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Artensterben: Deutschland verliert weiterhin Millionen Vögel

Der Bestand an Feldvögeln nimmt immer noch ab. Den Arten im Wald geht es dagegen deutlich, denen in der Stadt etwas besser.
Toter Kiebitz

Zwischen 1992 und 2016 hat Deutschland rund 14 Millionen Vögel verloren, die meisten davon in der Zeit bis 2005. Danach konnten Ornithologen zumindest in Wäldern und Siedlungen wieder Zunahmen verzeichnen, während es im Kulturland weiter bergab geht. Das zeigt eine Datenerfassung des Dachverbands Deutscher Avifaunisten (DDA), die auf den Beobachtungen zahlreicher Hobby- und Profiornithologen in der Bundesrepublik basiert. Die Zahlen bestätigen zahlreiche vorherige Analysen in Deutschland wie auch in anderen Ländern Westeuropas, die teilweise dramatische Bestandsrückgänge von Feldvögeln gezeigt haben.

Arten der offenen Kulturlandschaft nehmen demnach schon seit Jahrzehnten nahezu kontinuierlich und über verschiedene Gruppen hinweg ab. Rebhuhn und Kiebitz gingen in den 24 Jahren des Erfassungszeitraums um 90 Prozent zurück; ehemals flächendeckend vorhandene »Allerweltsarten« wie Feldlerche oder Turteltaube existieren heute lediglich lückenhaft. Beim Wiesenpieper verschwanden drei Viertel der Brutpaare. Und schlecht geht es auch Arten des Feuchtgrünlandes wie Bekassine, Uferschnepfe und Braunkehlchen, die während dieser Zeit bundesweit mehr als die Hälfte ihrer Bestände eingebüßt haben. Weitere einst typische Arten für die Agrarlandschaft wie Brachpieper oder Steinschmätzer kommen nur noch in Gebieten vor, an denen Laien sie vielleicht nicht vermuten würden: in aufgegebenen Tagebauanlagen oder auf Truppenübungsplätzen, die prinzipiell mittlerweile artenreiche Ersatzbiotope darstellen.

Von 1992 bis 2005 verlor der ländliche Raum zwei Millionen Brutpaare – nach bereits vorherigem jahrzehntelangem Bestandsrückgang –, bis 2016 weitere 300 000 Paare. Der Trend für Wälder und Städte ist dagegen zweigeteilt: Auf Einbrüche in der ersten Hälfte folgte ein starker Aufwärtstrend im Wald und ein leichter in den Städten bis 2016. Seit 2005 nahm die Zahl der Vogelpaare im Wald wieder um 1,6 Millionen und in der Stadt um 500 000 Paare zu. Wegen der vorherigen Verluste liegen die Bestände jedoch noch niedriger als 1992.

Probleme auf dem Acker, Chancen in der Stadt

Gründe für die unterschiedliche Entwicklung deutet der DDA-Bericht nur an, sie sind jedoch aus vielen Studien bekannt: Wälder werden mittlerweile flächendeckend extensiver und naturschonender bewirtschaftet; die Zahl der Naturwaldreservate hat sich vergrößert. Zudem begannen Förster und private Besitzer die Wälder »umzubauen«: weg von artenarmen Fichtenforsten hin zu naturnäheren Mischwäldern. Ob sich dieser Trend zukünftig fortsetzt, muss allerdings abgewartet werden: Holz wird wieder verstärkt als Energieträger genutzt und damit der Druck auf den Lebensraum erhöht.

In den Städten machten sich 1992 vor allem in Ost-, später auch in Westdeutschland Sanierungen bemerkbar: Durch Renovierungen und Wärmedämmung verschwanden zahlreiche Nistmöglichkeiten für Gebäudebrüter wie Spatzen oder Mauersegler. Dafür sorgten die wachsende Begrünung und die steigende Anpassung vieler Arten an das Stadtleben für eine Trendumkehr im neuen Jahrzehnt: Tiere wie Habicht, Graureiher oder Feldsperlinge, die zuvor kaum in Städten vorhanden waren, sind heute dort regelmäßig zu beobachten.

In der Feldflur hat sich dagegen wenig geändert. Der intensivierte Anbau setzt typische Offenlandarten ununterbrochen unter Druck: Frühe und oft wiederholte Mahd zerstört Gelege und tötet Küken; der Anbau von Energiepflanzen verhindert ebenfalls die Ansiedlung vieler Bodenbrüter; der Einsatz von Pestiziden reduziert das Nahrungsangebot; der Verlust von Hecken und Streuobstwiesen verringert Nistmöglichkeiten und Rückzugsorte – negative Entwicklungen, die ebenso schon in Frankreich, den Niederlanden, Spanien oder Großbritannien beobachtet wurden. Bei Zugvögeln wie der Turteltaube kommt verschärfend hinzu, dass sie immer noch auf dem Flug ins und vom Winterquartier gejagt wird oder seltener geeignete Rastplätze findet.

Aussterben, Einwanderung und Comeback

Seit 2010 starben mit dem Steinwälzer, Ohrentaucher und Rotkopfwürger drei Brutvogelarten, Silberreiher und Stelzenläufer kamen dagegen neu dazu. Zudem hat der Triel Deutschland wiederbesiedelt. Bemerkbar macht sich auch der Klimawandel: Wärme liebende Arten wie Purpurreiher, Bienenfresser, Alpensegler und Orpheusspötter breiten sich in wärmebegünstigten Gebieten im Südwesten, Südosten und Osten Deutschlands aus. Und Großvögel wie verschiedene Adlerarten, Uhu, Kranich, Schwarzstorch oder die Wiesenweihe profitieren von gezielten Artenschutzmaßnahmen.

Insgesamt ist der Nordosten Deutschlands jedoch das artenreichste Gebiet der Bundesrepublik. Hier vermischen sich Arten mit einem atlantischen Verbreitungsschwerpunkt mit typischen Kontinentalarten. Dazu kommen die landschaftliche Vielfalt, eine teilweise noch extensive Landnutzung und zahlreiche große Naturschutzgebiete, brach liegende Tagebaue oder Truppenübungsplätze. Weitere Zentren der Artenvielfalt liegen am Alpenrand sowie im Oberrheingraben. Der Nordwesten als Zentrum intensiver Landnutzung und Viehhaltung ist dagegen ein Notstandsgebiet: »Dort haben einst häufige und weit verbreitete Feldvogelarten wie Feldlerche und Kiebitz größere Bereiche schon komplett geräumt«, schreibt der DDA.

Insgesamt leben rund 300 Brutvogelarten in Deutschland. Die häufigsten Vertreter sind Amseln und Buchfinken mit jeweils zehn Millionen Paaren. Sie werden gefolgt von Kohlmeise, Mönchsgrasmücke und Haussperling.

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