mächte am Werk gewesen seien, um ihn und alles Edle zu vernichten, wofür er zeitlebens ritterlich gekämpft habe«, schreibt Röhl. Im fatalen Einklang mit den Strömungen der Zeit verfiel Wilhelm der fixen Idee einer jüdischen Weltverschwörung gegen die deutsche Monarchie. Die Novemberrevolution, so der »rachsüchtige Exilant« (Röhl), sei ein »Verrat des von dem Judengesindel getäuschten belogenen Deutschen Volkes gegen Herrscherhaus und Heer« gewesen.

Am 2. Dezember 1919 schrieb er dem allertreuesten seiner Generalfeldmarschälle, August von Mackensen: »Die tiefste und gemeinste Schande, die je ein Volk in der Geschichte fertiggebracht, die Deutschen haben sie verübt an sich selbst. Angehetzt und verführt durch den ihnen verhassten Stamm Juda, der Gastrecht bei ihnen genoss. Das war sein Dank! Kein Deutscher vergesse das je und ruhe nicht bis diese Schmarotzer vom Deutschen Boden vertilgt und ausgerottet sind! Dieser Giftpilz am Deutschen Eichbaum!«

Übelster Antisemitismus

Auch im weiteren Verlauf seiner Exilzeit tat sich Wilhelm im kleineren Kreis mit übelsten antisemitischen Äußerungen hervor. Im März 1921 legte er seine krude Weltanschauung bei einem seiner allabendlichen Tischgespräche dar: »Wenn wieder einmal andere Zeiten in Deutschland kämen, müssten die Juden gehörig dran glauben. Etwa 80 Milliarden seien von ihnen ins Ausland verschoben worden. Die müssten sie wieder ersetzen […]. Alles müssten sie hergeben, ihre Sammlungen, ihre Häuser, jedweden Besitz. Aus allen Beamtenstellen müssten sie ein für alle Mal entfernt werden, sie müssten vollkommen zu Boden geworfen werden.« Er rief nach einem »regelrechten internationalen Allerweltspogrom« als »die beste Lösung«. Und am 15. August 1927 notierte Ilsemann: »Die Presse, Juden und Mücken sind eine Pest, von der sich die Menschheit so oder so befreien muss. Das Beste wäre wohl Gas.« Von einer solchen Auffassung war es nicht mehr weit zum Holocaust.

»Ich will das nicht ohne die Nazis erreichen, der Nazischwung muss mitbenutzt werden«Wilhelm II.

Vorrangig scheint Wilhelm jedoch in den Nazis die Steigbügelhalter für seine Rückkehr nach Berlin gesehen zu haben. Sein Gast Göring aber denkt nicht daran. Er interessiert sich mehr für einen funkelnden Hohenzollern-Orden, den er sich an die Brust heften will. Mehr als unverbindliche Bekundungen kommen dem späteren Reichsmarschall nicht über die Lippen, auch 16 Monate später nicht, als der »treue und anständige Mensch« erneut in Doorn aufkreuzt und zum Entsetzen der Kaiserlichen in Pumphosen bei Tisch erscheint. Nein. Man muss wohl Hitler selbst gewinnen, und da ist die früher scharf kritisierte SA-Mitgliedschaft von Kaisersohn August-Wilhelm auf einmal ganz angenehm.

Doch letztlich hilft alles nichts. Denn Hitler sieht in der Monarchie nur eine konservative Verfallserscheinung. Wieder schätzte Wilhelm die Situation falsch ein. In der Hoffnung, bei Hitler zu landen, gibt er den großen Weltstaatsmann und spart nicht mit gönnerhaften Ratschlägen für das Vorgehen gegen die seiner Meinung nach abgewirtschaftete Republik. Den Legalitätskurs Hitlers hält er für viel zu zaghaft: »Er hätte mit 50 000 Nazis nach Berlin marschieren sollen, Hindenburg nach Hause schicken und selbst die Macht nehmen sollen.«

Als dann Hitler anders ans Ziel gelangt, rechnet Wilhelm stündlich mit der Rückberufung. Doch es kommt der 21. März 1933, der »Tag von Potsdam«. Wilhelm muss aus der Ferne miterleben, wie sich Hitler von Hindenburg »den Mantel Friedrichs des Großen umhängen« lässt – so sein Lamento über den Festakt mit dem symbolischen Händedruck, den der Reichspräsident als Repräsentant der preußischen Tradition mit dem neuen Reichskanzler tauscht. Für Seine Majestät ein ungeheuerlicher Akt.

Doch selbst jetzt wirft Wilhelm, inzwischen 74 Jahre alt, die Flinte nicht ins Korn – und hält sich auf Abruf: »Sie machen bereits so viel Unsinn«, konstatiert er, »dass es höchste Zeit wird, dass ich eingreife, vor allem auch, um zu verhindern, dass ein Nazi-Staat kommt.«

Irgendwie aber ist auch ihm klar, dass das Volk gewonnen werden muss und das Gottesgnadentum, auf das er sich zeitlebens beruft, allein nicht mehr als Legitimationsgrundlage für seine Herrschaft genügt: »Ich will das nicht ohne die Nazis erreichen, der Nazischwung muss mitbenutzt werden.« Doch diese Welle reitet der Exkaiser nicht mehr. Als der greise Hindenburg am 2. August 1934 stirbt, schlagen die Nazis dessen Empfehlung zur Wiedereinführung der Monarchie in den Wind. Statt auf Wilhelm II. wird die Reichswehr auf den »Führer und Reichskanzler« in Personalunion vereidigt.

Wilhelm straft »Das Dritte Reich« fortan mit Verachtung, nennt es eine »Mostrich-Republik« – braun und scharf. Das hindert ihn freilich nicht daran, Hitlers Erfolgskurve fasziniert zu verfolgen. Mit kindlichem Eifer fertigt er Lagepläne vom Geschehen im spanischen Bürgerkrieg und im beginnenden Zweiten Weltkrieg an. Er, der sich noch in Amt und Würden am liebsten hoch zu Ross in Paradeuniform im Manöver zeigte, musste nun seine Auftritte notgedrungen ins heimische Wohnzimmer verlegen. Dort spielte der »Sandkastenstratege« die Schlachten in abendlichen Strategiesitzungen nach. Akribisch trug er dabei die jeweiligen Truppenbewegungen in eine Karte ein und markierte die feindlichen Armeen mit unterschiedlichen Farben. Augenzeuge Ilsemann: »Die Meldungen über den Einmarsch deutscher Truppen in Polen trug er sofort in ein Atlas-Blatt ein. Nun hat er also wieder einen Kriegsschauplatz, den er mit blauen und roten Einzeichnungen versehen kann.«

Hingerissen vom Siegeslauf der Wehrmacht, begräbt Wilhelm seinen zwischenzeitig gehegten Groll gegen die braune Regierung und kommentiert mit Begeisterung die militärischen Erfolge Hitlers, die er »als eine willkommene Fortsetzung seiner eigenen Hegemonialbestrebungen sah«, wie der Historiker Röhl schreibt. Anlässlich der Kapitulation Frankreichs im Juni 1940 lässt sich Wilhelm sogar zu einem Telegramm an den »Anstreicher« hinreißen, in dem er Hitler »und die gesamte deutsche Wehrmacht zu dem von Gott geschenkten gewaltigen Sieg« beglückwünscht. Nicht ohne jedoch unerwähnt zu lassen, dass die siegreichen Generäle aus »Meiner Schule kamen und unter Meinem Befehl schon im [Ersten] Weltkrieg als Leutnants, Hauptmänner und junge Majoren gekämpft hatten«.

Dass Wilhelm da schon so gut wie unter Hausarrest steht, höheren Offizieren der Umgang mit ihm untersagt ist und SS-Wachen vor Doorn aufziehen, stört ihn nicht. Noch auf seinem Totenbett am 4. Juni 1941 schwärmt er: »Unsere herrlichen Truppen!«

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