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Europas Genpool: Europas Ureinwohner haben sich bunt gemischt

Laktase-Enzym

Die Europäer sind spätestens seit der mittleren Steinzeit ein bunt gemischtes Völkchen: Zu den alteingesessenen, womöglich häufig recht dunkelhäutigen und blauäugigen Jägern gesellten sich im ausgehenden Mesolithikum eher hellhäutige, braunäugige Bauern aus dem Mittleren Osten; zudem steuerte aber auch eine bislang von der Wissenschaft eher übersehene Gruppe aus dem euroasiatischen Norden Erbgut zu unserem Genpool bei. Solche Schlussfolgerungen lassen aus den bislang ältesten analysierten DNA-Spuren von Europäern ziehen, die von Johannes Krause von der Universität Tübingen und seinen Kollegen nun in einer Vorveröffentlichung vorgestellt wurden. Die Forscher hatten die bis zu 8000 Jahre alten Erbgutbruchstücke aus den Überresten von neun prähistorischen Menschen aus verschiedenen Regionen Europas isoliert und mit modernem europäischem Erbgut verglichen.

Europa: Genmix aus Bauern und Jägern

Die Forscher sequenzierten das alte Erbgut eines vor etwa 7500 Jahren verstorbenen Menschen der frühagrarischen Bandkeramikkultur, der in der Nähe von Stuttgart beerdigt war; sowie die DNA des "Ältesten Luxemburgers" aus der Loschbour-Fundstelle, des 8000 Jahre alten Vertreters einer mittelsteinzeitlichen Jäger-und-Sammler-Kultur. Zudem analysierten die Forscher mehrere Männer und Frauen einer südschwedischen Wildbeutergruppe aus derselben Epoche in der mittleren Steinzeit.

Laktasepersistenz im Vergleich | Nur ein Drittel der Menschheit kann auch im Erwachsenenalter Milchzucker mit dem Enzym Laktase verdauen. In Europa liegt die Zahl weitaus höher (dunkelblau) als andernorts.

Neben Einzelheiten zu der wahrscheinlichen Haut- und Haarfarbe der Individuen liefern die Genanalysen auch Hinweise auf Ernährung, Lebensweise und Herkunft der verschiedenen Populationen im alten Europa. So trugen weder der mesolithische Wildbeuter aus Luxemburg noch der jungsteinzeitliche Bauer aus Schwaben die Genveränderung für Laktose-Intoleranz, die gerade in Europa heute weit verbreitet ist. Vor Kurzem erst hatten Forscher schon mit der allzu vereinfachten Vorstellung aufgeräumt, dass sich die genetisch verankerte Toleranz gegenüber Milchzucker auch sofort mit der Ausbreitung der Milchviehwirtschaft flächendeckend durchgesetzt haben muss. Vielmehr könnten in einer längeren Übergangszeit frühe Bauern – wie etwa der nahe Stuttgart gefundene Bandkeramiker – von laktosefreien fermentierten Produkten aus der Milchviehhaltung wie Käse oder Jogurt profitiert haben. Zudem zeigten die Analysen, dass auch vor der Agrarrevolution der Jungsteinzeit in Europa schon das AMY1-Gen häufig war, welches in unserem Speichel für den Abbau von Stärke verantwortlich ist. Auch dieses Gen verdankt seinen Erfolg demnach nicht etwa der Nahrungsumstellung im Zuge des Wechsels zur Landwirtschaft.

Ötzi und andere europäische Mischlinge

In den vergangenen acht Jahrtausenden haben sich in Europa vor allem drei genetisch voneinander unterscheidbare Populationen – die alten Wildbeuterkulturen, die später aus dem Südosten eingewanderten Bauern und eine nordische Gruppe – im heutigen Genpool Europas vermischt, wie der Vergleich der alten mit modernen Sequenzen zeigt. Der Luxemburger Fund gesellt sich genetisch zu Jägern aus Spanien, die rund 1000 Jahre später gelebt haben. Noch später lebten die Linearbandkeramiker und steuerten ihr Erbgut bei; ihre Vorfahren wanderten aus dem Mittleren Osten zu. Ihre typische genetische Signatur findet sich etwa bei dem nun analysierten Mann aus Schwaben, aber auch im Erbgut der Tiroler Eismumie Ötzi oder bei den Vertretern der Trichterbecherkultur, die vor rund 5000 Jahren lebten.

Eine Sonderrolle zwischen den alten, westeuropäischen Genen und den neuen Signaturen von typischen Bauern mit Ahnen im Mittleren Osten nimmt eine bislang nur vage gefasste nordeuropäisch-asiatische Population ein, zu denen Krause und Co die von ihnen analysierten Menschen aus dem Skandinavien des Mesolithikums zählen. Genetisch ähneln diese den Menschen der Grübchenkeramischen Kultur, die allerdings erst Jahrtausende später im Norden Europas parallel zu den Bauern der Trichterbecherkultur lebten. Archäologen sehen in den Grübchenkeramikern schon seit Längerem ein kulturelles Überbleibsel aus dem Mesolithikum.

Die Genanalyse bestätigt nun, dass die nordische Population einen nicht unerheblichen Beitrag zu Europas Gengemisch geleistet hat. Zudem enthüllt sie weiter in die Vergangenheit weisende Verwandtschaftsbeziehungen der Europäer – etwa zu Menschen der Altsteinzeit, die vor 24 000 Jahren in Sibirien gelebt haben und ähnliche Gensignaturen trugen. Diese alten Asiaten wiederum waren auch Vorfahren der Menschen, die Amerika besiedelten und dabei dann asiatisch-"europäische" Gene auf den neuen Kontinent trugen.

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