Ernährung: Entzaubertes Intervallfasten

Dieser Artikel wurde erstmals am 24.07.2025 veröffentlicht.
»Herztod durch Intervallfasten?« und »Langes Intervallfasten könnte Teenagern schaden«: So oder so ähnlich lauteten zuletzt Schlagzeilen zu der Diät, die in der öffentlichen Wahrnehmung lange Inbegriff des gesunden Lebensstils war. »Das Image des Intervallfastens hat tiefe Kratzer bekommen«, sagt Stefan Kabisch, Studienarzt in der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. »Und das vollkommen zu Recht, denn der Hype war nie wirklich durch gute Daten beim Menschen belegt.«
Gesünder und älter könne man werden, wenn man über längere Zeit am Tag nicht isst – so lautet ein Versprechen von Verfechtern des zeitweisen Nahrungsverzichts. In der gängigsten Form nimmt man für 16 Stunden kein Essen zu sich und holt dies in den verbleibenden acht Stunden nach (16 : 8-Methode). Man kann dabei das Frühstück auslassen oder das Abendessen. Es gibt auch die Variante, bei der man an jedem zweiten Tag die aufgenommene Nahrung stark limitiert (Alternate Day Fasting) oder bei der man zweimal pro Woche einen Fastentag einlegt (5 : 2-Methode). »Das Hauptproblem bei den randomisiert kontrollierten Studien zum Intervallfasten ist, dass es so viele Varianten davon gibt«, erklärt Stefan Kabisch. »Die Datengrundlage ist deshalb sehr heterogen, was eine Beurteilung von Effekten schwierig macht.«
Was spricht dafür, lange Esspausen einzulegen? »In modernen Gesellschaften tendieren wir dazu, ständig zu essen«, so Tinh-Hai Collet, Diabetologe und Professor am Unispital Genf. »Das fördert Übergewicht und Diabetes. Schon unsere Großmütter sagten uns, dass wir nicht dauernd essen sollten – und das war richtig.« Diabetes wird von Fachleuten als weltweite Epidemie bezeichnet. Zehn Prozent der deutschen Bevölkerung, über acht Millionen Menschen, leiden darunter, und es werden mehr. 90 Prozent von ihnen haben Typ II, auch Lebensstil-Diabetes genannt.
Insbesondere dieser tritt immer häufiger auf. Eine Hauptursache hierfür ist, dass die Betroffenen mehr Energie aufnehmen, als sie verbrauchen. Beim Diabetes Typ II sprechen die Zellen dann nicht mehr gut auf das Hormon Insulin an. Sie können deshalb weniger Zucker aus dem Blut entnehmen, der Blutzucker steigt. »Intervallfasten verbessert fast immer die Reaktion der Zellen auf Insulin«, weiß Stephan Herzig, Professor und Direktor am Helmholtz-Zentrum für Diabetes in München. »In der Folge sinken auch die Konzentrationen von Zucker, Fetten und Cholesterin im Blut.« Ebenso bessere sich eine Fettleber, vor allem, wenn man gleichzeitig Sport macht, wie 2023 ein Team um Mark Ezpeleta von der University of Illinois in Chicago herausfand.
Doch bei genauer Betrachtung der Studienlage sind die Aussagen nicht so eindeutig, wie sie oft dargestellt werden. Ein Beispiel hierfür ist ebenjene Studie zum Fettabbau in der Leber: Hier wurden Freiwillige verglichen, die (a) abwechselnd zur gewohnten Ernährung einen Tag mit verringerter Kalorienzufuhr einlegten, (b) zusätzlich dazu fünfmal die Woche Sport machten, (c) ausschließlich das Sportprogramm absolvierten und (d) keiner Intervention unterlagen. Am besten schnitt die Gruppe ab, die fastete und sich gleichzeitig sportlich betätigte. Allerdings: Eine Vergleichsgruppe ohne Intervallfasten, bei der die Kalorienzufuhr genauso stark gesenkt wurde, gab es nicht. »Das ist ein unfairer Vergleich«, meint Stefan Kabisch. »Und dies zieht sich durch die gesamte Literatur zum Thema.«
So kommen zwei Metaanalysen (siehe »Kurz erklärt«) mit Menschen mit Diabetes beziehungsweise Übergewicht zu dem Ergebnis, dass Intervallfasten sich positiv auf Gewicht, Blutzucker, Blutdruck und Blutfette (Triglyceride) auswirkt. »In den meisten der zugrunde liegenden Primärstudien wurden die Fastenden aber verglichen mit Menschen, die keine Ernährungsumstellung bekamen«, sagt Kabisch. Demzufolge nahmen die Probandinnen und Probanden in den Interventionsgruppen ab – und logischerweise nicht in den Kontrollgruppen, denn dort gab es keine Kalorienrestriktion. »Starke Effekte des Intervallfastens sieht man praktisch nur verglichen mit Menschen, die keine Diät- und keine Bewegungsvorgabe bekamen«, erläutert Stefan Kabisch. »Sobald man aber mit gleichwertiger Kalorienreduktion vergleicht, verschwinden die Vorteile des Intervallfastens.« Auch die vermeintliche Verbesserung der Insulinresistenz ist nicht immer nachweisbar. In einer Metaanalyse fanden sich diesbezüglich gar keine Effekte. In anderen Untersuchungen waren die Verbesserungen gering.
Fürs Abnehmen so gut wie andere Diäten
Die nachgewiesenen Vorteile des zeitweisen Nahrungsverzichts scheinen vor allem darin zu bestehen, dass die Menschen dann weniger essen und daraufhin abnehmen. Wissenschaftler der University of Bath testeten das 2021 explizit: Sie verglichen das Intervallfasten mit einer Diät ohne zeitliche Vorgaben, aber gleicher Kalorienmenge. Und siehe da, es ergab sich kein Vorteil des Fastens hinsichtlich Gewicht und zahlreicher Blutwerte. Das Bauchfett schmolz bei kontinuierlichen Essern sogar stärker dahin. »Diese Studie hat ein gutes Design, um Intervallfasten im Vergleich zu bewerten«, so Stefan Kabisch. »Der Befund, dass es nicht überlegen ist hinsichtlich Gewichtsreduktion, deckt sich mit Ergebnissen aus anderen Studien.«
»Bei den längerfristigen Untersuchungen zeigte sich, dass die positiven Effekte des Intervallfastens sich nicht wesentlich von denen unterscheiden, die man auch hätte, wenn man einfach jeden Tag konsequent weniger Kalorien zu sich nehmen würde«, stimmt Stephan Herzig zu.
Man kann mithilfe von Intervallfasten also immerhin genauso gut abnehmen wie mit anderen Methoden. Und kein Übergewicht zu haben, ist eine der besten Möglichkeiten, lebensbedrohlichen Krankheiten vorzubeugen. »Übergewicht und Diabetes sind Hauptrisikofaktoren für viele Tumorerkrankungen«, erklärt Stephan Herzig. »Gesunden empfehle ich deshalb Intervallfasten als Präventionsmaßnahme, weil es keine gravierenden Nebenwirkungen hat.« Vielen falle es leichter, eine Mahlzeit wegzulassen, als stetig weniger zu essen. Andererseits sind Menschen individuell sehr verschieden. »Es ist durchaus möglich, dass manche Personen sich nach Fastenphasen mit besonders kalorienreicher Nahrung belohnen und ihre Energiezufuhr dadurch insgesamt nicht nennenswert verringern.«
Eine Metaanalyse ist ein statistisches Verfahren, um die Ergebnisse mehrerer Studien, die dieselbe Fragestellung untersuchen, quantitativ zusammenzufassen und zu bewerten. Ziel ist eine Effektgrößeneinschätzung. Es soll analysiert werden, ob ein Effekt vorliegt und wie groß dieser ist.
Beim intermittierenden Fasten hat man zudem mehr Hunger als bei der kontinuierlichen Kalorienreduktion. Eine Metastudie zum Ramadan-Fasten (Intervallfasten im Islam, bei dem zwischen Sonnenaufgang und -untergang nicht gegessen wird) untermauerte diesen Befund mit einem Blutwert: Die Konzentration des Hormons Ghrelin, das Hunger auslöst, war bei Fastenden signifikant erhöht.
Überhaupt bietet der Ramadan quasi ein langerprobtes natürliches Experiment zum zeitweisen Nahrungsverzicht. Daraus lässt sich unter anderem ableiten: Für Menschen mit Typ-II-Diabetes, also ausgerechnet für diejenigen, die nach populärer Lesart besonders davon profitieren sollten, besteht ein unkalkulierbares Risiko. So hatte ein Drittel der Patienten im nüchternen Zustand erhöhte Glukosewerte verglichen mit der Zeit vor dem Fasten, wie eine Untersuchung verschiedener arabischer Länder 2023 belegte. »Bei Diabetikern sehen wir im Ramadan eine deutliche Verschlechterung der Blutzuckerwerte«, sagt Stefan Kabisch. »Das hängt allerdings auch damit zusammen, dass in der Nacht häufig sehr stark gesüßte Speisen gegessen werden.«
»Fasten schadet definitiv in höherem Alter, denn es gibt dem Körper das Signal zum Muskelabbau«Eline Slagboom, Biologin
2024 machte eine Forschungsarbeit der Shanghai Jiao Tong University School of Medicine Schlagzeilen, die auf der Konferenz der Amerikanischen Herzgesellschaft in Chicago vorgestellt wurde (aber bislang noch nicht in einem Journal mit Peer-Review-Verfahren erschienen ist). Die Fachleute postulierten ein erhöhtes Sterberisiko bei Intervallfastenden. Sie bezogen sich dabei auf 20 000 US-Amerikaner, die zwischen 2003 und 2018 an den National Health and Nutrition Examination Surveys (NHANES) teilnahmen. Durchschnittlich wurden sie acht Jahre lang beobachtet. Es zeigte sich, dass Menschen, die mindestens 16-stündige Esspausen einlegten, fast doppelt so oft an einem Herz-Kreislauf-Ereignis (vor allem Herzinfarkt oder Schlaganfall) starben wie jene, die öfter gegessen hatten. Es gab zwar viel Kritik an der Studie, unter anderem, weil sie von ihrem Design her gar keine Kausalität belegen kann. So ist es auch möglich, dass bereits kranke Menschen auf Mahlzeiten verzichteten, etwa um abzunehmen. Deren Sterblichkeit wäre dann eher wegen ihrer Grunderkrankung wie Diabetes und krankhaftem Übergewicht erhöht und nicht aufgrund der Esspausen.
Dennoch haben diese Ergebnisse die Befürworter des Diättrends zurückhaltender gemacht. »Kurzfristige Studien zeigten bis vor Kurzem allesamt positive Effekte des Intervallfastens«, sagt Stephan Herzig. »Jetzt gibt es zunehmend Langzeitbeobachtungen mit ersten Hinweisen darauf, dass es gerade bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch negative Auswirkungen haben könnte.«
Besser nicht aufs Frühstück verzichten
Eine weitere Metaanalyse mit insgesamt mehr als 200 000 Probanden aus Japan und den USA untersuchte, inwiefern sich das Auslassen des Frühstücks auf die Gesundheit auswirkte. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen lag bei Menschen, die grundsätzlich nicht frühstückten, innerhalb des Beobachtungszeitraums von 17 Jahren um 21 Prozent höher als bei Personen, die regelmäßig morgens gegessen hatten. Wer meistens aufs Frühstück verzichtete, zeigte in anderen Studien ein gesteigertes Risiko für Übergewicht (48 Prozent), für Diabetes Typ II (zwischen 12 und 21 Prozent) und eine höhere Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs.
»Das sind epidemiologische Studien, die keine Kausalität belegen«, gibt Stefan Kabisch zu bedenken. »Verfälschungen sind wahrscheinlich, weil ein Auslassen des Frühstücks oft mit Armut, Rauchen, Alkoholkonsum, qualitativ schlechter Ernährung und Bewegungsmangel einhergeht.« Zudem seien Ernährungsmuster häufig nur punktuell erhoben worden, etwa für den letzten Tag, die letzte Woche, die letzten Monate vor der Untersuchung und somit nicht unbedingt repräsentativ. Dennoch: Diese Studien liefern keine guten Argumente dafür, dass Intervallfasten gesund sein könnte.
Die Muskelmasse nimmt ab
Oftmals versteckt sich erst im Kleingedruckten der Studien eine Schattenseite des Ernährungstrends. So auch 2025 in einer Untersuchung des Sport and Health University Research Institute in Granada, Spanien. Laut den Autoren um Manuel Dote-Montero bietet Intervallfasten unabhängig vom Zeitfenster der Nahrungskarenz keinen Vorteil gegenüber einer mediterranen Diät hinsichtlich Abnahme an Bauchfett. Eine Grafik zeigte: Die Fastenden verloren an Muskelmasse, nicht aber diejenigen, die die gleiche Kalorienzahl über den Tag verteilt zu sich nahmen. Das gleiche Muster findet sich in einer Metastudie zu den Auswirkungen der verschiedenen Formen des Intervallfastens – überall sank die fettfreie Masse der Teilnehmenden, sprich: ihre Muskelmasse.
»Unser Körper verwertet 20 bis 40 Gramm Eiweiß pro Mahlzeit«, legt Stefan Kabisch dar. »Ein erwachsener Mensch braucht aber 70 bis 90 Gramm pro Tag. Wenn man also die gesamte Menge in zwei oder gar eine einzige Mahlzeit packt, rutscht man leicht in eine Proteinunterversorgung.« Das führe zum Teil sogar dazu, dass beim Intervallfasten gar kein Gewicht verloren, sondern lediglich Muskulatur ab- und Fett aufgebaut werde.
»Fasten schadet definitiv in höherem Alter, denn es gibt dem Körper das Signal zum Muskelabbau«, sagt Eline Slagboom, Professorin für Alternsforschung an der Uni Leiden, Niederlande. »Und das ist das Letzte, was man gebrauchen kann, wenn man im Alter fit und selbstständig bleiben möchte.« Stefan Kabisch rät schon Menschen über 50 deshalb generell vom Intervallfasten ab.
»Wer gesund ist, hat nichts vom Intervallfasten – ein idealer Stoffwechsel lässt sich nicht verbessern«Tinh-Hai Collet, Diabetologe
Auch Personen mit Vorerkrankungen sollten vorsichtig sein. »Diabetespatienten zum Beispiel müssen Dosierung und Timing ihrer Medikamente anpassen«, warnt Tinh-Hai Collet. »Sie sollten Intervallfasten deshalb nur in Abstimmung mit einem Arzt praktizieren.« Das Gleiche gelte für diejenigen, die Tabletten gegen Bluthochdruck einnehmen, da die Esspausen den Blutdruck zusätzlich senken können. »Auch Menschen mit Essstörungen und Krebserkrankungen sollten unbedingt auf Intervallfasten verzichten«, rät Collet. Tumorpatienten nehmen oft ohnehin stark ab, wodurch sich die Prognose verschlechtert; jede Nahrungsbeschränkung kann diesen Effekt noch verstärken. Bei ausgeprägter Herzschwäche rät die Deutsche Herzstiftung gänzlich vom Fasten ab. Personen mit anderen Herzkrankheiten, die abnehmen möchten, sollten eine Reduktion der Kalorienaufnahme um höchstens 500 bis 800 Kilokalorien anstreben.
Lediglich für gesunde Menschen bis zum mittleren Alter ist es überhaupt ratsam, Intervallfasten auszuprobieren, etwa um abzunehmen. »Die positiven Effekte halten aber nur so lange an, wie man die Esspausen durchhält«, erläutert Stephan Herzig. Ein Muss für ein gesundes Leben ist intermittierendes Fasten keinesfalls. »Eine ausgewogene Ernährung und viel Bewegung sind wichtig«, sagt Collet. »Wer aber gesund ist, hat nichts vom Intervallfasten – ein idealer Stoffwechsel lässt sich nicht verbessern.«
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