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Robotik: "Die Begeisterung für Roboter ist hier einzigartig"

Mit Michael Mayer ist ein Deutscher in Osaka direkt an der Organisation des RoboCups 2005 beteiligt. Wir durften den Forscher einen Tag lang per E-Mail und Handy bei seinen Vorbereitungen begleiten.
Roboter der Humanoid League
Michael Mayer ist zurzeit ein gefragter Mann: "Meine Nachbarn haben mich schon wegen Eintrittskarten angesprochen." Keineswegs verwunderlich, denn Mayer lebt in Osaka, und hier freut man sich seit Wochen auf den RoboCup. Der Start zur neunten Auflage der offiziellen Fußball-Weltmeisterschaft der Roboter rückt immer näher. Der Deutsche forscht als Robotiker an der Universität der Millionenstadt und sorgt ehrenamtlich, zusammen mit insgesamt mehr als hundert lokalen und weltweit verteilten Helfern, dafür, dass die Meisterschaft der Maschinenkicker ab dem 13. Juli reibungslos über die Bühne geht. Das bedeutet für Mayer und seine Mitstreiter vor allem, dass sie derzeit wenig schlafen. Der RoboCup hat die Robotiker Osakas in den Ausnahmezustand versetzt.
Norbert Michael Mayer | 2002 ging Norbert Michael Mayer nach Kitakyushu auf der japanischen Südinsel Kyushu und erforschte für die damalige japanische Forschungslabor GMD, wie Roboter nach dem Vorbild von Menschen und Tieren lebensecht laufen lernen. Derzeit ist der 33-Jährige wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Osaka. Beim RoboCup 2005 kümmert er sich um die Fußball spielenden humanoiden Roboter. Bevor ihn die japanische Robotikszene nach Asien zog, studierte er Physik in Frankfurt am Main und promovierte anschließend am heutigen Max Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen.
Tristesse auf dem Weg zum Campus

An diesem Morgen macht sich der 33-Jährige um neun Uhr auf den Weg zum Campus, der eine halbe Autostunde von seiner Wohnung entfernt liegt. Der japanische Morgenhimmel hängt bleigrau über der Stadt. Es geht vorbei an Vororten, die ins Deutsche übersetzt Glühwürmchenteich oder Bergfeld heißen. "Von Teichen, Feldern, Bergen oder gar Glühwürmchen ist hier allerdings nichts zu sehen", sagt Mayer, der seit 2002 in Japan lebt, als er aus dem Seitenfenster blickt. Die Straße führt ihn an der riesigen Autobahn entlang, die Osaka mit der Hauptstadt Tokio und mit dem Westen Japans verbindet. Schmucklose Betonhochhäuser stehen dicht gedrängt aneinander. Doch nicht jedes Fleckchen Osakas ist derart betoniert. "In den Bergen im Norden gibt es Wälder, Wasserfälle und Schluchten. Wenn man etwas Glück hat, kann man sogar wilde Affen bestaunen", berichtet der wissenschaftliche Mitarbeiter. Gut, dass auch seine Universität am nördlichen Rand Osakas liegt.

Dösen im Meeting erlaubt

Michael Mayer gähnt leicht. Gestern Abend ist es spät geworden. Wie so häufig in den vergangenen Wochen, die nicht nur für ihn ganz im Zeichen der Vorbereitungen für den großen Wettbewerb stehen. Den "Senchans", einem der Teams der Universität Osaka, läuft die Zeit bis zum Turnierstart davon. Mayer ist Teil der Mannschaft, die aus zehn Robotikern, besteht und in der humanoiden Liga startet. "Wir mussten gestern noch den Treiber für das Funknetzwerk, mit dem die Roboter auf dem Platz untereinander kommunizieren, konfigurieren. Als ich das Labor dann um ein Uhr nachts verlassen habe, war ich aber bei weitem nicht der Letzte", entschuldigt Mayer seine Müdigkeit. Es sei in Japan überhaupt nicht ungewöhnlich, dass die ganze Nacht durchgearbeitet wird. "Da brennt rund um die Uhr das Licht. Und weil die U- und S-Bahnen schon gegen Mitternacht den Betrieb einstellen, schlafen die Studenten einfach im Labor auf der Couch." Wenn die schon besetzt ist, werde auch der Fußboden als Schlafplatz akzeptiert. Es steht sogar Bettwäsche zur Verfügung, die von der Sekretärin gewaschen wird. Die Folgen der nächtlichen Arbeit lassen sich am nächsten Tag beobachten. "Wenn jemand dann während eines Meetings auf seinem Sitz kurz für ein Nickerchen eindöst, wird darüber gerne hinweggesehen", erklärt Mayer mit einem Lachen.

Fünf Spieltage, 450 000 Zuschauer
Neuer Zuschauer-Rekord | In Osaka wird mit ungefähr 450 000 Besuchern ein neuer Rekord erwartet. Die alte Bestmarke stammt vom RoboCup 2002 in Fukuoka, ebenfalls in Japan. Das Bild zeigt eine Partie der Middle Size League vom Turnier vor drei Jahren.
Enthusiasmus und Erwartungen in Osaka sind groß. Die Region Kansai, zu der auch die nahe gelegenen Städte Kobe, Kyoto und Nara gehören, ist nicht ohne Grund als Spielort für den RoboCup 2005 ausgewählt worden. Zahlreiche Fans des Robo-Fußballs leben hier unter den 17 Millionen Menschen auf engem Raum. "Man merkt sofort, dass Japan nicht umsonst als Inbegriff der Automatisierung gilt. Die Begeisterung für Roboter ist hier einfach einzigartig. Etwa 450 000 Besucher werden insgesamt erwartet", betont der ehemalige Frankfurter Physikstudent stolz. Das würde die Zahlen des letzten japanischen RoboCups von 2002 in Fukuoka fast um das Vierfache übertreffen. Die meisten Zuschauer beim diesjährigen RoboCup werden von den vier Inseln Japans kommen. Die Ausrichter rechnen an den fünf Spieltagen mit etwa 1 000 Interessierten aus dem Ausland. In Europa sind diese Zahlen nicht vorstellbar. In Bremen kalkulieren die Veranstalter 2006 mit gerade einmal 30 000 Gästen.

Viele zusätzliche Roboter-Veranstaltungen

Vielleicht führen die beiden großen Roboter-Sondershows auf der zeitgleich stattfindenden Weltausstellung Expo in Aichi, unweit von Osaka, dazu, dass die Prognosen sogar noch übertroffen werden. Dazu kommen weitere Veranstaltungen rund um den RoboCup. Es gibt die Robotrex, eine Industriemesse für Robotics, und das Chararobo Event, bei dem verschiedene so genannte Anime Charaktere, Figuren aus japanischen Zeichentrickfilmen, zusammen mit Entertainmentrobotern auftreten. Die wenigen Einheimischen, die bislang noch nichts vom bevorstehenden Turnier mitbekommen haben, werden beim Gang oder der Fahrt durch die Metropole täglich durch einen Quadratmeter große Plakate auf den RoboCup hingewiesen. "In der Stadt hängen 750 davon an Orten, an denen täglich viele Menschen vorbeikommen. Das Fernsehen und die Zeitungen berichten über einzelne Teams", beschreibt Mayer die große Bedeutung des RoboCups, während er an einer der Werbeflächen vorbeifährt.

Ein teurer Spaß für Osaka

Mittlerweile ist Mayer am Campus angekommen. Vom Parkplatz geht er in das Gebäude der Fakultät für Ingenieurwesen. Auch hier sieht man etliche verschlafene Gesichter. In seinem Büro wartet gleich Arbeit. Ein Team aus Thailand fragt per Mail, ob es möglich sei, die Roboter von einem Computer extern über eine drahtlose Netzwerkschnittstelle zu betreiben. So gerne Mayer auch helfen würde, er kann es nicht. "Die Regeln sind in diesem Punkt eindeutig." Denn in der Humanoid League beim RoboCup gilt, dass die Roboter vollkommen autonom agieren müssen, also keinerlei Unterstützung durch Strom- oder Datenkabel von den Robotikern erhalten dürfen, sondern nur untereinander kommunizieren dürfen. Die Verwendung der Netzwerkschnittstelle ist nur für das Start- und Stoppsignal erlaubt.
Viele unterschiedliche Spielfelder | Fast jede Liga beim RoboCup hat ein unterschiedliches Spielfeld. Dementsprechend viel Platz benötigen die Veranstalter. Auf dem Bild ist das Spielfeld der Small Size League zu sehen. Hier spielen zwei Teams mit je vier Robotern auf einem sechs mal vier Meter großen Rechteck.
Mehr als 1,5 Millionen Euro Etat

In Osaka kümmern sich mehr als 20 Helfer des lokalen Organisationskomitees um die aufwändigen Vorbereitungen. Hinzu kommen noch einmal doppelt so viele Angestellte der Messegesellschaft und deren Subunternehmen, die sich um den Aufbau der Zuschauertribünen und Spielfelder kümmern. Das ist eine komplizierte Angelegenheit, denn jeder Wettbewerb hat seine eigenen Aufbauten. Das größte Spielfeld hat die Middle Size League mit neun mal fünf Metern. Doch nicht nur vor Ort laufen die Vorarbeiten auf Hochtouren. In der ganzen Welt verstreut befinden sich etwa 60 ehrenamtliche Helfer, die in den einzelnen teilnehmenden Ländern für die Organisation sorgen. Entsprechend hoch ist der finanzielle Aufwand für den RoboCup 2005. "Um die 1,5 Millionen Euro beträgt der diesjährige Etat, der größtenteils von der Stadt Osaka getragen wird. Der Rest verteilt sich auf eine ganze Reihe einheimischer Sponsoren", erklärt Mayer.

Ganz ohne gewohnte Nachtschichten

Wie umfassend die Planung und Umsetzung solch eines Großereignisses ist, merkt der Forscher besonders, wenn sich die Mitglieder des lokalen Organisationskomitees zusammensetzen. "Dort werden alle möglichen Dinge diskutiert: von der Zahl der Trophäen und Teilnehmer, über die Ausstattung, Beleuchtung, Pressearbeit, Sponsorenwünsche bis hin zu den problematischen Öffnungszeiten der RoboCup-Halle." Die schließt nämlich bereits um 21 Uhr, sodass die gewohnten Nachtschichten der Teams dieses Mal ausfallen müssen. Das wird nicht das einzige Problem bleiben. "Viele Knackpunkte erkennt man leider erst kurz vor dem Start beim Aufbau", klagt Mayer. Da der Austragungsort zuvor noch durch andere Veranstaltungen genutzt wird, kann der eigentliche Aufbau erst zwei Tage vor Turnieranpfiff beginnen.

"Das Netzwerk wird öfter zusammenbrechen"

Aus Erfahrung weiß der ehemalige Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts in Göttingen, dass manche Teams kurz vor Beginn noch neue Mitglieder anmelden wollen, für die dann auf die Schnelle Visa aufgetrieben werden müssen. "Das bedeutet vor allem bei den Teilnehmern aus dem Iran viel Geduld." Manche Hindernisse tauchen sogar erst während der Wettbewerbe auf. Das betrifft vor allem die so genannten Accesspunkte, die die Signale für das drahtlose Netzwerk, die unter anderem von der Humanoid League, der Klasse der menschenähnlichen, zweibeinigen Roboter, zur Datenübertragung zwischen den Robotern auf dem Feld genutzt werden. "Das Netzwerk wird wegen Überbelastung wahrscheinlich öfter zusammenbrechen", beschreibt Mayer die Erfahrungen früherer RoboCups. Keine Schwierigkeiten dagegen wird es mit der Unterbringung der Mannschaften geben. Direkt auf dem Messegelände gibt es einige große Hotels. Von dort können die Teams bequem zu Fuß zur Halle laufen.
Humanoid League | Die Spiele in der Humanoid League sehen dem menschlichen Fußballspiel schon sehr ähnlich. Das große Ziel der RoboCup Federation ist es, im Jahr 2050 mit einem Team aus elf humanoiden, also menschenähnlichen Robotern, den amtierenden Weltmeister zu besiegen. Michael Mayer ist beim RoboCup in Osaka im „Technical Committee" für die Organisation dieser Liga verantwortlich.
"Natürlich bin ich aufgeregt"

Bis zum Abschluss des RoboCups wird Michael Mayer weiterhin im Stress bleiben. Trotzdem bleibt ihm ein wenig Zeit, um sich auf die Spiele wie ein normaler Robo-Anhänger zu freuen. Besonders fiebert er bei der humanoiden Liga mit. "Nicht nur weil ich für die Organisation dieses Wettbewerbes mit 20 Teams verantwortlich bin, sondern auch, weil ich hier die meisten Überraschungen bezüglich Strategie und Bauweise der Roboter erwarte." Durch Regeländerungen hat sich dort im Vergleich zu den vorherigen Turnieren viel verändert. "In diesem Jahr werden wir richtige Spiele haben und von dem, was man so hört, wird es sehr spannend." Als äußerst interessant bezeichnet er die Liga der Rettungsroboter: "Gerade im erdbeben- und taifungefährdeten Japan werden solche Roboter in Zukunft eine große Rolle spielen. Hier erwarte ich ein paar raffinierte Ideen, wie Hindernisse überwunden und Menschen gerettet werden können." Während er so redet, vergisst er fast, wie viel noch zu tun ist. "Natürlich bin ich auch aufgeregt und hoffe, dass toi-toi-toi alles klappt." Wenigstens heute läuft alles nach Plan. Keine schwer wiegenden Probleme, keine Nachtschicht. Und die Karten für die Nachbarn hat er auch besorgt.

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