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News: Die guten Seiten des bösen Buben

Seit der Erkenntnis, daß die meisten Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre durch Infektionen mit dem Keim Helicobacter pylori verursacht werden, gilt dieses Bakterium als 'Bösewicht' schlechthin. Wird es nämlich durch eine Antibiotika-Behandlung beseitigt, heilen die Geschwüre ab. Doch der Satz 'Nur ein toter Helicobacter ist ein guter Helicobacter' gilt seit kurzem nur noch eingeschränkt. Wahrscheinlich schützt der Keim nämlich die Menschen vor dem schweren Sodbrennen (Reflux-Ösophagitis).
Der Wissenschaftler, der auf die guten Seiten des Helicobacter pylori hinweist, ist der Wiener Univ.-Prof. Dr. Enno Hentschel. Er hat vor Jahren in einer wissenschaftlichen Studie im New England Journal of Medicine Helicobacter als häufigsten Grund für Ulcus-Leiden identifiziert (Abstract). Dahinter folgt dann die häufige Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika (entzündungshemmende Medikamente), die selbst die Magen- bzw. Zwölffingerdarmwand schädigen.

Gigantisch ist die Zahl der Helicobacter pylori-Infektionen. Der Gastroenterologe: "Etwa dreizig bis vierzig Prozent der Bevölkerung sind mit Helicobacter-Infektion behaftet." Da aber nicht alle diese Menschen Magen- bzw. Zwölffingerdarmgeschwüre bekommen, stellt sich die Frage, warum manche Menschen anfällig sind, andere wieder nicht.

Der Grund dafür: Es gibt unterschiedlich aggressive Helicobacter pylori-Stämme. Jene mit VacA- und CagA-Genen sind demnach besonders gefährlich. Hinzu kommt eine persönliche Veranlagung des Betroffenen. Menschen mit einem hohen Anteil an säureproduzierendem Gewebe im Magen sind für Geschwüre anfälliger als Menschen mit weniger "saurem" Magen.

Auch die verschiedensten Wirbeltierarten haben Helicobacter- Infektionen. Abgesehen vom Frettchen leiden sie aber nie an Magen- bzw. Zwölffingerdarmgeschwüren. Das führt zu der Überlegung, ob Helicobacter als einziger Keim, der im Magen überleben kann, nicht auch eine positive Funktion hat.

Hentschel: "Die Magensäure hat wenig mit der Verdauung zu tun. Sonst würden ja Menschen, denen man den Magen chirurgisch entfernt hat, Nahrung nicht verdauen können. Die Magensäure ist vielmehr eine Blockade für Bakterien, die mit der Nahrung in den Körper kommen können." Die Vorfahren des Menschen waren ja auch Aasfresser, der Magen sollte also die Nahrung "desinfizieren".

Umgekehrt führt aber ein "übersäuerter Magen" mit einem Rückstrom in die Speiseröhre zum quälenden Sodbrennen bzw. zur Reflux Ösophagitis. Und hier könnte Helicobacter pylori auf eine noch unbekannte Weise eine Schutzfunktion ausüben. Der Gastroenterologe: "Ulcus-Patienten, bei denen man Helicobacter pylori mit einer Eradikationsbehandlung (Säurehemmer und Antibiotika, Anm.) beseitigt hat, leiden später häufiger an Reflux-Ösophagitis."

International wird jedenfalls seit der Einführung dieser Behandlung auch ein starkes Ansteigen der Fälle von Speiseröhren-Karzinomen registriert, was wiederum mit dem "Sodbrennen" in Zusammenhang stehen könnte. Das schränkt aber den Wert der Behandung zur Ausrottung des Helicobacter nicht ein. Schon mit einem Behandlungszyklus von einer Woche unter Verwendung von Protonenpumpen-Hemmern oder Wismut-Salzen und zwei Antibiotika (Clarithromycin und Amoxicillin oder Metronidazol) lassen sich Heilungsraten (Magen-, Zwölffingerdarmgeschwüre) von 90 Prozent erzielen.

Noch vor einigen Jahren – vor der Antibiotika-Therapie gegen Helicobacter – litten hingegen Millionen Patienten an chronischen Magengeschwüren, die nur phasenweise und unter Dauermedikation abheilten. Hentschel weist darauf hin: "Heute treten Rückfälle nur in den seltenen Fällen auf, in denen sich Patienten erneut mit Helicobacter infizieren."

Allerdings wird Helicobacter international immer häufiger gegen die Antibiotika resistent. In Europa sprechen zwischen 14 und 50 Prozent nicht mehr auf Metronidazol an. In den USA wird eine Resistenzentwicklung gegen Clarithromycin beobachtet (sieben Prozent).

Eine Revolution kündigt sich bei der zweithäufigsten Ursache von Magengeschwüren als Nebenwirkung einer Langzeitbehandlung mit Rheumamedikamenten (nichtsteroidale Antirheumatika – NSAR: Ibubrufen, Diclofenac, ASS, Indometacin, Piroxicam etc.) an. Sie lösen die Geschwüre aus, weil sie neben der "bösen" und im Rahmen von Entzündungen entstehenden Cyclo-Oxygenase-2 (COX-2) auch die magenschützende Cyclo-Oxygenase-1 (COX-1) hemmen.

"Würde man 100 Personen mit ständigem Antirheumatika-Gebrauch untersuchen, würde man 13 Magengeschwüre und elf Zwölffingerdarmgeschwüre (auch ohne Symptome, Anm.) entdecken", meint Henschel. Während beispielsweise Diclofenac das Ulcus-Risiko verdopple bis vervierfache, steige das Risiko bei Verwendung von Ketoprofen auf das 20- bis 30fache. Freilich, niemand schluckt diese Medikamente, ohne dafür einen Grund zu haben.

Doch in nächster Zukunft wird es Antirheumatika geben, die wesentlich wirksamer und nebenwirkungsärmer sein werden. Der Gastroenterologe weist auf neuere Entwicklungen hin: "Erst im Dezember vergangenen Jahres wurde in den USA die Substanz Celecoxib von der Arzneimittelbehörde FDA zugelassen. Sie hemmt (als antientzündliche Substanz, Anm.) COX-1 überhaupt nicht, sondern nur COX-2. In wissenschaftlichen Studienkonnte man zeigen, daß damit das Risiko von Magengeschwüren (als Nebenwirkung, Anm.) um den Faktor 10 sinkt."

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