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News: Die Energielandschaft parallel im Blick

Anziehend, abstoßend oder neutral - was in unserer Welt gilt, danach richten sich auch Moleküle. Daher ist die Ladungsverteilung auf deren Oberfläche sehr interessant, beeinflusst sie doch, wer mit wem wann und wo reagiert. Mit einem neuen Verfahren konnten Forscher nun das Auflösungsvermögen für solche simulierten Energielandschaften erheblich steigern. Und auch die bisherige Grenze für die Molekülgröße ist gefallen: Die Forscher verteilten die Rechenaufgabe auf mehrere parallel arbeitende Prozessoren und fügten die Ergebnisse hinterher wie ein Puzzle zusammen.
Das Äußere großer Moleküle ist eine Berg-und-Tal-Landschaft – und zwar nicht nur topographisch, sondern auch elektrostatisch. Positiv und negativ geladene Regionen wechseln sich ab mit unpolaren Abschnitten. Für Wissenschaftler ist diese Ladungsverteilung besonders interessant, da sie bestimmt, wo sich andere Stoffe anlagern und wie sie miteinander wechselwirken. Und in der feuchten Welt der Zelle oder mancher Reagenzgläser fühlen sich besonders auch die Wassermoleküle hingezogen oder abgestoßen.

Diese energetische Landschaft zu simulieren, ist eine schwere Aufgabe. Forscher können hierfür auf die Poisson-Boltzmann-Gleichung zurückgreifen, mit der sie das Lösungsmittel letztendlich als eine Art riesige Ladungswolke um das Molekül – bespielsweise ein Protein – betrachten. Das Molekül wie das Lösungsmittel werden in der Regel in einem kartesischen Koordinatensystem dargestellt. Mittels verschiedener numerischer Methoden wie beispielsweise dem Mehrgitterverfahren berechnen Computer die Lösungen der Gleichung für einzelne Koordinatenpunkte. Die zusammengefügten Ergebnisse ergeben dann ein Maschennetz der elektrostatischen Verteilung.

Doch diese mathematische Annäherung stößt in den biologischen Größenordnungen an ihre Grenzen: Bei 50 000 Atomen ist Schluss, da selbst moderne, leistungsfähige Computer den Rechenaufwand nicht mehr bewältigen können.

Aber man muss das ganze Problem ja nicht auf einmal lösen, dachten sich Andrew McCammon und seine Mitarbeiter von der University of California in San Diego. Eine theoretische Arbeit ihrer Universitätskollegen Randolph Bank und Michael Holst inspirierte sie dazu – die beiden Mathematiker hatten gezeigt, dass eine Problemlösung von recht niedriger Genauigkeit dazu geeignet ist, im folgenden einzelne Unterbereiche des Problems mit größerer Genauigkeit zu betrachten. Warum also ein Protein als Ganzes betrachten? Warum nicht für einzelne Molekülabschnitte die elektrostatische Verteilung simulieren und dann wie ein Puzzle die Einzelstücke zusammensetzen?

Gesagt, getan. Die Wissenschaftler setzten mehrere Parallelrechner ein, um den riesigen Rechenaufwand in kleine Häppchen zu zerlegen. Jeder Prozessor konnte sich nun um einen Teil des Proteins kümmern, ohne auf die Ergebnisse der anderen warten zu müssen. Aus den Einzelergebnissen, die nur ein recht grobes Raster repräsentierten, konstruierten die Forscher dann die jeweiligen Randbedingungen der aneinanderstoßenden und überlappenden Datennetze. So konnten sie sich auf ein viel kleineres Problem innerhalb der von einem Prozessor errechneten groben Maschen konzentrieren und in größerer Auflösung darstellen.

Sie demonstrierten ihr Verfahren an zwei wichtigen Bestandteilen der Zelle: Mikrotubuli, langen, röhrenartigen Strukturen, die als Stützgerüst und Transportvehikel dienen, sowie Ribosomen, in denen Aminosäuren zu Proteinen aufgefädelt werden. Dabei konnten sie mit ihrem parallelen Ansatz das Auflösungsvermögen auf 0,5 Ångstrom erhöhen. Für die Mikrotubuli benötigte der verwendete Parallelrechner weniger als eine Stunde, wobei er auf 686 Prozessoren zugriff. Nach der alten Methode, so kalkulierten McCammon und seine Mitarbeiter, hätte ein Computer mindestens das 350fache an Zeit und Speicherplatz gebraucht.

Die detaillierte Karte der Energielandschaft bot denn auch einige Neuigkeiten. So weist das Modell des 1,25 Millionen Atome – und damit 90 Proteineinheiten – umfassenden Mikrotubulus auf der überwiegend negativ geladenen Oberseite einige positiv geladene Inseln auf. Die Forscher vermuten, dass ein solches Mosaik potenzielle Bindungsstellen für Medikamente wie Taxol oder Colchicin darstellen könnte, während die negative Ladung wohl für den Transport zuständig ist. Außerdem war die elektrostatische Verteilung an den Enden jeweils unterschiedlich, was wichtige Hinweise für die Stabilität der Mikrotubuli liefern könnte, erklärt Nathan Baker aus der Arbeitsgruppe. Und auf der kleinen Untereinheit des Ribosoms entdeckten die Forscher ein Gebiet, das womöglich daran beteiligt ist, die Transfer-RNA und die Boten-RNA während der Translation zu stabilisieren.

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