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Deutsche Sprache: Verstehen Sie Behördendeutsch?

Wortungeheuer wie »Verkehrsplanungsbeschleunigungsgesetz« versteht kaum jemand. Warum drücken sich viele Behörden und Fachleute hierzulande so unverständlich aus? Und geht es auch anders?
Ein Mann in einem hellblauen Jeanshemd sitzt an einem Holztisch und schaut mit weit aufgerissenen Augen auf ein Dokument in seiner Hand. Vor ihm steht ein Laptop, und auf dem Tisch liegen weitere Papiere. Im Hintergrund sind ein Fenster und eine weiße Backsteinwand zu sehen.
Es ist schon erstaunlich, wie Behörden die einfachsten Sachverhalte verklausulieren können.

Verstehen Sie den folgenden Satz auf Anhieb? »Gemäß dem Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern erfolgt die Zahlung im Vorgriff auf die Änderungstarifverträge unter dem Vorbehalt der Rückforderung und unter dem Ausschluss der Berufung auf den Wegfall der Bereicherung.« Oder den hier: »Die Begründetheit des Rechtsbehelfs ist im Verfahren zur Entscheidung über Anträge auf Aussetzung der Vollziehung nur in einem begrenzten Umfang zu prüfen

Verstehen Sie nicht? Damit sind Sie nicht allein. »Deutsche Paragrafen und deutsche Grammatik haben etwas gemeinsam: Sie sind zum Heulen«, schreibt der deutsch-irakische Schriftsteller Abbas Khider, 52 Jahre alt, in seinem Buch »Deutsch für alle«. Khider war Mitte 20, als er Deutsch lernte. Als Geflüchteter aus dem Irak musste er einige Erfahrungen mit der deutschen Behördensprache machen. Sie hatte nur wenig mit der Sprache der Dichter und Denker zu tun, in der er selbst später seine Bücher schrieb.

Sprache dient den Menschen dazu, sich miteinander zu verständigen. Möglich wird das durch die Kunst, Wörter nach bestimmten Regeln aneinanderzureihen – so entstehen Sätze mit Sinn und Bedeutung.

Oder auch nicht, wie im Fall von Behördendeutsch. Es ist nicht nur für Menschen mit geringen Sprachkenntnissen, mit kognitiven oder sonstigen Einschränkungen schwer zu verstehen, sondern auch für die meisten anderen Bürgerinnen und Bürger. Sprachexpertinnen und -experten führen Behördendeutsch gerne als Paradebeispiel an – für schlechte, unverständliche und nicht barrierefreie Sprache.

Typisch dafür sind: lange Schachtelsätze mit vielen Nebensätzen, unnötige Passivkonstruktionen (»Seitens des Grünflächenamtes wird darauf geachtet …«) und Nominalstil, also eine Kette von Hauptwörtern (»… dem Vorbehalt der Rückforderung und unter Ausschluss der Berufung auf den Wegfall der Bereicherung«). Viele Behördentexte sind zudem noch gespickt mit angeblich unverzichtbaren juristischen Fachbegriffen.

Dabei wäre es durchaus möglich, den oben angeführten ersten Beispielsatz so zu schreiben: »Bei eventuellen Rückforderungen kann man sich nicht darauf berufen, das erhaltene Geld schon ausgegeben zu haben.« Das versteht man schon deutlich besser.

»Die Behörde ordnet etwas an, sie steht über den Bürgerinnen und Bürgern. Dazu gehört eine distanzierende Sprache, um sich das Volk vom Leib zu halten«Frank Brettschneider, Kommunikationswissenschaftler

In Deutschland gibt es eine eigene DIN-Norm (Norm 8581-1) für einfache Sprache, erarbeitet von einem Konsortium des DIN-Vereins. Sie soll helfen, Texte verständlich aufzubereiten. Der DIN-Verein empfiehlt, Wortwahl, Textstruktur und Erklärungen anzupassen an die Lesefähigkeit, Sprachkenntnisse, das Alter und Sach- und Fachwissen der Zielgruppen sowie etwaige Ansprüche auf Barrierefreiheit zu berücksichtigen. Verbindlich werden solche Forderungen aber nur dann, wenn sie Bestandteil von Gesetzen und Verordnungen sind.

Zusätzlich zur einfachen Sprache gibt es Empfehlungen nach DIN SPEC 33429 für Texte in leichter Sprache: Sie richtet sich an Menschen mit deutlichen kognitiven Einschränkungen wie Demenz und an funktionale Analphabeten, also Personen, die zwar ein bisschen lesen können, längere Texte aber nur mit Mühe oder gar nicht verstehen. Die Begriffe »einfache« und »leichte« Sprache sorgen manchmal für Verwirrung, denn vielen ist der Unterschied nicht klar. Tatsächlich sind die Übergänge oft fließend. Leichte Sprache sollte noch einfacher sein – zum Beispiel auf Genitiv und Passiv, auf lange Wörter und auf Nebensätze verzichten.

Warum eigentlich so unverständlich?

Für Frank Brettschneider, Professor für Kommunikationswissenschaft und Kommunikationstheorie an der Universität Hohenheim, hat das hartnäckige Festhalten an der Unverständlichkeit unter anderem historische Gründe: Die Ursprünge reichen weit zurück, bis in die Zeiten obrigkeitsstsaatlichen Denkens früherer Jahrhunderte. »Die Behörde ordnet etwas an, sie steht über den Bürgerinnen und Bürgern. Und dazu gehört dann auch eine distanzierende Sprache, um sich das Volk vom Leib zu halten und deutlich zu machen: Da seid ihr, hier sind wir – und wir entscheiden«, erläutert Brettschneider in einem Podcast der Bundesnetzagentur.

Passivformulierungen und Infinitivkonstruktionen in Behördenbriefen wie »ist einzureichen« seien typische Merkmale dieser Sprache, so der Kommunikationswissenschaftler. In verschiedenen Projekten untersuchen Brettschneider und seine Kolleginnen und Kollegen Texte wie Behördenbriefe, Politikerreden oder auch Reden von Vorstandsvorsitzenden von DAX-Unternehmen. Außerdem bieten sie Workshops zum verständlichen Schreiben an und beraten Kommunen und andere Behörden.

Ein Forschungsschwerpunkt von Brettschneider ist die politische Kommunikation. Dort, sagt er, stoße man immer wieder auf das Phänomen »der taktischen Unverständlichkeit – denn da möchte jemand nicht verstanden werden« und drücke sich eben bewusst unklar aus. Einer seiner Studenten schrieb seine Abschlussarbeit darüber. Er hatte die großen Regierungserklärungen nach Bundestagswahlen seit 1949 untersucht. Ergebnis: Wurde etwas für das Wahlvolk eher Positives verkündet, waren die Sätze wesentlich verständlicher formuliert als bei unangenehmen Ankündigungen. Altbundeskanzler Gerhard Schröder (1998–2005) sei ein gutes Beispiel: »Wenn er was Populäres sagte, dann war das ein klarer, kurzer, knapper Satz, Subjekt-Prädikat-Objekt.« Ganz anders, als es um die Agenda 2010 und deren unpopuläre Maßnahmen ging: Dann sprach Schröder in Schachtelsätzen, »da wollte er nicht verstanden werden«, sagt Brettschneider.

»Taktische Unverständlichkeit« ist nach Meinung des Kommunikationsexperten jedoch nicht klug. Denn: Am Ende sei verständliche Sprache mit kurzen, klar strukturierten Sätzen in Behörden und in der Politik auch demokratiefördernd, erklärt der Hohenheimer Wissenschaftler. »Nämlich dann, wenn eine Behörde diese wahrgenommene Distanz zwischen ›denen da oben‹ und ›denen da unten im Volk‹ abbaut.« Vor allem vor dem Hintergrund, dass »die Rechtspopulisten ja nichts anderes tun, als den Staat und die Behörden zu diskreditieren« – unter anderem, indem sie behaupten, diese handelten völlig abgehoben und an der Bevölkerung vorbei.

Eine Formel für Lesbarkeit

Auch die Vorstandsvorsitzenden großer DAX-Unternehmen muten ihren Zuhörenden oft schwerverständliche Reden mit kompliziertem Satzbau und viel Fachjargon zu. Frank Brettschneiders Kollegin Claudia Thoms, Kommunikationswissenschaftlerin, hat sich gemeinsam mit ihm in dem Projekt »Klartext oder Kauderwelsch« die Reden der CEOs von 30 Unternehmen zwischen 2012 und 2023 angeschaut. Für die Textanalyse griff sie neben der von der Uni Hohenheim mitentwicktelten Software »TextLab« auch auf den Hohenheimer Verständlichkeitsindex (HIX) zurück. »Der Index baut auf verschiedenen, schon bestehenden Lesbarkeitsformeln auf, die ihren Ursprung in der Schulbuchforschung haben. Ziel ist, Texte hinsichtlich ihrer Verständlichkeit objektiver und quantitativer bewerten zu können«, erläutert Thoms. Zusätzlich zu den Formeln werden weitere für die Verständlichkeit relevante Textparameter ermittelt und in den Index einbezogen. Dazu gehört etwa die durchschnittliche Satzlänge, gemessen in Wörtern, oder der Anteil der Wörter mit mehr als sechs Buchstaben.

Die Texte werden mit Punkten von null (formal schwerverständlich) bis 20 (formal gutverständlich) bewertet. Dieser Analyse zufolge wurden die Reden der CEOs im untersuchten Zeitraum verständlicher, stellte Claudia Thoms fest. Trotzdem, sagt sie, sei noch Luft nach oben. Ein Beispiel ist die Rede des CEO von Medizintechnik-Hersteller Siemens Healthineers aus dem Jahr 2022. Ein Auszug: »Unter Patient Twinning verstehen wir unsere Kompetenz, den Menschen in seiner phänotypischen und biochemischen Individualität so präzise wie möglich zu beschreiben, um daraus dem Arzt wichtige Anhaltspunkte für den individuell richtigen, nächsten Schritt in der Therapie zu geben – auch mithilfe von vorherigen Simulationen, die den Behandlungserfolg bis zu einem gewissen Grad vorhersagen und damit verbessern können.«

56 Wörter in einem einzigen Satz, darunter etliche Fachbegriffe – »wenn man das liest, hat man am Ende des Satzes vergessen, was am Anfang steht«, bemängelt Thoms. Die Wissenschaftlerin hat den Text für eine Präsentation umformuliert: »Unsere erste Kernkompetenz ist das Patient Twinning. Mithilfe von Methoden der medizinischen Bildgebung und der Labordiagnostik versuchen wir, die gesundheitlichen Merkmale jedes einzelnen Patienten bestmöglich zu beschreiben: Wir erstellen einen ›digitalen Zwilling‹. Der Arzt kann dadurch nicht nur den individuell richtigen, nächsten Schritt in der Therapie wählen. Mit den Daten kann der Behandlungserfolg außerdem bis zu einem gewissen Grad vorhergesagt und verbessert werden

Thoms erklärt: »Ein Text muss nicht auf allen Ebenen leicht und darf nicht auf allen Ebenen schwer sein. Außerdem sollte er sich immer an die jeweilige Zielgruppe anpassen.« Sprich: Es gibt für Texte kein One-fits-all-Modell. Ihr Ziel und das ihrer Kolleginnen und Kollegen in Hohenheim ist, Unternehmen und Behörden Denkanstöße zu geben und zu zeigen, dass gute Kommunikation kein Zufall, sondern mess- und verbesserbar ist.

Dass die Redemanuskripte der Vorstandsvorsitzenden sich über einen Zeitraum von zehn Jahren verbessert haben, wertet Thoms als Erfolg: Das hänge sicherlich auch damit zusammen, dass ihr Forschungsprojekt in den Medien sehr präsent war. Dass die Rede ihres CEO als »formal schwerverständlich« bewertet wurde, mag das eine oder andere Unternehmen zum Nachdenken gebracht haben, vermutet die Kommunikationswissenschaftlerin.

»Menschen mit einem besonderen Berufshabitus und großem Expertenwissen bringen vereinfachte Sprache oft reflexhaft mit schlechtem Deutsch Verbindung«Bettina Bock, Linguistin

Wirtschaftsvertreter, Politiker, aber auch Wissenschaftler stehen sich auf dem Weg zu einer verständlichen Sprache oft selbst im Weg. Wenn sie über ihre ureigensten Themen referieren, ereilt sie fast unweigerlich der »Fluch des Wissens«, wie Claudia Thoms es nennt.

Bettina Bock, Linguistin an der Universität Köln, beobachtet das ebenfalls. »Menschen mit einem besonderen Berufshabitus und großem Expertenwissen bringen vereinfachte Sprache oft reflexhaft mit schlechtem Deutsch in Verbindung«, sagt die Verständlichkeitsforscherin. »Deshalb treibt mich als Wissenschaftlerin die Frage um: Wie kann ich einfach und verständlich schreiben, ohne dass die Leute den Eindruck haben, dass die Sprache anders, irgendwie abweichend ist?« Die perfekte Lösung dafür sei noch nicht gefunden.

Schreibtrainings für Forschende

Das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) schult Forschende und andere Wissenschaftskommunikatoren im verständlichen Schreiben. Es gibt Workshops vor Ort und online sowie E-Learning-Kurse. Mehr unter: Schreib-Workshops und -Kurse am Nawik

Viele Kritiker von einfacher Sprache unterstellen außerdem, dass sie gegen Regeln verstoße. »Als sei ein solcher Text ein Angriff auf die deutsche Orthografie und Grammatik – was aber in den meisten Fällen gar nicht so ist.«

Ein gutes Beispiel ist für Bock die Diskussion um die »Tagesschau«-Nachrichten in vereinfachter Sprache. »Wenn man sich anschaut, wie darüber diskutiert wird, dann geht es hauptsächlich ums Prestige und weniger um Verständlichkeit und Barrierefreiheit.«

Mittlerweile gibt es KI-Tools wie das vom deutschen Start-up getmika.de, die auf die Übersetzung von Behördendeutsch in verständliche Sprache spezialisiert sind. Das grundlegende Problem lösen diese automatisierten Hilfen allerdings nicht: dass deutsche Behörden sich nicht von sich aus und standardmäßig um eine für die meisten Menschen gutverständliche Sprache bemühen. Bislang haben nur wenige Landesregierungen wie etwa die von Baden-Württemberg und Brandenburg eine Selbstverpflichtung zu einfacher und bürgernaher Sprache in ihre Koalitionsverträge aufgenommen.

Aus Sicht des Kommunikationsexperten und Dozenten Lothar Wiegand »muss das von oben, von der Politik kommen, sonst bleiben alle Versuche vergeblich«. Wiegand bezeichnet sich auch als Übersetzer von Verwaltungstexten: Er überträgt sie in eine moderne Amtssprache, bringt Mitarbeitenden in Behörden verständlicheres Schreiben bei und unterrichtet unter anderem an der Landesakademie für öffentliche Verwaltung Brandenburg. Der Dozent hat selbst jahrelang als Pressesprecher in einem brandenburgischen Ministerium gearbeitet und festgestellt: In deutschen Amtsstuben eine einfache Sprache einzuführen, sei »ein ganz dickes Brett«.

Zwar habe er mit dem Thema verständliches Schreiben »an der Landesakademie offene Türen eingerannt«, und der Lerneffekt bei den Teilnehmenden sei groß. Aber diese kämen hauptsächlich freiwillig, weil sie von sich aus erkannt hätten, »dass da etwas im Argen liegt«. Das Schreibseminar ist bisher nur für Seiteneinsteiger im Landesdienst eine Pflichtveranstaltung. »Da mache ich mir auch keine Illusionen, das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein«, sagt Wiegand. Was ihn jedoch optimistisch stimme: dass es bundesweit immer mehr Forschungsprojekte und Initiativen für eine verständliche Sprache gibt.

Zehn Regeln für verständliches Schreiben

  1. Schachtelsätze in mehrere Hauptsätze zerlegen – nach der Regel: ein Gedanke, ein Satz – zwei Gedanken, zwei Sätze
  2. Füllwörter und Floskeln streichen
  3. Kurze Wörter wählen, Beispiel: »Frage« statt »Fragestellung«
  4. Anhäufungen von Substantiven (Nominalstil) auflösen
  5. Einfache Verben gebrauchen (»erwägen« statt »in Erwägung ziehen«)
  6. Passive Verben vermeiden
  7. Konkret und lebendig formulieren
  8. Abstrakte und komplexe Aussagen anhand von Beispielen und Metaphern verdeutlichen
  9. Fachbegriffe vermeiden oder bei erster Nennung erläutern
  10. Den Text selbst laut vorlesen und andere probelesen lassen

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  • Quellen
Bock, B.M., in Handbuch Deutsch als Fach- und Fremdsprache, 2024, S. 349–366
Thoms C., Im Sinne der Medien – Textverständlichkeit im Nachrichtenauswahlkontext, 2023
Universität Hohenheim: CEO-Klartext, 2024

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