Der Quiz-Effekt: Wie Tests beim Lernen helfen

Das eigene Wissen zu testen, kann großen Spaß machen – wenn man zum Beispiel an einem Pub-Quiz teilnimmt oder bei der Quizshow »Wer wird Millionär?« miträt. Der Spaß ist allerdings vorbei, sobald das Quiz zu einer Prüfung wird, die es zu bestehen gilt. Doch genau das ist der richtige Zeitpunkt, sich ausgiebig mit Frage-und-Antwort-Spielen zu beschäftigen: »Testen« oder »Quizzen« zählt zu den wenigen Lernstrategien, deren Nutzen gut belegt ist. Dutzende psychologische Studien haben den so genannten Testeffekt (englisch: testing oder quizzing effect) nachgewiesen. Die Quintessenz: Wenn man bereits gelernte Informationen abfragt, verankern sie sich tiefer und dauerhafter im Gedächtnis, als wenn man sie lediglich noch einmal liest, hört oder aufschreibt.
Der Effekt gilt als robust und umfangreich belegt. Ein Experiment aus dem Jahr 2006 brachte die Forschung ins Rollen: Die Psychologen Henry Roediger III und Jeffrey Karpicke von der Washington University in St. Louis ließen Studierende zunächst kurze Sachtexte lesen. Zwei Minuten später sollten sie dasselbe entweder noch einmal lesen oder es aus dem Gedächtnis aufschreiben. Weitere fünf Minuten später folgte die erste Prüfung: Nun sollten sie alles aufschreiben, was sie noch aus den Texten wussten. Zu diesem Zeitpunkt gelang das nach zweimaligem Lesen besser als nach einmaliger Lektüre plus Test. Doch nach zwei Tagen und auch nach zwei Wochen war es genau umgekehrt: Mit Test erinnerten sich die Versuchspersonen an rund 15 bis 20 Prozent mehr Fakten, und der Vorsprung vergrößerte sich bei mehrfachen Tests an Stelle von mehrfacher Lektüre noch weiter. Die zentrale Erkenntnis, die bis heute Bestand hat: Wenn man sich etwas langfristig merken möchte, hilft es, das entsprechende Wissen immer wieder abzufragen. Aber wie genau macht man das am besten? Fünf Fragen und Antworten zum optimalen Lernen mittels Tests.
1. Wie viel bringt der Testeffekt in der Praxis?
Dass Quiz dabei helfen, sich Lerninhalte besser einzuprägen, wurde auch im Klassenzimmer und in Vorlesungen nachgewiesen. Das Ergebnis einer Metaanalyse über 222 Studien sowie einer Übersicht über 50 Experimente in realen Lernsituationen: Ein Test steigert das Erinnerungsvermögen im Schnitt »moderat«, also mittelgradig, verglichen mit passiven Methoden wie einer wiederholten Lektüre. Wie groß der Effekt genau ist, hängt von vielen Faktoren ab, beispielsweise der Zahl der Tests, die zur Übung durchgeführt werden, und dem Zeitpunkt der finalen Prüfung. Experimente mit Achtklässlern im Naturkundeunterricht ergaben zum Beispiel, dass deren Leistungen in den Prüfungen am Ende des Schuljahres 13 bis 25 Prozent besser waren, wenn sie ein Thema im Unterricht in Form von Multiple-Choice-Tests geübt hatten. Solche Übungstests müssen dabei nicht im Unterricht stattfinden; ein Online-Quiz als Hausaufgabe tut es auch.
Der wiederholte Abruf von Informationen verstärkt ihre Gedächtnisspuren und hält sie damit längerfristig verfügbar
Allerdings klappt es nicht immer. Für eine Studie in den Niederlanden lernten rund 130 Kinder im Unterricht 40 englische Vokabeln, indem sie unter anderem Erklärungen zu den Wörtern abschrieben. Die eine Hälfte der Kinder sollte dann ein paar Tage später diese Erklärungen einfach noch einmal abschreiben, die andere Hälfte wurde gleich getestet: Sie sollten die Beschreibungstexte aus dem Gedächtnis rekonstruieren und sich selbst korrigieren. Doch dieser Test verbesserte ihr Abschneiden bei späteren Vokabeltests nicht, weder kurz- noch langfristig. Die Forschenden vermuten, dass die »sehr lebhafte« Atmosphäre in den Klassenzimmern die Kinder bei der Aufgabe störte, ihre Antworten zu überprüfen. Die Lernphase ließ sich hier im realen Unterricht – mit im Schnitt zehn Jahre alten Kindern – offenbar nicht standardisieren. Das bedeutet, so das Fazit der Forschenden, »dass wir Lernstrategien nicht einfach aus dem Labor auf den normalen Unterricht übertragen können«.
2. Warum können Tests beim Lernen helfen?
Es gibt verschiedene Wirkweisen. Erstens: Der wiederholte Abruf von Informationen verstärkt ihre Gedächtnisspuren und hält sie damit längerfristig verfügbar. In der Fachsprache heißt das: Die mentalen Repräsentationen werden konsolidiert. Dabei werden außerdem assoziierte Repräsentationen mitaktiviert – was möglicherweise erklärt, warum sich der Testeffekt auch auf Inhalte überträgt, die gar nicht direkt abgefragt wurden. Außerdem stärkt das Testen alte Abrufrouten oder legt neue an.
Zweitens können Tests das Verhalten verändern: zum einen, indem sie etwaige Wissenslücken offenbaren und die Illusion nehmen, etwas schon zu wissen, bloß weil man es vielleicht beim Lesen wiedererkennt. Das fördert die Bereitschaft, weiterzulernen. Zum anderen machen Tests häufig mehr Spaß als andere Lernmethoden und steigern so die Motivation und das Engagement. Das belegte etwa ein Experiment im Rahmen eines Einführungskurses in die Psychologie, bei dem Studierende zu bestimmten Lektionen zu Hause Online-Quiz absolvieren sollten und sich daraufhin zum Beispiel verstärkt am Kurs beteiligten.
Die gesteigerte Lernmotivation könnte ebenfalls eine Erklärung dafür liefern, dass Tests die Erinnerung an Lerninhalte verbessern, die gar nicht getestet wurden. Ein solcher Transfereffekt trat etwa bei Psychologiestudierenden auf, die Kapitel in einem Lehrbuch lesen sollten. Ein Teil von ihnen wurde außerdem angehalten, noch Fragen dazu zu beantworten. Diese Gruppe schnitt in der späteren Abschlussprüfung nicht nur bei den bereits bekannten Fragen besser ab, sondern ebenso bei denen, die zwar im Lehrbuch behandelt, aber im Test nicht abgefragt worden waren.
Auch für die Schule ist der Transfereffekt belegt. Kamen in einem Abschlusstest neben den bekannten unbekannte Fragen vor, fiel der Testeffekt bei beiden ungefähr gleich groß aus. Eine Metaanalyse über 122 Untersuchungen bestätigt das.
3. Wann wirkt der Testeffekt nicht?
Belegt ist der Testeffekt für Vokabeln, Begriffe, Konzepte – also Inhalte, die eine klare Bedeutung haben. Wenn es jedoch darum geht, sich abstrakte Bilder zu merken, tritt der Effekt nicht auf. Bei komplexen Lernmaterialien sind die Ergebnisse durchwachsen. Testen funktioniert offenbar erst dann, wenn die Lernenden den Stoff bereits verstanden und abgespeichert haben, was bei komplexen Inhalten wahrscheinlich weniger häufig der Fall ist.
Dazu passen Befunde, wonach Lernende den Testfragen gewachsen sein sollten, damit diese ihre Wirkung entfalten können. Laut einer Übersicht über 20 Studien beeinflussten einzelne Eigenschaften wie Intelligenz, Vorwissen und Motivation den Testeffekt zwar wenig bis gar nicht. Dieser blieb aber gänzlich aus, wenn die Lernenden sowohl Prüfungsangst als auch ein schlechtes Arbeitsgedächtnis hatten.
Es genügt nicht, die richtige Antwort wiederzuerkennen – man muss schon selbst auf die Lösung kommen
Das Testformat könnte ebenfalls eine Rolle spielen. Die meisten Untersuchungen legen zwar nahe, dass der positive Effekt bei jeder Art von Test auftritt. Allerdings könnten offene Fragen effektiver sein, weil es dann nicht genügt, die richtige Antwort wiederzuerkennen – man muss schon selbst auf die Lösung kommen. Entsprechend zeigt sich der Testeffekt bei Multiple-Choice nicht immer. Für ein Experiment an der Universität Würzburg wurden am Ende einer Vorlesung regelmäßig die zentralen Inhalte wiederholt: entweder durch eine Zusammenfassung seitens der Lehrperson, per Multiple-Choice-Test oder mit offenen Fragen und freien Antworten. Verglichen mit der Zusammenfassung brachten bloß die offenen Fragen einen Vorteil.
4. Wie sollten die Tests gestaltet sein?
Leistungsdruck kann das Lernen behindern. Lernquiz steigern die Leistung in einer späteren Prüfung nur, wenn sie keinen zusätzlichen Druck erzeugen. Findet ein Test unter Druck statt, verschwindet der Testeffekt. Doch um keine Angst zu verbreiten, versuchen viele Lehrende, Tests soweit möglich zu vermeiden. Das muss nicht sein. Quiz lösen im Unterricht zwar kurzfristig mehr Stress aus als andere Lernmethoden. Aber wenn sie einfach, stressfrei und angenehm gestaltet sind, verstärken sie etwaige Prüfungsängste nicht, sondern mindern sie unter Umständen sogar.
Ein geeignetes Format sind Lückentexte: Sie erfordern einen freien Abruf aus dem Gedächtnis, sind jedoch einfacher zu beantworten und zu prüfen als offene Fragen. Und sie haben weitere Vorteile, wie ein Befund aus England nahelegt. Im Rahmen einer Vorlesung bekamen Studierende jede Woche verschiedene Online-Übungen: Eine Gruppe sollte 20 Sätze dreimal lesen; eine andere sollte dieselben Sätze einmal lesen, dann in den gleichen Sätzen Lücken ausfüllen und etwaige Fehler anschließend selbst korrigieren. Die Lückentexte besserten nicht nur die Prüfungsleistung am Semesterende. Die betreffenden Studierenden gaben auch an, weniger Angst vor der Prüfung zu haben und sich besser konzentrieren zu können.
Damit Tests wenig Stress erzeugen, sollten Übungstests möglichst einfach gestaltet sein. Und offenbar müssen sie auch gar nicht schwer sein: Leichte Tests wirken fast ebenso gut wie schwierige. Für den Lernerfolg könnte es allerdings hilfreich sein, den Schwierigkeitsgrad individuell an die gefühlte Anstrengung anzupassen. Für eine gute Lernatmosphäre sorgt auch eine spielerische Gestaltung von Tests, »Gamification« genannt. Spielerische Quiz-Tools wie Kahoot steigern Spaß und Konzentrationsvermögen, Motivation und Engagement. Man lerne damit jedoch nicht besser als mit einem Test auf Papier, folgerte ein norwegisches Team aus einem Versuch mit Informatikstudierenden. Zumindest kurzfristig könnte Gamification das Gedächtnis womöglich beflügeln. In einer US-Studie beantworteten Studierende zur Prüfungsvorbereitung entweder traditionelle oder spielerisch gestaltete Multiple-Choice-Fragen. Die Spiel-Gruppe war in der ersten Abschlussprüfung besser, bei späteren Prüfungen aber nicht mehr.
5. Was ist das beste Timing?
Übung macht den Meister – das gilt auch fürs Testen. Experimente mit knapp 1000 Versuchspersonen zeigten: Der Lernerfolg ist dann am größten, wenn die Lernenden so lange immer wieder gefragt werden, bis sie alle Fragen richtig beantworten können.
Dabei kommt es auch auf das richtige Timing an. Drei Übungseinheiten an einem Tag bringen langfristig weniger als drei Einheiten verteilt über mehrere Tage oder Wochen. Das Prinzip heißt »successive relearning« (in etwa: schrittweises Wiedererlernen) und verbindet den Testeffekt mit dem Prinzip des verteilten Lernens. Beides zusammen hilft, sich das Gelernte dauerhaft zu merken. Wer dagegen den Stoff bloß für eine Prüfung parat haben will, braucht ihn nur kurz vorher zu rekapitulieren.
Der Psychologe Harry Bahrick hatte das Prinzip des verteilten Lernens schon in den 1980er Jahren an Familienmitgliedern getestet. Zu diesem Zweck fragten sie sich monatelang in vordefinierten Zeitabständen immer wieder 300 Vokabeln ab. Bahrick beobachtete, dass sie bei längeren Intervallen zwischen den Übungen zwar langsamer lernten, aber dafür erinnerten sie sich länger an das, was sie einmal gelernt hatten. Außerdem benötigten sie bei längeren Intervallen weniger Wiederholungen: 13 Wiederholungen im Abstand von acht Wochen brachten ungefähr so viel wie 26 Sessions im Abstand von zwei Wochen.
Andere Forschende haben das Prinzip bestätigt: Am besten wartet man mit der Wiederholung so lange wie möglich. Nicht ärgern, wenn man dann vieles schon wieder vergessen hat, sagt Bahrick: Genau dieses Neulernen schreibe das Wissen langfristig im Gedächtnis fest.
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