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News: Der Tod kam aus den Anden

Im Jahr 1845 hatte ein Pilz nahezu die komplette irische Kartoffelernte vernichtet und damit eine der letzten großen Hungersnöte Europas ausgelöst. Lange wurde der Schuldige in Mexiko vermutet, doch neuere Untersuchungen deuten nach Südamerika.
Kartoffel
Ein süßlicher Geruch nach Verwesung hing in der Luft. Es hatte mit unscheinbaren grau-grünen Flecken auf den Blättern der Kartoffelpflanzen angefangen, dann war ein weiß-grauer Belag auf den Blattunterseiten aufgetaucht, nur wenige Tage später waren die Blätter komplett schwarz und vertrocknet. Verzweifelt versuchten die Bauern ihre Ernte zu retten und gruben die Kartoffeln frühzeitig aus. Doch außer faulig zersetzten Knollen gab es nichts mehr zu ernten.

Die Seuche, die im Sommer 1845 in Irland begann und bis 1848 in ganz Europa wütete, traf die irischen Bauern völlig unvorbereitet. Getreide wurde damals ausschließlich für den englischen Markt angebaut, die irische Bevölkerung lebte fast nur von der genügsamen Kartoffel. Ihrer Lebensgrundlage beraubt verhungerten schätzungsweise eine Million Menschen, weitere zwei Millionen traten die Flucht in die Neue Welt an – darunter auch eine gewisse Familie Kennedy, von der ein Sprössling es besonders weit bringen sollte.

Die Ursache der Katastrophe blieb damals rätselhaft. Giftige Gase aus dem All, elektrische Entladungen von Dampflokomotiven, ja sogar die kürzlich erfundenen Phosphorstreichhölzer wurden beschuldigt. Ein englischer Priester, der den Verdacht äußerte, ein Pilz hätte das große Kartoffelsterben ausgelöst, erntete nur Hohn und Spott. Erst dem deutschen Botaniker Heinrich Anton de Bary gelang es schließlich, den Erreger der Kraut- und Knollenfäule zu finden: den Pilz Phytophthora infestans.

Vermutlich ist der Pilz mit einer Schiffsladung infizierter Saatkartoffeln aus Amerika nach Irland eingeschleppt worden. Doch woher stammte der todbringende Keim? Lange Zeit galt die These, dass ein bestimmter in Mexiko beheimateter Stamm von Phytophthora infestans, der Haplotyp Ib, für die Katastrophe in Irland verantwortlich war. Doch im Juni 2001 erschütterte Jean Ristaino diese These.

Die Pflanzenpathologin von der North Carolina State University hatte irische und englische Herbarien aus der Zeit zwischen 1845 und 1847 durchstöbert und aus den historischen Proben mitochondriale DNA der Pilze isoliert. Und ihre Analysen konnten die Zugehörigkeit zum Haplotyp Ib nicht bestätigen [1].

Damit war die Frage nach der Herkunft des Pilzes wieder offen, was Ristaino natürlich keine Ruhe ließ. Zusammen mit ihrer Kollegin Kimberley May versuchte sie, das Rätsel jetzt endgültig zu knacken. Hierzu wälzten die beiden Forscherinnen wiederum historische Herbarien und konnten schließlich 186 Phytophthora-Proben aus der Zeit von 1845 bis 1982 aus sechs unterschiedlichen Regionen der Erde gewinnen.

Der mexikanische Verdächtige, der Haplotyp Ib, tauchte tatsächlich bei den DNA-Analysen auf – allerdings nur in jüngeren Proben aus Zentral- und Südamerika. Die historischen Kartoffelproben aus Irland waren dagegen von einem anderen Stamm infiziert: dem Haplotypen Ia. Und diese Variante, so vermuten die Wissenschaftlerinnen, trat ihren Seuchenzug im 19. Jahrhundert von den Anden Südamerikas aus an [2].

Die beiden Forscherinnen wollten mit ihren genetischen Analysen nicht nur ihre historische Neugier befriedigen. Denn in den Proben jüngeren Datums fanden sie auch andere Variationen der Pflanzenkrankheit, wie die Haplotypen IIa und IIb. Der Pilz, der seinen Schrecken noch längst nicht verloren hat, beweist damit seine hohe Verwandlungsfähigkeit. Ristaino ist überzeugt: "Wenn wir verstehen, welche Stämme von P. infestans heute existieren und wie der Krankheitserreger sich über die Zeit entwickelt hat – einschließlich, wie er gegen Fungizide und Abwehrmechanismen des Wirts mutierte –, dann werden wir die Krankheit besser beherrschen können."

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