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News: Die Monsternager von Alt-Amazonien

In längst verschwundenen Fluss-Systemen Südamerikas grasten einst riesige Nagetiere - ein Lebensentwurf, der offenbar zum Scheitern verurteilt war.
Tierliebenden Foto-Touristen ist Südamerika sehr zu empfehlen: Von Lamas über Alligatoren, Riesenschildkröten und Brüllaffen bis hin zu Anakondas bietet der Kontinent einiges an attraktiven Motiven. Worüber man aber oft nach wenigen Metern einer amazonischen Paddeltour zuallererst stolpert, ist für Uneingeweihte nicht weniger bizarr: schafsgroße Kreuzungen aus Wildschwein und Meerschweinchen mit abgestumpfter, mümmelnder Nasenpartie und vorstehenden Nagerzähnen – Capybaras, die Wasserschweine.

Diese halbaquatischen Südamerikaner sind tatsächlich überdimensionierte Meerschweinchenverwandte und ihreszeichens die größten Nagetiere der Erde – heutzutage. Fast mickrig erscheinen die wuchtigen Capybaras aber im Vergleich zu jenem ausgestorbenen Nagetier-Giganten, dessen fossile Knochen ein Team um Marcelo Sánchez-Villagra von der Universität Tübingen im Norden Südamerikas entdeckte. Phoberomys pattersoni, so der Name des ausgestorbenen Großnagerfundes, brachte im Miozän vor rund acht Millionen Jahren wohl etwa 700 Kilogramm auf die Waage und erreichte die Dimensionen eines ausgewachsenen Wasserbüffels. Er lebte wohl auch ähnlich, wie Anatomie und Zahnstruktur nahe legen: friedlich grasend an und im Fluss.

Was den Wissenschaftlern ein paar Fragen aufgibt. Zum einen: Welcher Fluss? Die Fundregion liegt in einer eher trockenen Region Venezuelas, beherbergte aber, wie umgebende Fossilfunde andeuten, offensichtlich in den Zeiten des Nager-Giganten eine feuchtgrüne Tropenzone voller Süßwasserfische und Krokodile. Die Forscher sehen darin nun Belege einer bislang noch unbestätigten Theorie zur erdgeschichtlichen Vergangenheit Südamerikas, nach der einst ein gigantisches Fluss-System – der Paläo-Orinoco-Amazonas – den Kontinent parallel zu den Anden in Nord-Süd-Richtung durchströmte.

Der altertümliche Amazonas-Vorläufer verschwand im Laufe der Jahrmillionen, und ebenso weltweit pflanzenfressende Riesennager wie Phoberomys pattersoni. Eigentlich merkwürdig, wo doch die Gruppe der Nager – zu denen etwa Mäuse und Ratten zählen oder Hörnchen und Biber – auch heutzutage sehr erfolgreich ist. Und im Allgemeinen hatte sich in der Evolution durchaus auch die Organisations-Nische "körperlich großer Pflanzenfresser" bewährt, siehe etwa die Modellreihe "Pferd".

Gerade bei Pflanzenfressern – deren Nahrung im Magen erst von Cellulose-zerlegenden Bakterien verdaut werden und so zugänglich gemacht werden muss – sollten sich große Mägen und somit große Körper unter dem Strich als energieeffizienter erweisen, meint etwa McNeill Alexander von der University of Leeds. Warum also waren Großnager chancenlos außerhalb Südamerikas, dessen eigenständige Fauna sich über Jahrmillionen konkurrenzlos unabhängig entwickeln konnte – bevor vor rund drei Millionen Jahren die neu entstandene mittelamerikanische Landbrücke zu Nordamerika die Isolation beendete? Und warum starben die Riesennager auch im Süden des Kontinents aus – wo doch andere, kleinere Vertreter ihrer südamerikanischen Cavimorpha-Großfamilie, etwa die Meerschweinchen, dort durchaus gediehen?

Offenbar, so mutmaßt Alexander, bedingte den Untergang der Riesennager eine einzigartig unausgewogene Kombination von Vorzügen und Makeln. So erwies sich für moderne Nager wie Ratten und Mäuse etwa als Erfolgsrezept, möglichst klein und unscheinbar zu sein, um jederzeit vor Fraßfeinden in gute Verstecke ausweichen zu können. Für große, energieeffizient verdauende Pflanzenfresser wurde sinnvoll, schnell und ausdauernd fliehen zu können – wie Pferd oder Antilope. Die Riesennager waren offenbar zu beiden Strategien nicht in der Lage, sondern blieben lediglich effiziente Futterverwerter – zu wenig offenbar, um im Wettkampf der Evolutionskonzepte letztlich wettbewerbsfähig zu bleiben.

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