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News: Der Weltuntergang findet im Internet statt

Zur Jahrtausendwende erwarten einige Sektenanhänger den Untergang der Menschheit und ihre Erlösung als Auserwählte. Sie verbreiten ihre Vorstellung vom Ende der Welt und die Anleitung zur Rettung der eigenen Gruppe vor allem im Internet. Das wirkt ganz modern, doch das Muster der Untergangsängste und Erwartungen ist alles andere als neu. Ähnliche Vorstellungen sind auch aus der Zeit um das Jahr 1000 bekannt.
Das neue Jahrtausend beginnt genau genommen am ersten Januar 2001. Für moderne Menschen im Computerzeitalter wird es schon ein Jahr früher spannend, zum magischen Datum 1.1.2000. Dann könnten die inneren Computeruhren mit den Nullen durcheinander kommen. Die Jahrtausendwende nennen auch verschiedene Sekten als Termin für den Weltuntergang, doch warum sind eigentlich die Tausendersprünge so aufregend? "Dahinter steckt die Apokalypse des Johannis, wonach das Reich derer, die um Christi willen gelitten haben, tausend Jahre währen sollte", erklärt Professor Burkhard Gladigow von der Erhard-Karls-Universität Tübingen. Die mit dem neu anbrechenden Jahrtausend verbundenen Untergangsängste tauchen daher vor allem in christlich ausgerichteten Kulturen auf.

"Kurios ist allerdings, daß der erwartete Computercrash und die christliche Endzeitvorstellung zusammentreffen. Die christlichen Missionare haben es nicht geschafft, den julianisch-gregorianischen Kalender überall zu verbreiten, nun schaltet zumindest ein veralteter Computerchip alle zeitgleich", sagt Gladigow. Auch die Endzeitsekten, die ihrem Kult im Internet nachgehen, haben einen christlichen Hintergrund. "Wie der Weltuntergang beim apokalyptischen Ende aussieht, wird nicht genau beschrieben. Die Rettung Auserwählter soll zum Beispiel von einem bestimmten Berggipfel aus erfolgen oder im Schweif eines Kometen", beschreibt Gladigow.

Die Endzeitsekten sind vor allem in den USA zu finden. "Aber es gibt eine Resonanz weltweiter Erwartung. Diese Sekten verwandeln allgemeine Lebensangst in eine Art Weltangst", sagt der Religionswissenschaftler. Die Anhänger werden durch die Vorstellung mobilisiert, daß nur errettet wird, wer zu der auserwählten Gruppe gehört. Als Vorzeichen für den Untergang können alle aktuellen Katastrophen gewertet werden, wie das Auftreten von Aids oder der Reaktorunfall in Tschernobyl.

Sonnenfinsternis, Hungersnöte oder Pestausbrüche galten auch vor tausend Jahren schon als Vorzeichen des Weltuntergangs. "Doch gerade vor dem Jahr 1000 hat es kaum Zeichen gegeben, die sich als Ankündigung des Untergangs deuten ließen", sagt Professor Wilfried Hartmann. Die außenpolitische Lage war um das Jahr 1000 auffallend stabil: Die Ungarn, die von 850 bis 955 Landstriche in Lothringen und Oberitalien verwüstet hatten, waren besiegt und stellten keine Gefahr mehr dar. Die muslimischen Sarazenen waren seit Mitte des zehnten Jahrhunderts zurückgedrängt und das Byzantinische Reich hatte sich gefestigt.

Dagegen gab es in den 790er Jahren mehrere schwere Hungersnöte, die als Vorzeichen des nahenden Weltendes interpretiert wurden. Denn in einer Vorstellung ging man davon aus, daß die Erde 6000 bis 7000 Jahre alt würde und um das Jahr 800 bereits ein Erdalter von 6000 Jahren erreicht sei. Diese Zeitrechnung beruhte auf dem Psalmenwort 90,4, nach dem 1000 Jahre einem Tag entsprachen, die Schöpfung dauerte sechs Tage und einen Ruhetag. Damit überlagerte sich die Zeitrechnung nach dem Leben Christi. Doch auch bei dieser Zählung waren sich die Chronologen nicht einig. "Man fand heraus, daß Christus nicht im Jahre 1, sondern früher geboren ist. Die tausend Jahre der Johannis-Offenbarung wären zum Beispiel nach Berechnungen des Mönches Abbo von Fleury, der im zehnten Jahrhundert an der Loire lebte, bereits 979 zu Ende gewesen", berichtet Hartmann.

Andere, wie der Geschichtsschreiber Radolf Glaber, ein Mönch aus Burgund, nahmen an, daß die 1000 Jahre vom Tod Christi an zu zählen seien, also bis 1033. "Eine Fixierung auf das Jahr 1000 gab es nicht", faßt der Historiker zusammen. Die Zeitangabe von tausend Jahren könnte auch symbolisch gemeint sein, und überhaupt war den Christen die Erwartung der Endzeit wegen des Bibelwortes Matthäus 24,36, daß niemand Tag und Stunde des Weltendes wisse, immer präsent.

"Um das Jahr 1000 herrschte keineswegs das Gefühl von Untergang und Ende vor. Im Gegenteil, es gab eher einen neuen Aufbruch, einen Aufschwung der Frömmigkeit. Der Zustrom zu den Klöstern war groß, viele Menschen aus allen Schichten reisten als Pilger nach Jerusalem ins Heilige Land, nach Rom oder Santiago. Die Gesellschaft war durch das Wallfahrtswesen und die recht offenen Strukturen nicht so statisch", beschreibt Hartmann die Zeit um die Jahrtausendwende. Großen Eindruck machte dagegen lange vor dem Jahr 1000 die Prophetin Thiota auf die Menschen im deutschen Südwesten. Nach einem Bericht aus den Fuldaer Annalen 848 verließen viele Bauern ihre Felder, um ihrer Predigt vom Weltende zuzuhören. "Die Prophetin wurde allerdings ausgepeitscht und durfte nicht mehr predigen", sagt Hartmann.

In der Gesellschaft bestand damals ein tiefer Graben zwischen den Adligen einerseits und den unfreien, abhängigen Bauern andererseits. Die Verhältnisse waren jedoch noch nicht so starr wie im späteren Mittelalter. Über die kirchliche Laufbahn konnte beispielsweise ein Unfreier im elften Jahrhundert noch ins hohe Amt eines Bischofs aufsteigen. Es ist kaum anzunehmen, daß die Bauern damals mit dem Kalender lebten.

Dagegen war den Mönchen durchaus bewußt, wo sie sich in der Zeitrechnung befanden. "Seit dem achten Jahrhundert hat man sich in den Klöstern eingehend mit der Chronologie beschäftigt, schon wegen der Festlegung des jährlichen Ostertermins. Dabei mußte berücksichtigt werden, daß der Jahresanfang nicht unbedingt auf den ersten Januar, sondern nach unterschiedlichen Zählungen auch auf den 25. Dezember oder den Monat März gelegt wurde", erklärt der Historiker.

Ein einzelnes Zeugnis von Untergangsangst ist aus den 1020er Jahren überliefert. Damals soll es einen "Blutregen" in Frankreich gegeben haben, der sich von Holz abwaschen ließ, auf Stein aber haftete. Damals bat der französische König Robert der Fromme den Bischof von Chartres um Aufklärung. Bischof Fulbert sah jedoch keine besondere Gefahr, denn solche Blutregen habe es im ausgehenden sechsten Jahrhundert schon einmal gegeben. Es handele sich zwar um ein Zeichen, aber man wisse es nicht zu deuten. Heute wird das seltene Phänomen des Blutregens mit der Verwehung rötlichen Sands aus der Sahara erklärt.

Die meisten Menschen sehen auch heutzutage die möglichen Vorzeichen eines Weltuntergangs so gelassen wie damals der Bischof von Chartres. "Wir kennen keine genauen Zahlen, aber es sind sicherlich nur sehr wenige Menschen, die ernsthaft an den Untergang glauben. Nach einer amerikanischen Untersuchung fühlen sich von den Endzeitsekten vor allem Menschen aus der unteren Mittelschicht angesprochen, die sich in einer schwierigen sozialen Lage befinden. Im Muster der jüdisch-christlichen Apokalyptik setzen ihre Anhänger dann für die Auserwählten nach der Katastrophe auf ideale soziale Bedingungen wie Brüderlichkeit und Gerechtigkeit", beschreibt Gladigow. Doch die Resonanz der Endzeitsekten reicht zugleich viel weiter. Die Faszination schlage sich vor allem auch in den Medien, in einer explosiven Zahl von Veröffentlichungen zu dem Thema nieder. "Viele Menschen sind fasziniert von der Vorstellung, was wäre, wenn die Untergangspropheten doch Recht hätten", meint Gladigow.

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