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News: Die Grenzen des Wachstums

Wie in der Wirtschaft weisen hohe Wachstumsraten auch in der Biologie zunächst auf gesunde Verhältnisse hin. Doch unbeschränktes Wachstum endet tödlich. Damit sie nicht zusammenbrechen, müssen Lebensgemeinschaften ihre Dichte rechtzeitig regulieren. Manche Arten, wie das Ziesel, zeigen dabei extreme Schwankungen ihrer Populationsdichte. Kanadische Wissenschaftler haben jetzt die Regulationsmechanismen dieser Kleinsäuger näher untersucht.
Im Labormaßstab ist meist alles ganz einfach: Eine Bakterienkultur in der Petrischale wächst zunächst exponentiell, dann flacht die Kurve langsam ab, und die Anzahl der Zellen ändert sich nicht mehr im Laufe der Zeit. Die Wirklichkeit ist jedoch komplizierter. Zwar findet man auch in "freier Wildbahn" solche typischen logistischen Wachstumskurven, meist zeigen die Populationen jedoch mehr oder weniger starke Schwankungen ihrer Dichte. Gerade bei Kleinsäugern der nördlichen Tundragebiete – sprichwörtlich sind hier die Lemminge – treten extreme Populationsschwankungen in regelmäßigen Zyklen auf. Auch beim Ziesel (Spermophilus parryii plesius) in Kanada schwankt die Populationsdichte innerhalb eines Zehnjahresrhythmus um das Dreifache.

Tim Karels und Rudy Boonstra von der University of Toronto in Scarborough haben sich die kleinen Nagetiere näher angeschaut. Um den Einfluss von Nahrung und Räubern auf die Lebensgemeinschaft zu testen, untersuchten sie vier verschiedene Populationen: Die erste Gruppe war vor Räubern durch einen elektrischen Zaun geschützt, die zweite wurde regelmäßig gefüttert, die dritte erhielt gleichzeitig Schutz vor Räubern und Futter und die vierte diente – ohne diese Vorzüge – als Kontrollgruppe.

Die bevorzugten Populationen nahmen daraufhin stark zu. Der Räuberausschluss hatte dabei die geringste Wirkung, die Population verdoppelte sich "nur". Die gefütterte Gruppe verzehnfachte sich, genossen die Ziesel beide Vorzüge, dann vermehrten sie sich um das Zwanzigfache (Nature vom 23. November 2000).

Jetzt wollten die Forscher wissen, was passiert, wenn sie wieder Räuber zuließen und die Fütterungen einstellten. "In den Populationen mit hoher Dichte – die auftrat, als die Ziesel sowohl Schutz als auch Futter hatten – beobachteten wir zuerst, dass die Weibchen die Reproduktion stoppten," erzählt Karels. "Sie wurden trächtig, unterbrachen aber die Reproduktion irgendwann zwischen Trächtigkeit und dem Zeitpunkt, bei dem die Jungen normalerweise nach der Entwöhnung aus dem Bau auftauchen." Offensichtlich unterbrechen die Weibchen die Fortpflanzung, um so ihre eigene Überlebenschancen bei den härter gewordenen Bedingungen zu steigern. "Tiere können ihre Reproduktionsrate in Abhängigkeit von bestimmten Umweltbedingungen steuern", erläutert der Forscher weiter, "und eine dieser Umweltbedingungen ist die Populationsdichte." Mit Hilfe dieser dichteabhängigen Regulation ihrer Fortpflanzung schaffen es die Ziesel, starke Populationsschwankungen durch zufällige Ereignisse – wie strenge oder milde Winter – zu dämpfen. Doch auch diese Selbstregulation schützt die Zieselpopulationen nicht vor starken Schwankungen. Nachdem eine Gruppe ihr Areal fast kahl gefressen hatten, überlebten 93 Prozent der scheinbar gesunden Tiere den nächsten Winterschlaf nicht. Wahrscheinlich reichte das angefressene Fettpolster für die Überwinterung nicht aus.

"Keine Population wächst ohne Grenzen", fasst Boonstra die Ergebnisse zusammen. "Die zentrale Frage der Populationsökologie ist: Was reguliert ihre Zahl? Und die Antwort ist oft: Die Population selbst."

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