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Einblicke ins Erdinnere: Diamanten liefern Schnappschuss von unmöglicher Chemie

Zwei kürzlich gefundene Diamanten enthalten Stoffe, die von höchst unterschiedlichen chemischen Umgebungen zeugen. Eigentlich dürften sie gar nicht gemeinsam vorkommen. Die spektakulären Funde offenbaren einen neuen Blick auf die Prozesse im Erdinnern.
Nahaufnahme eines rohen, ungeschliffenen Diamanten auf schwarzem Hintergrund. Der Diamant zeigt eine unregelmäßige, kristalline Struktur mit glänzenden, reflektierenden Flächen. Die Lichtreflexionen betonen die Transparenz und die natürliche Form des Steins.
Chemisch unreine Diamanten sind für Juweliere ein Ärgernis, für Geochemiker jedoch von großem Wert.

Zwei Diamanten, entstanden hunderte Kilometer tief im Erdmantel, haben in ihrem Inneren Stoffe aus völlig gegensätzlichen chemischen Umgebungen mit an die Erdoberfläche gebracht. Das gemeinsame Vorkommen der beiden Substanzen ist so ungewöhnlich, dass Forscher ihre Koexistenz bislang für quasi unmöglich hielten. Dass sie nun aber gleichzeitig in den Diamanten vorliegen, verändert den Blick auf die chemischen Vorgänge im Erdmantel und auf die Reaktionen, bei denen die Edelsteine entstehen.

Die beiden Diamanten wurden in einer südafrikanischen Mine gefunden. Wie viele andere Exemplare enthalten sie winzige Teile aus dem umgebenden Gestein, die bei ihrer Entstehung in den Stein eingeschlossen wurden. Während solche mineralischen Einschlüsse Juwelieren ein Dorn im Auge sind, bieten sie Wissenschaftlern eine interessante Informationsquelle. Das gilt vor allem für solche Diamanten, die tief im Erdmantel entstehen, denn nur eingeschlossen in solche inerten Vehikel können Verbindungen aus dieser Tiefe überhaupt unverändert hunderte Kilometer bis zur Oberfläche aufsteigen. 

Normalerweise würden die Stoffe sofort reagieren

In den fraglichen Diamantproben finden sich sowohl Einschlüsse von sauerstoffreichen Karbonatmineralien als auch von sauerstoffarmen Nickellegierungen. In ähnlicher Weise, wie eine Säure und eine Base sofort zu Wasser und Salz reagieren, können sauerstoffreiche (oxidierte) Karbonatminerale und sauerstoffarme (reduzierte) Metalle nicht lange nebeneinander bestehen. Deshalb weisen Diamanteinschlüsse normalerweise entweder die eine oder die andere Spezies auf. Entsprechend waren die Wissenschaftler, die beide nebeneinander in den Diamanten fanden, erst einmal verwirrt: Yaakov Weiss, Dozent für Geowissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem, und seine Kollegen legten die Proben zunächst für ein Jahr zur Seite. 

Doch als die Forscher die Proben erneut analysierten, erkannten sie, dass die Einschlüsse eine Momentaufnahme derjenigen Reaktion darstellten, in der sich die funkelnden Steine gebildet hatten. Das gemeinsame Vorliegen beider Stoffe belegt erstmals, dass Diamanten entstehen können, indem Karbonatminerale und reduzierte Metalle im Erdmantel miteinander reagieren. In Form der neuen Proben bekamen die Wissenschaftler also zum ersten Mal den Kern dieser Reaktion zu Gesicht, eingefroren in einen natürlichen Diamanten. Die Forschenden haben ihre Erkenntnisse in der Fachzeitschrift »Nature Geoscience« veröffentlicht.

Zwei Zonen | Ein Dünnschnitt des Diamanten zeigt einen klaren Kern, der von einer trüben, einschlussreichen Schicht umschlossen ist.

Die Entdeckung wirft ein neues Licht auf die Frage, was sich in der geheimnisvollen Mitte des Erdmantels befindet. Je tiefer man ins Erdinnere vordringt, desto sauerstoffärmer sollten die Gesteine und Minerale sein. Es gibt jedoch kaum direkte Hinweise auf diese Verschiebung: Die Vorstellung davon, wie sich die Bedingungen im Erdmantel mit zunehmender Tiefe von oxidierend zu reduzierend verlagern, fußen auf theoretischen Berechnungen. »Wir wussten von dieser Verlagerung ins reduktive Milieu dank einiger empirischer Daten. Es existieren Proben aus Tiefen von bis zu rund 200 Kilometern«, sagt Maya Kopylova, Professorin für Erd-, Ozean- und Atmosphärenwissenschaften an der University of British Columbia. Sie war nicht an der aktuellen Studie beteiligt, hat aber einen Leitartikel zur Publikation verfasst. »Was unterhalb von 200 Kilometern vorgeht, konnten wir uns nur anhand unserer Modelle vorstellen, denn es ist sehr schwierig, Material von dort zu bekommen. Es gibt nur wenige Proben aus dieser Tiefe«, sagt sie gegenüber »Scientific American«. 

Harte Probe für theoretische Modelle

Die neuen Proben hingegen stammen aus Tiefen von 280 bis 470 Kilometer unter der Erdoberfläche und bieten somit die Chance, die theoretischen Modelle anhand physischer Proben zu überprüfen. Eine erste Erkenntnis daraus ist laut Weiss, dass oxidiertes geschmolzenes Material in größerer Tiefe existiert als erwartet.

Die Reaktionen, bei denen sich Diamanten bilden, laufen wahrscheinlich ab, wenn eine tektonische Platte unter eine andere abtaucht und dabei flüssige Karbonate mit sich zieht. Bei der Subduktion bringt die tektonische Platte sauerstoffreiche Minerale in Kontakt mit Metalllegierungen im Erdmantel. Es gibt allerdings auch eine alternative Erklärung: Demnach fallen Diamanten aus kohlenstoffhaltigen Flüssigkeiten aus, während diese im Erdmantel nach oben steigen und sich abkühlen – ähnlich wie Zucker, der aus abkühlendem Sirup auskristallisiert. Die neue Studie schließt nicht aus, dass auch dieser Prozess abläuft. 

Die nickelhaltigen Einschlüsse könnten außerdem dazu beitragen, einen seltsamen Befund in manchen Diamanten zu erklären: Gelegentlich sind einige Kohlenstoffatome im Kristallgitter des Diamanten durch Nickelatome ersetzt. Das gab bisher Rätsel auf, sagt Kopylova, denn Nickel ist viel schwerer als Kohlenstoff und sollte sich demnach nicht einfach in die Kristallstruktur einfügen. »Wenn ich diese Befunde im Licht der neuen Daten betrachte, dann deuten sie vielleicht nur darauf hin, dass sich der Diamant in bestimmten Tiefen gebildet hat«, sagt sie. »Es wäre sehr interessant, das weiter zu untersuchen.«

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  • Quellen

Kempe, Y. et al., Nature Geoscience 10.1038/s41561–025–01791–4, 2025

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