Altertum: "Die Ägypter würden alles daransetzen, ihr Kulturerbe zu schützen"
Die Welt blickt gebannt nach Ägypten, der Wiege einer alten Zivilisation. Was passiert mit den archäologischen Schätzen des Landes? Sind sie und ihre Erforscher in Gefahr? spektrumdirekt sprach mit Nicole Kehrer über die Lage in Kairo und an den Grabungsstätten. Die Pressesprecherin des Deutschen Archäologischen Instituts ist ständig mit ihren Kollegen vor Ort in Kontakt.
spektrumdirekt: Die momentane Situation in Ägypten scheint doch sehr unübersichtlich zu sein. Wie geht es Ihren Mitarbeitern vor Ort?
Nicole Kehrer: Zu Beginn der Unruhen war die Informationslage sehr chaotisch, weswegen die Kollegen von den Grabungsstätten im Land abgezogen und nach Kairo zurückgeholt wurden. Alle nicht fest angestellten Kräfte wie Praktikanten, Stipendiaten oder auch Familienangehörige mit Kindern reisten dann aus, der Rest blieb in Kairo. Während der ersten Tage, als auch die Plünderungen stattfanden und sowohl Mobilfunk als auch Internet ausgefallen waren, zogen sie sich in den Stadtteil Zamalek zurück, wo sich auch die deutsche Botschaft und das Institut befinden.
Wer dort keine Wohnung besaß, konnte in Gästezimmer des Instituts ziehen. Teilweise schlossen sich die Kollegen auch zu Wohngemeinschaften auf Zeit zusammen, damit keiner allein in seiner Wohnung bleiben musste. Inzwischen hat sich die Lage aber so weit beruhigt, dass alle in ihre eigenen Unterkünfte zurückkehren konnten. Und auch das Institut arbeitet wieder weit gehend regulär.
Gab es Zwischenfälle auf der Straße? Schließlich kursierten Gerüchte, dass Jagd auf Ausländer gemacht wurde, weil man sie als Kollaborateure der Regierung oder Anstifter der Unruhen verdächtigte?
Nein, Zamalek war und ist einer der ruhigsten Stadtteile von Kairo und liegt auf einer Insel, die man relativ gut absichern kann.
In Kairo selbst mussten sie nicht zur Arbeit kommen. Durch die Ausgangssperren und Straßenblockaden in den ersten Tagen konnten viele der Mitarbeiter ohnehin nicht nach Zamalek gelangen. Inzwischen hat sich aber auch hier die Lage normalisiert, und sie kommen wieder geregelt zur Arbeit. In den Grabungsstätten selbst waren die einheimischen Kollegen jedoch immer vor Ort und telefonisch mit uns in Kontakt; daher wissen wir, dass alles in Ordnung ist.
Wurden die Grabungsstätten nach Abzug Ihrer Mitarbeiter auch offiziell gesichert oder musste man Plünderungen fürchten?
Teilweise haben unsere einheimischen Mitarbeiter mit Hilfe von Bekannten und Verwandten die Grabungshäuser nachts selbst bewacht, damit dort nichts passiert. Die Grabungsflächen und -häuser stehen jedoch ohnehin stets auch unter dem Schutz von Polizei oder anderen Sicherheitsdiensten, etwa wenn die Grabungen Sommerpause machen. Der einzige Zwischenfall scheint sich in Daschur – einem Grabungsort 30 Kilometer südlich von Kairo – abgespielt zu haben, wo die Grabungen zurzeit regulär ruhen. Dort hat man wohl das DAI-Grabungshaus aufgebrochen und geplündert. Ansonsten sind uns von unseren eigenen Projekten keine weiteren Fälle bekannt.
Es sind Schäden entstanden, doch in welchem Umfang, das entzieht sich auch unseren Erkenntnissen. Die Kollegen waren noch nicht vor Ort. Die Bilder, die uns vorliegen, deuten eher auf eine gewisse Zerstörungswut als auf das gezielte Suchen nach wertvollen Objekten, dennoch wurden wohl auch einige Gegenstände gestohlen.
Auch aus dem Ausstellungsbereich?
Ein Teil der Eindringlinge kam von unten ins Haus, aber sie drangen offensichtlich nicht weiter als bis zum Souvenirshop und der Cafeteria vor. Laut dem Ägyptischen Antikendienst haben diese Leute aber nicht erkannt, dass sie noch gar nicht im eigentlichen Museum waren: Sie räumten dann nur die Repliken der Ausstellungsstücke aus dem Shop aus. Andere gelangten von oben über das Dach ins Haus und zerstörten 13 Vitrinen in mehreren Ausstellungssälen im ersten Obergeschoss.
Können Sie den entstandenen wissenschaftlichen Schaden beziffern?
Das können wir noch nicht beurteilen. Offiziell heißt es, dass nur wenige Gegenstände verschwunden oder zerstört worden sind. Soweit ich aus den Bildern von Al-Dschasira schließen kann, handelt es sich unter anderem um Grabbeigaben aus dem Mittleren Reich – vor allem Holzmodelle eines Schiffsmodells und einer Privatarmee, die den Toten mitgegeben wurden. Diese Fundstücke sind recht zerbrechlich, und manche gingen zu Bruch, bei anderen fehlen Teile oder Figuren, die zu dem Ensemble gehören.
Auch wenn sie weniger spektakulär als die Schmuckstücke von Tutanchamun sind, so besitzen doch auch diese Fundstücke für Archäologen einen unschätzbaren Wert. Zudem wurde auch vom Schatz des Tutanchamun eine Vitrine mit mehreren goldenen Statuetten aufgebrochen.
Wir gehören als Bundesbehörde zum Auswärtigen Amt und müssen uns nach den Weisungen der Botschaft richten. Momentan herrscht der so genannte "Status 2a": Angehörige können ausreisen, müssen aber nicht, während die Angestellten vor Ort bleiben. Für die vor Ort verbliebene Kernmannschaft des Instituts gibt es Notfallpläne, so dass wir sie im Notfall schnell ausfliegen können.
Was würde ein Regierungswechsel für Ihre Arbeit bedeuten – vor allem für die Zusammenarbeit mit Zahi Hawass, dem Leiter der ägyptischen Antikenbehörde?
Hawass gehört nach seiner Beförderung zum Minister für Antiken zur Regierung. Aber was das für ihn und uns nach einem möglichen Regierungswechsel bedeuten könnte, lässt sich überhaupt noch nicht sagen.
Nach dem letzten Golfkrieg und dem Einmarsch der USA im Irak stahlen Grabräuber viele archäologische Artefakte. Muss man eine ähnliche Entwicklung in Ägypten befürchten, sollte das Land ins Chaos abgleiten?
Wir können den Schutz der archäologischen Stätten leider nur wenig beeinflussen, denn die Hoheit über alle Grabungsorte liegt bei der ägyptischen Antikenbehörde. Wir benötigen eine Genehmigung, um dort überhaupt arbeiten zu dürfen. Im Ernstfall würden wir natürlich alles tun, um die Kollegen vor Ort zu unterstützen – finanziell und logistisch.
Wie stehen die Ägypter zu ihrem Kulturerbe?
Überall im Land sicherte der Wachdienst des Antikendienstes die Grabungsstätten recht schnell und blieb stets präsent – entgegen den Gerüchten, dass die Grabungshäuser, Magazinräume und Antikengebiete alle verlassen wurden. Zusätzlich beschützte das Militär wichtige Orte wie Luxor. Und das dürfte wohl auch passieren, wenn es zu einer größeren Krise käme. Die Ägypter wissen, was sie an ihrem reichen antiken Erbe haben. Sie würden alles daransetzen, ihr Kulturerbe zu schützen – da habe ich vollstes Vertrauen.
Frau Kehrer, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Nicole Kehrer: Zu Beginn der Unruhen war die Informationslage sehr chaotisch, weswegen die Kollegen von den Grabungsstätten im Land abgezogen und nach Kairo zurückgeholt wurden. Alle nicht fest angestellten Kräfte wie Praktikanten, Stipendiaten oder auch Familienangehörige mit Kindern reisten dann aus, der Rest blieb in Kairo. Während der ersten Tage, als auch die Plünderungen stattfanden und sowohl Mobilfunk als auch Internet ausgefallen waren, zogen sie sich in den Stadtteil Zamalek zurück, wo sich auch die deutsche Botschaft und das Institut befinden.
Wo kamen Ihre Kollegen unter?
Wer dort keine Wohnung besaß, konnte in Gästezimmer des Instituts ziehen. Teilweise schlossen sich die Kollegen auch zu Wohngemeinschaften auf Zeit zusammen, damit keiner allein in seiner Wohnung bleiben musste. Inzwischen hat sich die Lage aber so weit beruhigt, dass alle in ihre eigenen Unterkünfte zurückkehren konnten. Und auch das Institut arbeitet wieder weit gehend regulär.
Gab es Zwischenfälle auf der Straße? Schließlich kursierten Gerüchte, dass Jagd auf Ausländer gemacht wurde, weil man sie als Kollaborateure der Regierung oder Anstifter der Unruhen verdächtigte?
Nein, Zamalek war und ist einer der ruhigsten Stadtteile von Kairo und liegt auf einer Insel, die man relativ gut absichern kann.
Wie steht es um die Sicherheit Ihrer einheimischen Angestellten?
In Kairo selbst mussten sie nicht zur Arbeit kommen. Durch die Ausgangssperren und Straßenblockaden in den ersten Tagen konnten viele der Mitarbeiter ohnehin nicht nach Zamalek gelangen. Inzwischen hat sich aber auch hier die Lage normalisiert, und sie kommen wieder geregelt zur Arbeit. In den Grabungsstätten selbst waren die einheimischen Kollegen jedoch immer vor Ort und telefonisch mit uns in Kontakt; daher wissen wir, dass alles in Ordnung ist.
Wurden die Grabungsstätten nach Abzug Ihrer Mitarbeiter auch offiziell gesichert oder musste man Plünderungen fürchten?
Teilweise haben unsere einheimischen Mitarbeiter mit Hilfe von Bekannten und Verwandten die Grabungshäuser nachts selbst bewacht, damit dort nichts passiert. Die Grabungsflächen und -häuser stehen jedoch ohnehin stets auch unter dem Schutz von Polizei oder anderen Sicherheitsdiensten, etwa wenn die Grabungen Sommerpause machen. Der einzige Zwischenfall scheint sich in Daschur – einem Grabungsort 30 Kilometer südlich von Kairo – abgespielt zu haben, wo die Grabungen zurzeit regulär ruhen. Dort hat man wohl das DAI-Grabungshaus aufgebrochen und geplündert. Ansonsten sind uns von unseren eigenen Projekten keine weiteren Fälle bekannt.
Die Berichte zum Ägyptischen Nationalmuseum waren etwas widersprüchlich: Wissen Sie mehr über die Situation vor Ort?
Es sind Schäden entstanden, doch in welchem Umfang, das entzieht sich auch unseren Erkenntnissen. Die Kollegen waren noch nicht vor Ort. Die Bilder, die uns vorliegen, deuten eher auf eine gewisse Zerstörungswut als auf das gezielte Suchen nach wertvollen Objekten, dennoch wurden wohl auch einige Gegenstände gestohlen.
Auch aus dem Ausstellungsbereich?
Ein Teil der Eindringlinge kam von unten ins Haus, aber sie drangen offensichtlich nicht weiter als bis zum Souvenirshop und der Cafeteria vor. Laut dem Ägyptischen Antikendienst haben diese Leute aber nicht erkannt, dass sie noch gar nicht im eigentlichen Museum waren: Sie räumten dann nur die Repliken der Ausstellungsstücke aus dem Shop aus. Andere gelangten von oben über das Dach ins Haus und zerstörten 13 Vitrinen in mehreren Ausstellungssälen im ersten Obergeschoss.
Können Sie den entstandenen wissenschaftlichen Schaden beziffern?
Das können wir noch nicht beurteilen. Offiziell heißt es, dass nur wenige Gegenstände verschwunden oder zerstört worden sind. Soweit ich aus den Bildern von Al-Dschasira schließen kann, handelt es sich unter anderem um Grabbeigaben aus dem Mittleren Reich – vor allem Holzmodelle eines Schiffsmodells und einer Privatarmee, die den Toten mitgegeben wurden. Diese Fundstücke sind recht zerbrechlich, und manche gingen zu Bruch, bei anderen fehlen Teile oder Figuren, die zu dem Ensemble gehören.
Auch wenn sie weniger spektakulär als die Schmuckstücke von Tutanchamun sind, so besitzen doch auch diese Fundstücke für Archäologen einen unschätzbaren Wert. Zudem wurde auch vom Schatz des Tutanchamun eine Vitrine mit mehreren goldenen Statuetten aufgebrochen.
Existieren Notfallpläne, sollte sich die Situation im Land verschärfen?
Wir gehören als Bundesbehörde zum Auswärtigen Amt und müssen uns nach den Weisungen der Botschaft richten. Momentan herrscht der so genannte "Status 2a": Angehörige können ausreisen, müssen aber nicht, während die Angestellten vor Ort bleiben. Für die vor Ort verbliebene Kernmannschaft des Instituts gibt es Notfallpläne, so dass wir sie im Notfall schnell ausfliegen können.
Was würde ein Regierungswechsel für Ihre Arbeit bedeuten – vor allem für die Zusammenarbeit mit Zahi Hawass, dem Leiter der ägyptischen Antikenbehörde?
Hawass gehört nach seiner Beförderung zum Minister für Antiken zur Regierung. Aber was das für ihn und uns nach einem möglichen Regierungswechsel bedeuten könnte, lässt sich überhaupt noch nicht sagen.
Nach dem letzten Golfkrieg und dem Einmarsch der USA im Irak stahlen Grabräuber viele archäologische Artefakte. Muss man eine ähnliche Entwicklung in Ägypten befürchten, sollte das Land ins Chaos abgleiten?
Wir können den Schutz der archäologischen Stätten leider nur wenig beeinflussen, denn die Hoheit über alle Grabungsorte liegt bei der ägyptischen Antikenbehörde. Wir benötigen eine Genehmigung, um dort überhaupt arbeiten zu dürfen. Im Ernstfall würden wir natürlich alles tun, um die Kollegen vor Ort zu unterstützen – finanziell und logistisch.
Wie stehen die Ägypter zu ihrem Kulturerbe?
Überall im Land sicherte der Wachdienst des Antikendienstes die Grabungsstätten recht schnell und blieb stets präsent – entgegen den Gerüchten, dass die Grabungshäuser, Magazinräume und Antikengebiete alle verlassen wurden. Zusätzlich beschützte das Militär wichtige Orte wie Luxor. Und das dürfte wohl auch passieren, wenn es zu einer größeren Krise käme. Die Ägypter wissen, was sie an ihrem reichen antiken Erbe haben. Sie würden alles daransetzen, ihr Kulturerbe zu schützen – da habe ich vollstes Vertrauen.
Frau Kehrer, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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