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Gifttier der Superlative: Die längsten Giftmischer der Erde

Das längste Tier der Welt ist auch noch unerwartet giftig - und taugt damit womöglich als biologische Insektizidfabrik. Aber wozu braucht der Wurm sein Gift eigentlich?
Dies ist ein Schnurwurm. Ja, nur einer.

Der in den Ozeanen der Nordhemisphäre heimische Schnurwurm Lineus longissimus bewirbt sich seit geraumer Zeit beim "Guinessbuch der Rekorde" mit durchschnittlich 30 Metern Körperspanne um den Titel "längstes Tier der Welt": Ein angespültes Exemplar soll mit 55 Metern die ernsthaftesten Konkurrenten aus der Gruppe der Staatsquallen endgültig ausgestochen haben. Sonst war über die Biologie der langen Schnurwürmer bisher wenig bekannt: Unter anderem wurde übersehen, über welch potentes Gift Lineus longissimus verfügt, schreiben nun Schnurwurmexperten um Ulf Göransson von der schwedischen Universität Uppsala in "Scientific Reports".

Die Forscher hatten das Gift im Labor untersucht, das an den Strand angespülte Exemplare in größere Schleimmengen mischen, sobald sie sich geärgert fühlen. Man wusste bereits, dass die Toxine im Schleim Krebsen gefährlich werden können. Göransson und Kollegen wollten nun mehr erfahren. Tatsächlich lähmt und tötet das aus dem Toxincocktail isolierte Hauptgift, ein Peptid, aber nicht nur die gemeine Strandkrabbe (Carcinus maenas), sondern auch allerlei Insekten wie etwa die Argentinische Waldschabe, die die Forscher gerade als beliebtes Futtertier zufällig im Labor hatten und erfolgreich mit Schnurwurm-Toxin vergifteten.

Dabei ist der Wirkmechanismus des Gifts biochemisch und toxikologisch interessant: Es dockt an die Natriumkanäle der Zellmembranen des Opfers an und hält sie für kurze Zeit geöffnet – was rasch zu einer Lähmung führt. Dabei wirkt das Gift auf verschiedene Wirbellose ähnlich: Sowohl der Deutschen Schabe (Blattella germanica), der Taufliege (Drosophila melanogaster) als auch der Varroamilbe (Varroa destructor), dem bekannten Bienenschädling, konnte das Toxin den Garaus machen. An größeren Organismen wie Säugetieren haben die Forscher es noch nicht getestet. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind hier aber selbst bei einer hohen Dosis keine bleibenden Schäden zu erwarten, weil das auf die Natriumkanäle von Wirbellosen spezialisierte Gift die Ionentransporter nur eine gewisse kurze Zeit arretiert.

Demnach dürfte sich das Gift des marinen Schnurwurms als für Mensch und Nutztier unschädliches Breitband-Insektizid eignen, vermuten die Forscher, die nun in weitere Untersuchungen einsteigen wollen. Unklar bleibt im Übrigen, wozu der Schnurwurm sein Toxin eigentlich in freier Wildbahn einsetzt. Die Forscher vermuten einen sehr speziellen Einsatzzweck, gerade weil hier nur ein bestimmtes Gift ziemlich spezifisch wirkt – und nicht mehrere in diversen Varianten vorkommen wie etwa die Spezial-Giftwaffen von Kegelschnecken. Vielleicht lohnt es sich, noch viele weitere Schnurwürmer auch toxikologisch unter die Lupe zu nehmen, meinen die Wissenschaftler: Bisher seien gerade einmal 17 Spezies untersucht, nur eineinhalb Prozent aller beschriebenen Schnurwurmarten.

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