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News: Die großen Sprünge einer kleinen Krabbe

Auf Jamaika lebt eine Krabbenart, die ihr gesamtes Leben an Land verbringt. Sie ist klein und zart gebaut und betreibt außergewöhnlich aufwendige Brutpflege. Am bemerkenswertesten aber ist die Geschwindigkeit, mit der sich die Baumkrabbe von ihren großen, robusten Verwandten aus dem Meer wegentwickelt hat.
"Diese sehr ungewöhnlichen Krabben sind mehr als jede andere Krabbenart mit dem Land verbunden. Sie leben in kleinen Regenwasserbecken in Ananasgewächsen, die auf den Zweigen von Tropenbäumen wachsen", sagt S. Blair Hedges, Evolutionsbiologe von der Penn State University und Mitglied eines internationalen Forscherteams, zu dem auch Christoph D. Schubart von der University of Southwestern Louisiana und Rudolf Diesel von der Universität Bielefeld gehören. Die winzigen Krabben sind weniger als 2,5 cm groß und dünn genug, um sich zwischen den Blättern im unteren Bereich der Pflanzen hindurch zu zwängen, wo sich das Regenwasser ansammelt. Den Forschern zufolge, sind diese Krabben bei weitem die aufmerksamsten Mütter aller bekannten Krabbenarten. Als einzige füttern und umsorgen sie ihre Larven und Jungtiere in den Monaten, die sie in ihrem Regenwasser-Heim verbringen, aktiv. "Die Mutterkrabbe verbessert die Wasserqualität, indem sie Trümmer entfernt und Sauerstoff durch Zirkulation hinzufügt. Sie transportiert ferner leere Schneckengehäuse ins Wasser, um den pH-Wert abzupuffern und Calcium hinzuzufügen", sagt Hedges.

Da sich die Krabbe in Aussehen und Verhalten so sehr von anderen Arten unterscheidet, die den Ozean bewohnen, glaubten die Wissenschaftler, daß viel Zeit vergangen sein muß, seit sie sich aus gemeinsamen Vorfahren entwickelt haben. Sie schätzten, es hätte annähernd 50 Millionen Jahre gedauert. Andere Biologen waren der Ansicht, daß die kleine Krabbe vielleicht auf irgendeinem Wege aus Südostasien oder Indonesien eingewandert sein könnte. Dort gibt es ebenfalls einige Süßwasserarten, die sich um ihre Jungen kümmern, wenn auch nicht so außergewöhnlich intensiv wie die jamaikanische Krabbe. "Wir entschlossen uns herauszufinden, wie nah die Landkrabben Jamaikas mit anderen Spezies verwandt sind und wann sie auf die Insel gekommen sind. Dazu haben wir ihre Gene studiert", erzählt Hedges. "Wir fanden heraus, daß die Ananas-bewohnende Krabbe – und ebenso die anderen acht Spezies der jamaikanischen Landkrabben – nicht mit den Krabben auf der anderen Seite der Welt verwandt sind. Stattdessen sind sie erst vor kurzem, vor nur 4 Millionen Jahren, aus einem gemeinsamen, im Wasser lebenden jamaikanischen Vorfahren hervorgegangen." Die Ergebnisse wurden am 28. Mai 1998 in Nature veröffentlicht.

Insgesamt 22 Krabbenarten von Jamaika und umliegenden Gebieten, inklusive Venezuela und Panama, sammelte Schubart und brachte sie Hedges, um sie genetisch untersuchen zu lassen. Die Vergleiche stützen sich auf zwei Gene mit über eintausend Basenpaaren – genug, um statistisch signifikant nachweisen zu können, daß alle terrestrischen jamaikanischen Krabben eine einzige Gruppe bilden, meinen die Forscher.

Die in der Studie untersuchten Gene haben während ihrer Evolution mit einer relativ konstanten Rate Mutationen angesammelt, so daß die Forscher die Veränderungen wie das Ticken einer molekularen Uhr ansehen. Mit diesem Zeitmesser konnten sie die Geschichte einer jeden einzelnen Krabbenart bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgen. Sobald sich aus einem gemeinsamen Vorläufer zwei neue Arten gebildet haben, sammeln diese unterschiedliche Mutationen an. Deren Anzahl läßt auf den Zeitpunkt schließen, zu dem die Spezies entstanden sind.

Die Wissenschaftler kalibrierten die molekulare Uhr anhand eines evolutiven Ereignisses, das durch geologische Studien zeitlich genau eingeordnet werden kann: das Schließen der panamaischen Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika vor 3,1 Millionen Jahren. Dadurch wurden die im Wasser lebenden Krabben in zwei Gruppen geteilt wurden. Eine lebte auf der karibischen Seite Panamas, die andere auf der pazifischen Seite. Mit diesem Datum als sicherem Bezugspunkt sowie der Mutationsrate der beiden Gene als Zeitmaßstab konnten die Forscher feststellen, wann jede der 22 Krabbenspezies ihren Ursprung nahm.

"Wir entdeckten, daß die Evolution dieser jamaikanischen Landkrabben erst vor 4 Millionen Jahren begann und damit ziemlich schnell verlief", erläutert Hedges. "Das ergibt durchaus einen Sinn, denn es stimmt mit einer Phase in Jamaikas geologischer Geschichte überein, in der das Land ausreichend aus dem Meer emporgestiegen war. So ergaben sich für die ursprüngliche Meereskrabbe neue ökologische Nischen, die daraufhin mit der Entwicklung von Strategien für ein dauerhaftes Landleben begann."

Ferner stellten die Wissenschaftler fest, wie eng die 22 Arten untereinander verwandt sind, indem sie die Ähnlichkeiten der DNA-Sequenzen miteinander verglichen. "Wir fanden heraus, daß der nächste Verwandte der jamaikanischen Landkrabben eine jamaikanische Meereskrabbe ist", sagt Hedges.

"Jamaikanische Landkrabben sehen ganz anders als ihre Artgenossen aus dem Meer aus, und sie verhalten sich auch völlig unterschiedlich. Dennoch verlief ihre Evolution nur so lange getrennt wie jene der beiden Gruppen von Meereskrabben – und die sind fast identisch geblieben", erzählt Hedges. "Eine derartig schnelle Anpassung an eine neue ökologische Nische ist in der Natur nicht alltäglich. Dennoch ist offensichtlich genau dies bei den jamaikanischen Krabben viel zügiger gegangen, als wir es für möglich gehalten hatten."

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