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News: Der Ursprung der Einseitigkeit

Viele chemische Verbindungen aus ansonsten identischen Molekülen können in Strukturen vorliegen, die sich wie Bild und Spiegelbild zueinander verhalten. Aber fast alle Proteine und Nucleinsäuren in lebenden Zellen sind jeweils nur aus einer der beiden Varianten aufgebaut. Dieses Phänomen versetzt Wissenschaftler schon seit ungefähr 150 Jahren in Erstaunen. Nun wurde eine mögliche Erklärung gefunden, die auf den Ursprung des organischen Materials aus dem Weltall zurückgreift.
Im Jahre 1848 entdeckte Louis Pasteur, daß einige ansonsten identische Moleküle in verschiedenen räumlichen Anordnungen vorkommen können. Bei organischen Verbindungen kann es vorkommen, daß an einem oder mehreren Kohlenstoffatomen vier verschiedene chemische Gruppen gebunden sind. Je nach deren Anordnung gibt es zwei unterschiedliche dreidimensionale Strukturen, die sich durch Drehen und Verschieben nicht zur Deckung bringen lassen. Wie die linke und die rechte Hand verhalten sie sich wie Bild und Spiegelbild. In Anlehnung an dieses Beispiel sprechen die Wissenschaftler von der Händigkeit oder Chiralität der Moleküle.

In lebenden Organismen sind meist alle Moleküle einer Gruppe in dieser Hinsicht gleich. Zum Beispiel sind die Bausteine der Proteine, die Aminosäuren fast immer linkshändig, während die Zucker, zu denen auch die Desoxyribose als Bestandteil der DNA gehört, grundsätzlich rechtshändig vorliegen. Wenn diese Moleküle aber im Labor synthetisiert werden, dann entstehen gleiche Anteile von links- und rechtshändigen Produkten. Der Grund für diese Unterschiede zwischen Natur und Labor war den Wissenschaftlern bislang ein Rätsel.

Einen Teil der Antwort fanden Forscher 1930. Sie entdeckten einen Weg, Moleküle einer bestimmten Händigkeit selektiv zu zerstören, indem sie dazu zirkular polarisiertes Licht benutzten.

Licht ist eine elektromagnetische Welle, bei welcher ein elektrisches und ein magnetisches Feld senkrecht zueinander oszillieren. Je nach der Schwingungsebene des elektrischen Feldes kann zwischen verschiedenen Arten der Polarisation unterschieden werden: Viele Lichtquellen wie etwa die Sonne produzieren unpolarisiertes Licht. Durch entsprechende Filter oder bei anderen Vorgängen wie Reflektion an Oberflächen wird das Licht linear polarisiert, das heißt das elektrische Feld schwingt nur noch in einer feststehenden Ebene. Dreht diese Ebene sich und oszilliert das elektrische Feld somit eher kreisförmig, wird von zirkular polarisiertem Licht gesprochen.

Je nachdem, ob die Polarisationsebene sich mit oder gegen den Uhrzeigersinn drehte, konnte die linkshändige oder die rechtshändige Molekülsorte zerstört werden. Das grundlegende Problem war dadurch aber nicht gelöst. Als das Leben auf der Erde begann gab es keine offensichtliche Quelle für zirkular polarisiertes Licht.

Wissenschaftler der Arizona State University entdeckten nun 1997 einen Überschuß an rechtshändigen Aminosäuren im Murchison Meteoriten. Der Meteorit war 1969 in der Nähe von Murchinson in Victoria, Australien, niedergegangen und enthält eine außergewöhnlich große Menge organischer Moleküle. Diese bemerkenswerte Entdeckung zeigt, daß die Asymmetrie der Moleküle bereits existierte, bevor das Leben auf der Erde entstand. Sie könnte schon in dem Material vorhanden sein, welches unser Sonnensystem aufbaute.

Um nachzuvollziehen, wie diese Asymmetrie vielleicht entstanden sein könnte, nutzte ein internationales Forscherteam das Anglo-Australian Telescope am Siding Spring Mountain und Geräte der University of Hertfordshire. "Wir entdeckten hohe Anteile von zirkular polarisiertem Licht in einem Gebiet des Orionnebels, das Orion Molecular Cluod 1 (OMC-1) genannt wird. Wir wissen, daß dort der Ursprungsort neuer Sterne liegt und auch, daß organisches Material vorhanden ist", sagt James Hough von der University of Hertfordshire. Er ist der Meinung, daß diese Region derjenigen ähnlich sein könnte, in der unser eigenes Sonnensystem entstanden ist.

Wenn in einem solchen Gebiet zirkular polarisiertes Licht auftritt, könnte dies die Händigkeit aller organischen Moleküle dort vorbestimmen. Davon wäre auch die organische Materie in der Wolke betroffen, aus der sich Sterne und ihre Planeten formen. Auch könnten Moleküle ihren Weg zur Erde als Bestandteile von Kometen und Meteoriten gefunden und so das Ausgangsmaterial für die Entstehung des Lebens beigetragen haben (Science vom 31. Juli 1998).

"Daß ultraviolettes zirkular polarisiertes Licht benötigt wird, um die Händigkeit in Molekülen wie Aminosäuren festzulegen, wissen wir. Aber unglücklicherweise verhindern dichte Staubwolken die direkte Untersuchung bei diesen Wellenlängen. Es sind nur Infrarot-Beobachtungen möglich", bedauert Hough. "Aber unsere Berechnungen zeigen, daß eine zirkulare Polarisation in allen Wellenlängen vorhanden sein sollte, von Infrarot bis Ultraviolett."

Viele Wissenschaftler sind der Meinung, daß eine bevorzugte Händigkeit bei Molekülen schon vorhanden sein gewesen muß, um die Entstehung des Lebens überhaupt zu ermöglichen. Die neuen Ergebnisse weisen dahin, daß für die Eignung unseres Planeten zur Entwicklung von Leben nicht nur die lokalen Verhältnissen auf der frühen Erde eine Rolle spielten, sondern auch die Umgebung, in der unser Sonnensystem entstand.

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