Direkt zum Inhalt

Geschlecht im Wandel: Sie möchte doch nur sie selbst sein

Ich bin trans, ich bin ein Mann. Davon war Sabeth Blank nach Jahren voll Leid überzeugt. Sie nahm Testosteron, ließ sich die Brust abnehmen und stellte fest: Auch das bin nicht ich.
Sabeth Blank wuchs in der bayerischen Provinz auf, trug Jungenklamotten und glaubte irgendwann, im falschen Körper zu stecken. Das war ein Irrtum.
Sabeth Blank wuchs in der bayerischen Provinz auf, trug Jungenklamotten und glaubte irgendwann, im falschen Körper zu stecken. Das war ein Irrtum.

Sabeth Blank eilt durch das Stadttor am Kölner Chlodwigplatz, die Severinstraße hinauf, vorbei an einem Obdachlosen und einem libanesischen Restaurant. Die Sohlen abgelaufen, das Schuhleder voller Risse, prescht sie über den Asphalt.

Blank ist nicht oft in der Kölner Südstadt, aber Porz, wo sie seit ein paar Monaten in einer Gartenhütte lebt, ist für sie nicht angemessen, um ihre Geschichte zu erzählen.

Blank hat kurze Haare, eine raue Stimme und zwei suchende Augen. Wüsste man nicht, dass sie eine Frau ist, könnte man sie für einen Mann halten. An der Technischen Hochschule, an der sie Informations- und Kommunikationstechnik studiert, passiert das oft.

Dann hat Blank das Café gefunden, das sie suchte. Sie bestellt einen Cappuccino und beginnt zu erzählen, ebenso schnell, wie sie durch die Straßen läuft.

Es ist die Geschichte eines Mädchens, das in der bayerischen Provinz aufwuchs, Jungenklamotten trug, sich in die beste Freundin verliebte und irgendwann glaubte, im falschen Körper zu stecken. Blank machte eine Transition. Doch dann kamen die Zweifel.

Wo anfangen in dieser Geschichte? Vielleicht bei den Schnitten.

Hadern statt Glück nach der Trans-OP

Ob die Schnitte groß oder klein werden sollen, sei sie erst eine Stunde vor der Operation gefragt worden, erzählt die 28-Jährige. Eine Stunde, bevor der Arzt mit dem Skalpell in die Haut ihrer Brust fuhr, das Drüsengewebe ausschabte und die Bindegewebshaut entfernte. Eine Stunde, bevor er ihre Brustwarzen zuerst ab- und dann wieder aufsetzte.

Die Operation ihrer Brüste, die Mastektomie, fand im Jahr 2016 statt. Damals entschied sich Blank für die großen Schnitte. Das sehe besser aus, hatte man ihr erzählt. Absurd. Ein Lachen. Sie presst es heraus, leicht heiser.

»Für mich war die Transition falsch«Sabeth Blank, Elektrikerin

Als Blank nach der Operation aufwachte, schmerzte ihre linke Brust. Anstatt glücklich zu sein, wie es ihr erzählt worden war, haderte sie. In der folgenden Nacht wurden die Schmerzen stärker. Der Arzt musste den Schnitt öffnen und Blut ablassen. Weil es noch immer weh tut, stützt Blank die Hand auf den Oberschenkel, während sie in dem Café der Kölner Südstadt ihre Geschichte erzählt.

»Für mich war die Transition falsch«, sagt Blank. Andere sollen das wissen. Und spätestens hier wird Blanks Geschichte brisant, denn sie ist Teil einer Debatte, die mit zunehmender Intensität geführt wird. Wer in Frage stellt, ob eine Transition immer das Richtige ist, wird schnell als transfeindlich beschimpft.

Der Grund: Bis heute werden Menschen diskriminiert, deren biologisches Geschlecht nicht mit ihrem gefühlten Geschlecht übereinstimmt. Betroffene wiederum empfinden es als herabwürdigend, wenn Psychiater und Psychiaterinnen ihnen intime Fragen stellen, damit sie ihren Personenstand ändern können.

  • Transgender laut ICD-11

    Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) dient weltweit als Überblick von Diagnosen. Im Jahr 2022 trat die elfte Auflage in Kraft, kurz ICD-11. Sie enthält bedeutende Änderungen für Transpersonen:

    • Im ICD-10 war »Transsexualismus« noch als »Störungen der Geschlechtsidentität« definiert und im Abschnitt »Mentale und Verhaltensstörungen« eingeordnet. Nun spricht man unter anderem von »Geschlechtsinkongruenz«.
    • Diese ist laut ICD-11 »durch eine ausgeprägte und anhaltende Inkongruenz zwischen dem empfundenen Geschlecht und dem zugewiesenen Geschlecht gekennzeichnet«. Geschlechtsvariante Verhaltensweisen und Vorlieben allein seien keine Grundlage für die Zuweisung von Diagnosen in dieser Gruppe.
    • Die Geschlechtsinkongruenz findet sich im Abschnitt »Conditions related to sexual health«.

    Wichtig zu wissen: Angewendet wird die ICD-11 in Deutschland noch nicht. Sie muss zunächst übersetzt, modifiziert und in die bestehenden Strukturen hier zu Lande integriert werden. Aktuell arbeiten Ärztinnen und Ärzte mit der ICD-10-GM Version 2022 – GM steht dabei für »German Modification«. Wie lange es noch dauert, bis die ICD-11 in Deutschland genutzt wird, ist unklar. Es wird sich aber eher um mehrere Jahre als Monate handeln.

  • Wider Pathologisierung und Stigma

    Mit der ICD-11 sollen Indikationen für somatische Behandlungen bei Trans*Personen weiterhin medizinisch begründet gestellt werden können, wenn zum Beispiel angenommen wird, dass ohne diese die gesundheitliche Lebensqualität der Betroffenen dauerhaft beeinträchtigt wird.

    »Es ist ein wichtiges Signal, dass die Geschlechtsinkongruenz nicht mehr als psychische Störung verstanden wird«, sagt der Jugendpsychiater Georg Romer. Denn trans zu sein, ist demnach auch per medizinischer Definition keine Krankheit mehr. Das könnte Transpersonen helfen, in ihrer Geschlechtsidentität anerkannt zu werden, und soll Vorurteilen entgegenwirken.

  • Was ist Genderdysphorie?

    Eine Genderdysphorie ist von einer starken, anhaltenden geschlechtsübergreifenden Identifikation gekennzeichnet. Sie kann mit Angst, Depression, Reizbarkeit einhergehen. Auch haben Betroffene oft den Wunsch, als ein anderes Geschlecht als das bei der Geburt zugewiesene zu leben.

  • Diagnose und Behandlung in Deutschland

    Wie mit Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Transgesundheit umzugehen ist, regelt in Deutschland eine S3-Leitlinie zu Diagnostik, Beratung und Behandlung. Sie stammt von 2019, berücksichtigt aber bereits die schon damals bekannten, angestrebten Änderungen der ICD. Eine Überarbeitung ist für das Jahr 2023 geplant.

Viele Transpersonen schätzen die Geschlechtsangleichung

Die Frage, ob Geschlecht sozial konstruiert ist oder ob es von der Biologie vorgegeben wird, polarisiert die Gesellschaft. Die einen sehen in Fällen wie dem von Sabeth Blank einen »Trans-Hype«. Immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene würden ihr Geschlecht wechseln. Vor allem Mädchen brächen ihre Geschlechterrolle zunehmend nicht nur auf, sondern wechselten sie einfach. Dabei sei das Geschlecht oft gar nicht die Ursache für ihr Unbehagen. Es seien Kindheitstraumata, Belastungsstörungen, Homophobie oder strikte Geschlechterstereotype, denen die Jugendlichen nicht entsprächen.

»Darf ich meine Geschichte nicht erzählen, nur weil wir nicht so viele sind?«Sabeth Blank

Geschlechtliche Vielfalt habe es schon immer gegeben, entgegnen die anderen. Es gebe nicht mehr Betroffene, sie seien bloß sichtbarer als früher. Weil Transpersonen nun stärker anerkannt würden, gingen sie offener damit um. Und weil es mehr Vorbilder gebe, trauten sich mehr Menschen, ihr Geschlecht anzupassen. Die Zahl der Operationen nimmt zu. Die der Personen, die eine Geschlechtsangleichung rückgängig machten – Detransitionierer genannt –, gilt als verschwindend gering.

Tatsächlich ist diese Zahl kaum erfasst. Verschiedene Untersuchungen schätzen sie auf 0,5 bis 2 Prozent. Blank ist überzeugt, dass es mehr sind. In Deutschland stehe sie mit gut 20 Personen in Kontakt. Und überhaupt: »Darf ich meine Geschichte nicht erzählen, nur weil wir nicht so viele sind?«

Sie litt, war magersüchtig und depressiv

Sabeth Blank wuchs in Erlangen auf. Sie kletterte auf Bäume, spielte Gitarre und Basketball. Blank wurde oft gefragt, ob sie ein Mädchen sei oder ein Junge – so oft, dass sie es irgendwann selbst nicht mehr wusste. Sie fragte ihre Mutter und die sagte: »Natürlich bist du ein Mädchen.« Das gab ihr Ruhe.

In der Schule nahm Blank viele Dinge nicht als gegeben hin. Sie hinterfragte, was die Lehrer als Wahrheit bezeichneten. Damit war sie allein. Kritik war allgemein nicht gern gesehen: Als die Schülerzeitung einen umstrittenen Artikel veröffentlichen wollte, machte die Rektorin kurzerhand die ganze Redaktion dicht.

Mit elf Jahren erkrankte Blank an Magersucht. Sie stritt mit ihrer Mutter, die Depressionen hatte und von ihrem Job als Sozialarbeiterin überfordert war. Ihr Vater hielt sich raus. »Ich habe zu Hause keinen Rückhalt bekommen«, sagt Blank.

Sie verliebte sich in ihre beste Freundin, doch traute sich nicht, es ihr zu sagen. Wer in der bayerischen Provinz lesbisch war, der musste pervers sein. Blank versuchte, sich anzupassen. Frauenkleidung zu tragen, obwohl sie sich lieber gekleidet hätte, wie die Jungs das taten. Es blieb ein dumpfes Gefühl.

Mit 16 Jahren ertrug sie den Streit in der Familie nicht mehr und zog auf ein Internat in der Eifel. Damals brach sie auch den Kontakt zu ihrer Freundin ab, ohne sich je mit ihr ausgesprochen zu haben. Im Internat gefiel es ihr, doch es gab ein Problem: Es schloss alle zwei Wochen für ein paar Tage, und Blank hatte keinen Führerschein, um zu ihren Eltern fahren, und weder Freunde noch Freundinnen, um bei ihnen zu bleiben. Sie brach die Schule ab, kurz vor dem Fachabitur.

Blank ging nach Berlin, um eine Lehre als Elektrikerin zu machen. In ihrer Freizeit besuchte sie Treffen einer Transgruppe und fand Menschen, die sich dank einer Transition befreit fühlten. Sie erzählten ihr: Die blöden Sprüche, die Diskriminierung, der Leidensdruck, im falschen Körper leben zu müssen – all das sei mit der Transition fort.

Themenwoche »Transgender«

Die Menschheit ist vielfältig. LGBTQIA* versammelt diverse Begriffe für sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten: Lesbisch, schwul, bi, trans, queer, inter, asexuell – das * lässt Raum für Weiteres. Jedes Jahr im Juni feiert sich die Community auf verschiedene Weise. Zum Auftakt des »Pride Month« widmet sich »Spektrum.de« dem Thema »Transgender« in der Woche vom 30. Mai bis 3. Juni 2022 mit folgenden Inhalten:

Die wesentlichen Texte zum Thema »Sex und Gender – Es gibt mehr als zwei Geschlechter« finden Sie hier auf unserer Sammelseite.

Blank hoffte, die Transition möge sie erlösen

In der Gruppe traf Blank lesbische Frauen, die sich kleideten wie sie und die Haare kurz trugen. Butch-Lesben, vom englischen Wort für Kerl. »Auch die waren alle gerade in der Transition«, sagt Blank. Sie erzählten, wie toll es sei, Testosteron zu nehmen.

Weiblich auftretende, lesbische Frauen kritisierten Blank dafür, eine Butch-Lesbe zu sein. Damit stehe sie der Emanzipation im Weg. Denn lesbische Pärchen, in denen eine Frau den femininen und die andere Frau den maskulinen Part übernehme, untermauerten tradierte Rollenbilder und das Patriarchat.

»Ich wollte das eigentlich alles nicht hören«, sagt Blank. Sie sehnte sich nach einem Platz in der Gruppe, nach Freunden, mit denen sie im Sommer im See schwimmen konnte. Unterschwellig habe sie einen Druck gespürt: Wenn du transitionierst, sind deine Probleme gelöst und du gehörst zu uns.

  • Wie wird man Transmann oder Transfrau?

    Weil offiziell keine Daten gesammelt erfasst werden, ist es schwierig zu beziffern, wie viele Transpersonen in Deutschland leben. Es gibt klinische Stichproben, die sich mit Transgeschlechtlichkeit, Eingriffen sowie Hormontherapie befassen. Darauf basierend lässt sich schätzen, dass sich rund 9 von 100 000 Menschen als trans empfinden. In Umfragen ist der Wert deutlich höher: Wird gefragt, ob jemand ambivalent oder trans ist, stimmen zwischen 144 und 566 von 100 000 Menschen zu. Auf Basis der Personenstandsänderungen nach dem Transsexuellengesetz gibt es hier zu Lande rund 260 Transpersonen pro 100 000 Menschen. Das sind etwa 0,35 Prozent der Bevölkerung.

    Längst nicht alle lassen sich nach jetziger Kenntnis operieren.

  • Wie viele Trans-Operationen finden statt?

    Laut einer Statistik ließen 2155 Menschen im Jahr 2020 in Deutschland eine geschlechtsangleichende Operation an sich vornehmen. Von den Eingriffen entfallen zwei Drittel auf Transfrauen, also Frauen, deren biologisches Geschlecht männlich ist. Die meisten OPs wurden laut dem Statistischen Bundesamt in der Altersgruppe 20 bis unter 30 Jahren durchgeführt.

  • Was braucht es für die OP?

    Dem derzeitigen Trassexuellengesetz nach muss für mindestens 18 Monate eine psychotherapeutische Betreuung stattgefunden haben und die Indikation zur Durchführung einer geschlechtsangleichenden Operation befürwortet werden. Durch die Psychotherapie ist es dann möglich, im Rahmen von zwei Gutachten, die bestätigen, dass die Person transsexuell ist, eine Namens- und/oder Personenstandsänderung eintragen zu lassen.

    Ferner ist für eine Kostenübernahme auch die somatisch ärztliche Indikation durch zum Beispiel den behandelnden Chirurgen notwendig.

    Hilfreich, aber nicht zwingend, ist außerdem eine gegengeschlechtliche Hormontherapie, welche über mindestens sechs Monate stattfinden sollte. Bei der Kostenübernahme für eine Brustvergrößerung bei Transfrauen hingegen ist eine nachgewiesene Hormontherapie über 24 Monate Voraussetzung, sofern keine Kontraindikationen für die Hormontherapie bestehen.

  • Was kosten die Eingriffe?

    Die Kosten unterscheiden sich, je nachdem, ob sich die Person äußerlich von Frau zu Mann oder Mann zu Frau umwandeln lassen möchte. Zudem variiert jeder OP-Schritt nach Aufwand und Material. Die Preisspanne pro Operation liegt zwischen 4000 Euro und 20 000 Euro. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die geschlechtliche Anpassung von Frau zu Mann auf Grund der Anzahl der Eingriffe etwa 60 000 Euro kostet. Männer, die ihren Körper weiblich gestalten lassen wollen, zahlen etwa 30 000 Euro.

  • Wer bezahlt das?

    Sowohl gesetzliche als auch private Krankenversicherer sind per Gesetz verpflichtet, für alle notwendigen Maßnahmen der Behandlung die Kosten zu übernehmen. Dafür müssen diverse therapeutische und ärztliche Nachweise vorliegen. Es braucht beispielsweise ein psychologisches Gutachten, Verlaufsberichte von Endokrinologen, ein Schreiben des behandelnden Chirurgen.

    Wichtig zu wissen: Für operative Veränderungen im Gesicht gilt eine Einzelfallentscheidung. Krankenkassen zahlen die Korrektur etwa von prominenten Stirnknochen oder Adamsapfel nur manchmal.

  • Wo findet man einen geeigneten Chirurgen?

    Erste Tipps bekommt man in Internetforen. Doch Vorsicht: Dort können sich Laien und Experten mischen, Informationen sind nicht zwingend geprüft und gesichert. Am besten informieren sich Betroffene vorab, ob es sich um ein patientengeführtes Forum oder das einer offiziellen Beratungsstelle handelt.

    In Deutschland gibt es erfahrene Ärztinnen und Ärzte vor allem an Kliniken für Plastische und Ästhetische Chirurgie oder für Urologie bzw. Gynäkologie. Die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGPRÄC) informiert beispielsweise, wie man einen geeigneten Chirurgen findet. Auch kann es lohnen, gezielt bei Transgenderzentren anzufragen.

  • Wie lange dauert der Prozess?

    Das ist individuell. In weniger als einem Jahr einen Psychologen aufzusuchen, um mit einer Personenstandsänderung zu enden, ist nicht möglich. Man sollte eher von zwei bis drei Jahren ausgehen, es kann aber auch deutlich länger dauern. Bei gesetzlich versicherten Betroffenen erwartet der Medizinische Dienst der Krankenversicherer (MdK) einen Zeitraum von 18 Monaten Psychotherapie, bevor er der Kostenübernahme für die geschlechtsangleichende Operation zustimmt. Je nach Umwandlung vergehen vom ersten Eingriff bis zur letzten Heilung oftmals wiederum mehrere Jahre.

Blank entschloss sich, den Personenstand zu ändern. Vor Gericht musste sie zwei Gutachten vorlegen, die sie von Psychiatern bekam, die ihr bei einem Trans-Stammtisch empfohlen wurden. Belastende Fragen seien ihr nicht gestellt worden. Fortan hieß sie Sabit Pascal.

An Testosteron zu kommen, war schwieriger. Dafür hätte Blank eine Psychotherapie machen müssen, mindestens zwölf Sitzungen. Ein Therapeut muss feststellen, dass wegen einer Geschlechtsdysphorie, also der fehlenden Übereinstimmung des biologischen und des gefühlten Geschlechts, ein »krankheitswertiger Leidensdruck« besteht, der nicht ausreichend durch psychiatrische und psychotherapeutische Mittel behandelt werden kann.

Doch Blank machte damals keine Therapie. Bei einer Transtagung in Potsdam fand sie einen Gynäkologen, der ihr dennoch Testosteron verabreichte. Er nahm Blut ab, um den Hormonstatus herauszufinden, dann verabreichte er ihr die erste Spritze.

Kurz darauf wuchsen Blanks Muskeln, was praktisch war für die Arbeit, ihre Stimme wurde tiefer, und von den Handwerkern fragte keiner mehr, wer denn die Frau auf der Baustelle sei. Das Testo, wie sie es in der Transgruppe nannten, dämpfte auch Blanks Gefühle. Ihr Stresspegel sank. Die Züge der Ringbahn, die neben ihrem Berliner Wohnheim vorbeirauschten, waren nicht mehr so laut. Auch die knallenden Türen im Gebäude störten Blank nicht mehr.

»Ich fand es idiotisch, dass sie nicht mit offenen Karten gespielt haben«Sabeth Blank

Als sie ihre Ausbildung beendet hatte, ging Blank die Mastektomie an. Wieder bekam sie keine Indikation, also beschloss sie, die Operation selbst zu bezahlen. 5000 Euro kostete der Eingriff bei einem Hamburger Arzt.

Statt eines Vorgesprächs bekam Blank einen Brief, in dem sie über die Risiken der Operation informiert wurde. Sie überflog ihn, überwies das Geld, reiste nach Hamburg und ließ sich operieren.

Und dann war da dieser Schmerz in der Brust, der bis heute geblieben ist. Blank fragte sich: Bin ich die Einzige, der so etwas passiert? Gehören körperliche Schmerzen zur Transition dazu? Warum hat mir das keiner vorher gesagt?

Neue Vorbilder: Radikalfeministische, lesbische Frauen

Zurück in Berlin, stellte sie diese Fragen Teilnehmenden der Transgruppe, zu der sie ging. Erst redete niemand mit ihr, aber später meldeten sich einzelne, die ebenfalls Probleme nach der Operation hatten. »Das waren dieselben Leute, die zuvor nur geschwärmt haben«, sagt sie. »Ich fand es idiotisch, dass sie nicht mit offenen Karten gespielt haben.«

Blank hatte sich mitreißen lassen. Bis zu diesem Moment hatte sie zwar Therapien begonnen, aber keine beendet. Sie begriff, dass sie nicht unter Geschlechtsdysphorie gelitten hatte. Sie hörte auf, Testosteron zu nehmen. Die tiefe Stimme ist geblieben.

Seit Herbst 2021 studiert Blank an der Technischen Hochschule in Köln-Deutz. Die Gebäude, wuchtige Betonklötze aus Beton, von denen außen die Farbe abblättert, sollte bald abgerissen werden, doch die Mensa im Inneren ist ganz neu. Blank entscheidet sich gegen das vegane Linsen-Kartoffel-Curry – »davon wird man ja nicht satt« – und für Bifteki mit Reis und grünen Bohnen. Die Bohnen bleiben auf dem Teller.

Sie hat neue Vorbilder: radikalfeministische, lesbische Frauen, die Karriere gemacht haben als Ärztin oder als Anwältin. »Der Kontakt zu ihnen tut mir gut«, sagt sie. Unbewusst sei sie auf der Suche gewesen nach jemandem, der ihr gesagt hätte: »Na klar bist du eine Frau. Es ist auch egal, was die anderen von dir denken. Zieh dein Ding durch.« So wie ihre Mutter es getan hat, als sie ein Mädchen war.

An der Hochschule hat Blank die Fachschaft für sich entdeckt. Die Vorlesungen finden im April 2022 weiterhin digital statt, doch im Fachschaftsraum gibt es eine Kaffeemaschine und Menschen, mit denen sie reden kann. Am 1. April 2022 hat sie dort zum Spaß einen Zettel aufgehängt: Vogelspinne Freddy entlaufen, Finderlohn!

»Es sollte nicht an jeder Ecke Hormone geben«

An manchen Tagen fühlt Blank sich gut, an anderen schlecht. »Ich hoffe, dass es nach Corona insgesamt besser wird«, sagt sie. Am meisten vermisse sie die Menschen, mit denen sie zusammen studieren wollte. Blank verlässt den Fachschaftsraum, öffnet eine Glastür und steht auf dem Dach der Technischen Hochschule. Sie schaut auf die Hügel des Bergischen Landes, wo sie manchmal wandert, wenn ihr die Stadt zu viel wird.

Dann sagt Blank: »Ich weiß, dass ich für diese Aussage angegriffen werde, aber: Es sollte nicht an jeder Ecke Hormone geben.« Sie ist selbst zu leicht an Mittel gekommen, die man aus gutem Grund nur unter ärztlicher Aufsicht nehmen sollte. Zudem hält die junge Frau es für problematisch, wenn Therapeuten das Bedürfnis, den Körper umzugestalten, nicht hinterfragen, sondern sofort bejahen, um das Leid ihrer Klienten zu lindern. Sie wünschte, jemand hätte ihr Vorhaben in Frage gestellt. Gelte gleich zu Beginn die Transition als Lösung für alles, gibt Blank zu bedenken, würde das eigentliche Problem womöglich übersehen. So wie bei ihr. Verwunden hat sie das noch nicht. Doch Blank ist wieder in Therapie, um sich ihren Erlebnissen zu stellen und sie zu verarbeiten. Und sie ist zuversichtlich.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.