Klimaszenario: Die Alpen könnten fast alle Gletscher verlieren

Erstmals haben Fachleute berechnet, wie viele Gletscher weltweit in den kommenden Jahrzehnten erhalten bleiben – je nachdem, wie stark die Klimaerwärmung ausfällt. Demnach könnten in den Alpen bis zum Jahr 2100 von ungefähr 3000 Gletschern einige Hundert oder nur zwei Dutzend übrig bleiben. Wie die Forscher um Lander Van Tricht von der ETH Zürich in der Zeitschrift »Nature Climate Change« berichten, wären die Auswirkungen auch kurzfristig markant: In den kommenden 20 Jahren könnten in den Alpen, die vor allem von kleineren Eismassen bedeckt sind, mehr als die Hälfte aller Gletscher verschwunden sein – mehr als je zuvor.
Laut Van Tricht und seinen Kollegen sei bisher erforscht worden, wie sich die Masse und die Flächenabdeckung der Gletscher verändern werden. Die Zürcher Forscher haben hingegen berechnet, wie viele Gletscher betroffen sind und wann der jährliche Verlust seinen Höchstwert erreicht. Diese Kennzahl, die sie als »peak glacier extinction« (Höhepunkt des Gletschersterbens) benannten, haben die Wissenschaftler neu eingeführt.
Weltweit betrachtet ergeben sich dabei folgende Werte: Erwärmt sich das Klima im Vergleich zur vorindustriellen Zeit um 1,5 Grad Celsius, erreicht die Schmelze ihren Peak um 2041: Bis zu 2000 Gletscher pro Jahr könnten dann komplett abschmelzen. Heute gibt es auf der Welt ungefähr 200 000 Gletscher.
Fällt die globale Erwärmung extremer aus, etwa bei vier Grad, dann würden die meisten Gletscher später, um das Jahr 2055, verschwinden: rund 4000 Stück jährlich. Dass der Höhepunkt bei höheren Temperaturen erst später eintritt, liege daran, dass in diesem Fall auch größere Gletscher vollständig abschmelzen. Zudem sind dann insgesamt auch deutlich mehr Gletscher betroffen als bei geringerer Erwärmung.
Zwar nehme nach dem Höhepunkt die Zahl der verschwindenden Gletscher rein numerisch wieder ab, doch nur, weil die meisten kleinen sich dann schon verflüssigt haben.
Wann ein Gletscher weg ist
Ein Gletscher gilt laut Van Tricht und Co. als verschwunden, wenn sein Volumen unter ein Prozent seiner anfänglichen räumlichen Ausdehnung fällt oder wenn er weniger als 10 000 Quadratmeter abdeckt, also etwa anderthalb Fußballfelder.
Wie viele Eisströme abschmelzen, hänge aber auch von der Region, der Höhenlage und der Größe der Gletscher ab. In den Alpen, die vor allem von kleineren Eismassen bedeckt sind, sind voraussichtlich mehr als die Hälfte aller Gletscher in den nächsten 10 bis 20 Jahren verschwunden. In gleicher Weise betroffen wären der Kaukasus, die Rocky Mountains, die Anden und afrikanische Gebirge in niederen Breitengraden.
»Zu wissen, wo und wann einzelne Gletscher verschwinden werden, ist aus touristischer, kultureller und sinnstiftender Perspektive wichtig«, schreiben die Forscher in ihrer Studie. Die Eisflächen seien nicht nur für Tourismus und Erholung interessant, sondern sie spielten auch eine wichtige Rolle für die kulturelle und lokale Identität der Menschen, die den Verlust einer noch so kleinen Eismasse direkt spüren würden.
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