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News: Die 'juristische' Streitkultur der Rittersleute

Wer glaubt, daß unsere Vorfahren im Mittelalter in einer Gemeinschaft ohne Recht und Gesetz lebten, wird jetzt eines Besseren belehrt. Bis ins 15. und 17. Jahrhundert bewiesen sie eine gewisse Streitkultur und entwickelten mit dem Fehdewesen eine eigene Form der rechtlichen Selbsthilfe.
Zu dieser Erkenntnis kamen jetzt der Jurist Professor Dr. Dr. Günter Jerouschek und der Historiker PD Dr. Andreas Blauert von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, nachdem sie mehrere Tausend Fehdezeugnisse und Urfehden in Fehdebüchern und Sammlungen Mitteldeutschlands analysiert haben.

In der heutigen Zeit hat die "Fehde" im allgemeinen Sprachgebrauch nur als Ausdruck für Streit oder kriegerische Auseinandersetzung überlebt; allenfalls wirft man den berühmten Fehdehandschuh, um einem Widersacher den Kampf oder ein Duell anzusagen. Im Mittelalter galt eine Fehde jedoch als offizielle Form zwischen Städten, Adeligen oder verfeindeten Personen, ihren Streit oder ihre Rache untereinander rechtsförmlich auszutragen und weitere Räubereien und Morde zu vermeiden. "Eine staatliche Rechtsprechung existierte zu jener Zeit noch nicht, da sich die Trennung von Obrigkeit und Untertan und damit die Bildung eines Staates erst langsam herauszubilden begann", erläutert Jerouschek. "Es gab also kein staatliches Gewaltmonopol."

So hatten die Menschen im Mittelalter drei Motive, die sie zur Selbsthilfe und damit zur Fehdeführung zwangen: Entweder war einer Person auf friedlichem Wege ihr Recht verweigert worden, oder die Ritter hatten Städte und Dörfer beraubt, oder Adlige wollten ihre Machtposition erweitern. Wurde eine Stadt sehr häufig von Raubrittern heimgesucht, die plünderten, brandschatzten und mordeten, beschlossen die damaligen Stadtväter einen Rachefeldzug, also eine Fehde. Zuvor versammelten sie Freunde und Helfer um sich und planten die genaue Vorgehensweise. "Bevor jedoch der eigentliche Streit beginnen durfte, mußten in einem Fehdebrief der Absender, der Gegner, der Grund der Fehde und die "Ehrbewahrung" genannt werden", erklärt der Historiker Blauert. Erst dadurch wurde eine Auseinandersetzung zur Fehdehandlung, die keine Wiedergutmachungsforderungen nach sich ziehen konnte.

Nachdem ein Fehdeführender seinem Gegner den Streit mit diesem Brief formell angekündigt hatte, mußten noch ein bis drei Tage verstreichen, ehe die Konfrontation beginnen durfte. Dann waren in den meisten Fällen die Bauern die Leidtragenden: Sie wurden gefangengenommen oder getötet, ihre Häuser wurden ausgeraubt und verbrannt, das Vieh wurde weggetrieben, die Äcker zerstört. Nur selten belagerten die Vertreter der Städte ganze Raubritterburgen und schossen sie "sturmreif".

Nachdem die Fehdehandlungen beendet waren, schlossen die beiden Parteien einen "Friedensvertrag". In einer kunstvollen Urkunde, dem Urfehdbrief, nannten sie nochmals den Grund für die Fehde und trafen weitere Vereinbarungen: "Manchmal versuchten die Städte einfach, die Ritter mit ihrem Militär in den militärischen Schutzdienst der Stadt zu integrieren. Diesem Vorgehen lag ein recht logischer Grundsatz zugrunde – wer mein Dienstmann ist, kann nicht mein Feind sein", erläutert Blauert. "So diente die Fehdeführung im 15. Und 16. Jahrhundert für die Fürsten, Adligen und Städte als Mittel, ihre politischen und ökonomischen Interessen zu verfolgen und zugleich ihre Ehre zu bewahren."

Gleichzeitig mußten Untertanen, die wegen eines Deliktes inhaftiert und schließlich infolge "Mangels an Beweisen" wieder freigelassen worden waren, ihrer Obrigkeit den Racheverzicht für die erlittene Folter, Haft oder Strafverfolgung schwören. Dieser "Urfehd"-Eid war nötig, weil die Fronten zwischen den Mächtigen und ihren Untergebenen noch nicht eindeutig geklärt waren, also einer dem anderen nicht trauen konnte. Erst im 17. und 18. Jahrhundert mußten die Untertanen diesen Schwur nicht mehr leisten. Zu jener Zeit hatte sich der Staat soweit gebildet, daß auch die Machtverteilung klar wurde: "Das Volk wurde gezähmt und unter die Knute des Staates gezwungen. Die Macht lag bei den Landesherren, und es entstand eine öffentliche Gerichtsbarkeit. Damit war kein Bedarf mehr für diese besondere Umgangsform zwischen Richter und Verurteiltem", führt Jerouschek aus. "Wir sehen in der Entwicklung des Urfehdewesens einen schönen Spiegel für die Staatsbildungsprozesse hier in Mitteldeutschland."

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