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Bonpflicht: Wohin mit dem Kassenbon?

Früher hieß es: Bons gehören in den Restmüll, sie enthielten giftiges Bisphenol A. Nun ist der Stoff verboten, doch Fachleute raten immer noch von einer Entsorgung im Altpapier ab.
Die Bonpflicht führt zu mehr Abfall. Gehört er ins Altpapier oder in den Restmüll?

In deutschen Geschäften sammeln sich seit Beginn des Jahres täglich dermaßen viele Kassenbons, dass Kioskbetreiber und Supermarktleiter mit ihnen geradezu Wände tapezieren könnten. 2020 brachte gleich zwei neue Regelungen, die tägliche Routinen rund um die knittrigen Kassenzettel durcheinanderbringen: Eine Bonpflicht für jeden Einkauf – ob es sich nur um ein paar Kaugummis, ein Brötchen oder einen Großeinkauf für die ganze Familie handelt. Und Bonrollen müssen künftig so gut wie frei von der Chemikalie Bisphenol A sein, kurz BPA.

Da kaum jemand einen Bon für eine Kugel Eis oder einen Coffee to go abheften möchte, wird fortan sehr viel BPA-freier Müll im Umlauf sein. Doch wohin damit? Bislang galt, Kassenbons gehören nicht ins Altpapier, sondern eher in den Restmüll, damit Bisphenol A nicht über das Papierrecycling in Körper und Umwelt gelangen kann. Hat sich die Empfehlung geändert, weil der Grund für die Restmüllempfehlung wegfällt? Eher nicht, sagt das Umweltbundesamt (UBA), obwohl es mittlerweile gute Alternativen gibt.

Über die Bons gelangte giftiges Bisphenol A in den Körper

Chemikalien wie Bisphenol A sind nötig, weil sie blitzschnell und ohne Druckertinte eine Rechnung auf dem Kassenzettel sichtbar machen: Ein Drucker erhitzt die gewünschte Stelle auf dem Thermopapier, eine dadurch angestoßene chemische Reaktion lässt die Schrift erscheinen. Das Prinzip ist praktisch, hatte allerdings schon immer ein Problem. Nahmen das Verkaufspersonal oder Kunden die Belege in die Hand oder berührten sie damit Lebensmittel, gelangten BPA-Rückstände auf ihre Haut und in das Essen und auf diesem Weg ein giftiger Stoff in ihren Körper.

Zudem war es bisher weder Mensch noch Maschine möglich, das unerwünschte Thermopapier restlos aus den täglich produzierten Altpapierbergen zu sortieren. Daraus allerdings wird unter anderem Toilettenpapier hergestellt. BPA-Reste konnten also erst ins Abwassersystem geraten und anschließend in die Umwelt.

Jahrelang hatten Gesundheitsexpertinnen und Umweltschützer vor den Folgen einer zu hohen BPA-Belastung gewarnt. Die Europäische Union reagierte: Seit 2011 darf BPA EU-weit nicht mehr in Babyflaschen enthalten sein. Im Jahr 2016 kündigte die EU-Kommission an, dass der Stoff ab dem 2. Januar 2020 auch auf Thermopapier nahezu verboten ist: Seine Konzentration im Papier darf einer EU-Verordnung zufolge einen Papieranteil von 0,02 Gewichtsprozent nicht übersteigen. Ein handelsübliches Thermopapier enthält ungefähr die 50- bis 100-fache Menge. In vielen Kunststoffen ist die Chemikalie immer noch erlaubt, zum Beispiel in Lebensmittel- oder Getränkedosen.

BPA bringt Hormonsystem durcheinander

Wegen seiner chemischen Struktur kann Bisphenol A das Hormonsystem von Menschen und Tieren durcheinanderbringen. Sie ähnelt der des weiblichen Sexualhormons Östrogen. Hormone sind Botenstoffe, die viele, sehr komplexe Prozesse im Körper steuern: Sie docken an spezielle Strukturen von Zellen, die Rezeptoren, und lösen auf diesem Weg Reaktionen in einem Körperorgan aus. Östrogen fördert zum Beispiel das Reifen von weiblichen Geschlechtsorganen, beeinflusst den Menstruationszyklus und hat auch sonst viele Stoffwechselaufgaben. Weil Bisphenol A dem natürlichen Hormon so ähnlich ist, kann es an die gleichen Rezeptoren binden und damit wichtige Prozesse im Körper blockieren oder ungewollte Reaktionen auslösen.

Forscher der US-amerikanischen Tulane University zeigten 2012, dass hohe Dosen Bisphenol A die Bildung männlicher Geschlechtsmerkmale von Karpfenfischen beeinträchtigen, sie erschienen weiblicher. Außerdem bewirkte die Chemikalie, dass sich Männchen und Weibchen unterschiedlicher Karpfenarten miteinander paarten – sie zeugten Hybride, Mischlinge zweier Arten.

Beim Menschen wurde eine hohe BPA-Belastung in US-amerikanischen Studien mit der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht. Zudem fanden Forschende der Universität Neapel Hinweise für einen Zusammenhang mit krankhaften Veränderungen der Gebärmutterschleimhaut bei Frauen. Allerdings ist das bisher nicht mehr als ein Verdacht. Endgültige Beweise gibt es nicht, gerade weil die giftige Wirkung bisher meist nur unter Laborbedingungen und an Tieren nachgewiesen wurde. Die Mengen an Bisphenol A, die Menschen alltäglich aufnehmen, seien meist zu gering, um wirklich schädlich zu sein, heißt es in einem umfassenden Bericht von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA aus dem Jahr 2015. Daran, dass BPA in höheren Dosen schädlich sein könnte, zweifelt auch die Lebensmittelbehörde nicht.

Neues Gesundheitsrisiko: Bisphenol S

Im Jahr 2020 ist zumindest dieses Problem gelöst. Kassenbons in der gesamten Europäischen Union sind so gut wie BPA-frei. Also ab damit in die Altpapiertonne? Nein, sagt das Umweltbundesamt in einer Stellungnahme an »Spektrum.de«. Denn spätestens mit dem Verbot von BPA mussten Hersteller von Kassenzettelrollen nach Alternativen suchen und fanden andere Phenole, zum Beispiel Bisphenol S.

Laut einer Analyse der Europäischen Chemikalienagentur ECHA ist Bisphenol S als BPA-Ersatz in Thermopapier beliebt: Etwa ein Fünftel des Papiers in der EU, also knapp mehr als 100 000 Tonnen, wurde im Jahr 2018 mit Hilfe von BPS hergestellt. Zahlen, die zeigen, wie viel BPS heute im Thermopapier enthalten ist, lieferte die Agentur nicht. Doch es ist wahrscheinlich, dass Bisphenol S einer der wichtigsten BPA-Ersatzstoffe bleiben wird.

Die Ähnlichkeit von BPS zu seinem chemischen Vetter BPA ist für Hersteller von Thermopapier nützlich, könnte sich aber auf Kassenbons zu einem neuen Umwelt- und Gesundheitsproblem entwickeln. Denn Bisphenol S steht unter dem Verdacht, ähnliche Schäden anzurichten wie Bisphenol A. Etwa lieferte eine Studie des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit Hinweise dafür, dass Bisphenol S neben anderen Phenolen hormonell wirken kann, wenn auch nicht so stark wie Bisphenol A. Auch ein Versuch von Forschenden aus Australien und Iran, die Zebrafische 75 Tage lang in BPS-haltigem Wasser hielten, zeigten Parallelen: Schwammen die Tiere in belastetem Wasser, hatten sie häufiger Wachstumsstörungen als ihre Artgenossen in einem sauberen Aquarium. Außerdem bekamen sie weniger Nachwuchs und der Anteil von weiblichen Fischen lag erkennbar höher. Darüber hinaus ist bisher nur wenig über die Wirkung von BPS bekannt. Was es im menschlichen Körper anrichtet, ist noch größtenteils unerforscht. Die Europäische Chemikalienbehörde ECHA überprüft dennoch aktuell, ob Bisphenol S in Thermopapier ebenfalls verboten werden sollte.

»Wir empfehlen deshalb aus Vorsorgegründen, alle Thermopapiere mit dem Restmüll zu entsorgen«Almut Reichart, Umweltbundesamt

Bis sie zu einer Entscheidung kommt, mahnen Fachleute auch in der Frage nach der richtigen Entsorgung zur Vorsicht. »Bisher haben nicht alle Hersteller von Thermopapieren ihre Farbentwickler auf phenolfreie Produkte umgestellt«, sagt Almut Reichart, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Umweltbundesamt mit Schwerpunkt Zellstoff- und Papierindustrie. In den meisten Fällen könnten Verbraucherinnen und Verbraucher die phenolhaltigen Papiere nicht von phenolfreien unterscheiden. »Wir empfehlen deshalb aus Vorsorgegründen, alle Thermopapiere mit dem Restmüll zu entsorgen.«

Die Alternative ist blau

Dabei haben Hersteller schon längst Wege gefunden, mit handelsüblichen Kassendruckern phenolfrei zu drucken. Das bekannteste Produkt nennt sich Blue4est und verwendet FSC-zertifiziertes Papier aus nachhaltiger Waldwirtschaft und kommt ohne Farbentwickler aus. Das Papier ist mit zwei verschiedenfarbigen Lagen beschichtet. Durch die Hitze des Druckers wird die obere blaugraue Schicht transparent, so dass die untere schwarze sichtbar wird. Mit einem Ziel: Es kann dem Hersteller zufolge bedenkenlos im Altpapier entsorgt werden.

Auch Umweltexpertin Almut Reichart bewertet das blaue Papier positiv. Es habe voraussichtlich keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt und das Papierrecycling. »Hier wurde das Recycling konsequent mitgedacht.« Die Lebensmittelhändler EDEKA und Netto geben an, auf die umweltfreundlichen Papiere umgestiegen zu sein. Auch in Biomärkten kommen die blauen Bons oft schon zum Einsatz.

Eine weitere Alternative sei am Rand erwähnt: E-Bons. Rewe bietet mittlerweile an, Rechnungen nach dem Einkauf per Mail an seine Kunden zu schicken. Sie ließen sich dann – ganz ohne Müll trennen zu müssen – im virtuellen Papierkorb entsorgen. Kassenbons in Papierform hingegen werden immer eine Belastung für die Umwelt sein. Egal ob fälschlicherweise im Altpapier entsorgt oder wie empfohlen im Restmüll verbrannt.

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