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Raumfahrt: So wollen die USA zum Mond zurückkehren

Im Eiltempo wollen die USA zurück zum Mond, schon in fünf Jahren sollen dort wieder Astronauten landen. Sinn und die Nachhaltigkeit drohen dabei auf der Strecke zu bleiben. Dafür wird es teuer. Sehr teuer.
So könnte eine zukünftige Mondbasis aussehen.

Dieses Mal soll alles anders sein – und doch werden sich die Bilder gleichen: Menschen in klobigen Anzügen werden durch eine graue Einöde spazieren. Sie werden bedeutsame Worte sprechen. Sie werden sich betont patriotisch geben. Sie werden Helden sein. So wird es aussehen, wenn 2024 – 55 Jahre nach der ersten Mondlandung – wieder Amerikaner über den Erdtrabanten spazieren.

Falls es dazu kommt: Denn das ambitionierte Projekt einer neuen amerikanischen Mondlandung, Artemis genannt und Ende März von US-Vizepräsident Mike Pence überraschend verkündet, ist alles andere als gesichert: Zwar kristallisieren sich langsam Details zur Technik und zur Machbarkeit heraus, die durchaus viel versprechend klingen. Nach wie vor müssen allerdings zahlreiche Hindernisse überwunden werden: bei den Kosten und den Zeitplänen, bei der internationalen Zusammenarbeit und insbesondere bei der politischen Unterstützung.

Immerhin: Für letzteres Problem, für die unberechenbare Politik, glaubt Jim Bridenstine, Chef der US-Raumfahrtbehörde NASA, eine Lösung gefunden zu haben. »Wir müssen schnell sein, denn nur dann werden wir am Ziel ankommen«, so Bridenstine vergangene Woche auf der Luftfahrtmesse im Pariser Vorort Le Bourget. Trödeln, das habe die Vergangenheit gezeigt, sei bei Mondprogrammen keine gute Idee. Im Jahr 2004 verkündete zum Beispiel der damalige US-Präsident George W. Bush, dass 2020 wieder Amerikaner auf dem Mond landen sollten – 16 Jahre in der Zukunft. Ohne den nötigen Zeitdruck genehmigte die Politik allerdings nie ausreichend Geld. Um die Mondlandung dennoch voranzutreiben, musste die NASA ihr Wissenschaftsprogramm zusammenstreichen, was die Kongressabgeordneten nur noch wütender machte. Bushs Nachfolger Barack Obama zögerte daher nicht lange und beendete das ungeliebte Vorhaben.

»Wir müssen schnell sein, denn nur dann werden wir am Ziel ankommen«Jim Bridenstine

»Wenn wir aus dem Mondflug ein jahrzehntelanges Programm machen, dann ändern sich Regierungen, Budgets, Kongresse, Prioritäten, und am Ende erreicht man niemals das, was man erreichen wollte«, sagt Bridenstine in Paris. Deshalb lautet die Vorgabe nun 2024 – das letzte Jahr der Trump-Administration, sofern der amtierende Präsident wiedergewählt wird.

Schnell, schneller, Mond. Unfreiwillig ist das neue Programm – bei dem eigentlich alles anders, alles zukunftsweisender, alles internationaler sein sollte als bei der ersten Mondlandung – damit zu einem Wettrennen geworden. Einem Rennen gegen die Zeit und gegen die Politik. Und wie vor 50 Jahren, als sich Amerikaner und Sowjets einen geopolitisch motivierten Wettlauf zum Mond lieferten, drohen auch dieses Mal die Wissenschaft, die Frage nach dem Sinn solch eines Vorhaben und nach seiner Nachhaltigkeit auf der Strecke zu bleiben.

»Wir kehren nicht zurück zum Mond, wir bauen Apollo nicht nach: Dieses Mal gehen wir das Ganze nachhaltig an«Jim Bridenstine

Dabei ist Artemis eigentlich auf Dauer angelegt: »Wir kehren nicht zurück zum Mond, wir bauen Apollo nicht nach«, sagt Bridenstine. »Dieses Mal gehen wir das Ganze nachhaltig an.« Statt lediglich ein paar Fahnen und ein paar Fußabdrücke zu hinterlassen, soll Artemis der Start für eine ausgedehnte Präsenz auf dem Mond sein. Astronauten aus aller Welt sollen dort leben, arbeiten und so die nötigen Erfahrungen sammeln, um auch auf anderen, ferneren Himmelskörpern zu bestehen. Private Unternehmen sollen in den lunaren Kommerz einsteigen – angefangen vom Gütertransport über Tourismus bis hin zum Abbau von Rohstoffen.

Wir werden kommen, um zu bleiben, so lautet die offizielle Botschaft. Genau dafür sollte in der Mondumlaufbahn eigentlich eine große internationale Raumstation aufgebaut werden. Diese Station, Gateway genannt und zumindest von Zeit zu Zeit bewohnt, sollte Ausgangsbasis für die neuen Mondabenteuer sein und für Flüge weiter hinaus ins All. Wegen der beschleunigten Mondlandung ist das Gateway nun allerdings, zumindest in seiner ersten Ausbaustufe, auf Minimalgröße geschrumpft: Es ist kaum mehr als ein Andockstutzen mit Stromversorgung. Vielleicht wird es auch gar nicht gebraucht.

Lunar Gateway und Orion-Raumschiff |

Eine Raumstation im Mondorbit ist seit gut zehn Jahren im Gespräch und sogar ein Teil der alten Global Exploration Roadmap von 2013. Damals galt die lunare Station bei vielen Raumfahrtingenieuren und Forschern jedoch als wenig ausgegoren. Die Experten bemängelten, eine Raumstation wie die ISS werde schlicht in den Mondorbit verschoben, könne aber nur wenige Wochen im Jahr bewohnt bleiben, weil die Versorgung von der Erde aus sonst zu teuer werde. Flüge zur Mondoberfläche blieben derweil sehr aufwändig. Und das, obwohl nur auf der Oberfläche nennenswerte wissenschaftliche Erkenntnisse möglich wären: etwa in der lunaren Geologie, beim Bau planetarer Habitate oder bei biologischen Experimenten unter verringerter Schwerkraft.

Das große, teure, internationale Gateway war für die NASA aber immer auch eine Art Versicherung. Ein Schutz davor, dass Artemis nach ein paar erfolgreichen Landungen – wie einst Apollo – wieder beerdigt wird, ein Garant für eine dauerhafte Präsenz am Mond. Ein eilig zusammengeschustertes Gateway, noch dazu ohne nennenswerte internationale Beteiligung, auf die US-Politiker Rücksicht nehmen müssten, ließe sich hingegen schnell einstampfen. Dafür muss nur der politische Wind in Washington drehen.

Unkalkulierbare Politiker als größtes Risiko

Für Bridenstine liegt darin auch eine der größten Gefahren. »Die NASA ist sehr gut darin, technische Risiken zu meistern«, sagt der ehemalige Kongressabgeordnete. »Viel entscheidender – und viel schwerer zu kontrollieren – ist allerdings das politische Risiko.« Wie schwer, das zeigte vor drei Wochen ausgerechnet ein Tweet von Bridenstines Chef, Donald Trump: »Bei all dem Geld, das wir ausgeben, sollte die NASA nicht über einen Mondflug reden. Das haben wir vor 50 Jahren schon gemacht«, polterte Amerikas Twitter-Präsident. Stattdessen sollten der Mars, die Verteidigung, die Wissenschaft im Fokus stehen. Zwar ist unklar, was Trump damit genau ausdrücken wollte, trotzdem hat die NASA seitdem den Mars in den Mittelpunkt ihrer Kommunikation gerückt. Bridenstine ist da voll auf Linie: »Der Mond ist das Versuchsgelände«, sagt er in Le Bourget, »der Mars ist das große Ziel.«

Am Ziel für 2024 hat sich dennoch nichts geändert, allen rhetorischen Verrenkungen zum Trotz. Es bleibt der Mond. Koste es, was es wolle. Und genau das ist das Problem. Etwa 20 bis 30 Milliarden Dollar wird die NASA in den kommenden fünf Jahren für das große Abenteuer benötigen – zusätzlich zum gut 20 Milliarden Dollar starken Jahresbudget, aus dem die seit Langem überfälligen Mondraketen und -raumschiffe bezahlt werden müssen. Welche Summe außerdem fällig werde, hänge von der Risikobereitschaft der Geldgeber ab, so Bridenstine: »Wählen wir zu Beginn zum Beispiel mehrere konkurrierende Anbieter für die Landefähre, erhöht das zwar die Kosten, dafür ist das Risiko für den Zeitplan deutlich geringer.«

Überhaupt sollen Wettbewerb und industrielle Eigenverantwortung eine wichtige Rolle spielen. Bei der Landefähre will die NASA beispielsweise nur die Rahmenbedingungen vorgeben sowie eine feste Entwicklungssumme bereitstellen. Die Firmen sollen dann selbst kreativ werden; sie sollen die Fähren bauen und eigenständig betreiben. »Wir zeigen den Unternehmen, was wir brauchen, sie zeigen uns, was sie machen können – auch mit eigenen Investitionen«, hofft Bridenstine. Am liebsten wäre es dem NASA-Chef sogar, die Raumfahrtagentur würde künftig nur noch Sitzplätze in privat betriebenen Mondfähren einkaufen – ein Modell, das bereits für Flüge zur Internationalen Raumstation ISS ausprobiert wird. Dort kommen die privaten Kapseln allerdings seit Jahren nicht in die Puschen. Kein gutes Vorbild für ein heikles Expressprogramm wie Artemis 2024.

»Das Programm wird deutlich mehr kosten, als sie uns heute erzählen«Walt Cunningham

Dennoch gibt sich die NASA bescheiden. Lediglich 1,6 Milliarden Dollar hat sie fürs kommende Haushaltsjahr beantragt, als »Anzahlung«, wie Bridenstine es nennt. Fast scheint es, als wolle die Raumfahrtbehörde den US-Kongress mit einer vergleichsweise geringen Summe ködern, nur um dann in den Folgejahren zu sagen: Gebt uns mehr Geld, viel mehr Geld – oder ihr müsst die 1,6 Milliarden abschreiben. Nur: Nicht einmal dieser vergleichsweise geringe Betrag ist bislang gesichert. NASA-Veteran Walt Cunningham, der 1968 mit Apollo 7 ins All startete, meint in Le Bourget sogar: »Das Programm wird deutlich mehr kosten, als sie uns heute erzählen.«

Bleibt die internationale Option: »Wir wollen, dass die Welt uns begleitet«, sagt Bridenstine in Paris und zeigt ein Video mit dem Titel »Wir gehen gemeinsam«. Die Chefs und Chefinnen anderer Raumfahrtorganisationen kommen darin mit wohlmeinenden Sätzen zum Artemis-Programm zu Wort. »Zusammen mit anderen Staaten wollen wir mehr erreichen, als wir allein leisten können – und das in einer wahrlich internationalen Zusammenarbeit«, so Bridenstine.

Europas mögliche Rolle ist nebulös

Bislang hat sich allerdings nur Kanada zur Mitarbeit beim Gateway verpflichtet – durch einen Roboterarm. Japan hat bei Trumps Staatsbesuch Ende Mai immerhin pflichtschuldig Interesse an einer Kooperation bekundet, ohne Details zu nennen. Und auch für Europa sei Platz, so Bridenstine: »Ich glaube, die Europäische Raumfahrtagentur ESA kann eine signifikante Rolle spielen.« Wie genau diese Rolle aussehen könnte, bleibt Bridenstine auch auf Nachfrage allerdings schuldig.

Das Problem: Europa weiß selbst nicht, was es will. Alle drei Jahre entscheiden die Raumfahrtminister der 22 ESA-Staaten über den künftigen Kurs. Das nächste Treffen steht Ende November im spanischen Sevilla an. Dort müssten die Weichen für Artemis 2024 gestellt werden, noch fehlt es aber an konkreten Zusagen. »Wir stehen in intensiven Diskussionen mit unseren internationalen Partnern«, sagt ESA-Chef Johann-Dietrich Wörner in Le Bourget. »Zunächst brauchen wir allerdings die Unterstützung aus unseren Mitgliedsstaaten.« Erschwerend kommt hinzu, dass die bislang vage angedachte europäische Beteiligung am Gateway – ein Wohn- sowie ein Kommunikations- und Tankmodul – in der neuen Miniversion nicht mehr auftauchen.

»Alle reden von einer Beteiligung an Artemis, aber der Einzige, der jetzt schon dabei ist, der Einzige, ohne den das Ganze nicht fliegt, ist Deutschland«Walther Pelzer

In Deutschlands Politik ist »Gateway« daher kaum ein Thema. Wer mit Walther Pelzer, Raumfahrtvorstand beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), spricht, hört stattdessen immer nur »ESM«: Das »Europäische Servicemodul« treibt Amerikas Orion-Kapsel an, die derzeit als bevorzugtes Raumschiff für die Artemis-Mission gilt. Und es wird gut zur Hälfte in Deutschland gebaut. »Alle reden von einer Beteiligung an Artemis, aber der Einzige, der jetzt schon dabei ist, der Einzige, ohne den das Ganze nicht fliegt, ist Deutschland«, sagt Pelzer in Le Bourget. »Es gibt kein Gateway ohne Orion. Es gibt kein Orion ohne das ESM. Und es gibt kein Servicemodul ohne Deutschland.«

Statt in ein Gateway zu investieren, wie immer es aussehen mag, würde Deutschland daher lieber beim ESM bleiben. Auch mit dem Hintergedanken, dass das Modul eines Tages die Fahrkarte für einen deutschen Astronauten zum Mond sein könnte – sicherlich nicht beim ersten, patriotisch aufgeladenen US-Flug 2024, aber vielleicht später. »Wenn wir es irgendwie hinbekommen, dann schießen wir Alexander Gerst auch noch auf den Mond«, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier bereits Mitte Mai bei einer Willkommensparty für den deutschen Raumfahrer.

Nur: Mit dem ESM bezahlt Europa derzeit seinen Anteil an den Betriebskosten der ISS, und die soll (geht es nach Deutschland) noch viele Jahre weiterfliegen. Das Modul ist also Eintrittskarte zur Raumstation. Soll es Europas Astronauten auch den Weg zum Mond ebnen, wäre deutlich mehr Geld nötig. Billig wird das nicht. Und es wird, räumt auch Altmaier ein, »sicherlich noch einige Kämpfe notwendig machen«.

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