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Rohstoffe: Die nächsten Öl-Krisen

Auf der Suche nach neuen Ölquellen sind längst auch einzigartige Nationalparks ins Visier der Industrie gelangt. Das ist ein verheerendes Signal, meint Daniel Lingenhöhl.
Daniel Lingenhöhl

Es war ein Angebot an die Weltgemeinschaft: Zahlt einen Teil des Verdienstausfalls – und wir belassen dafür das Erdöl unter dem Regenwald des Yasuní-Nationalparks. Verschiedene Studien hatten bereits gezeigt, dass diese Region im ecuadorianischen Amazonasbecken zu den artenreichsten Gebieten der Welt zählt. Zudem beheimatet das Schutzgebiet verschiedene indigene Völker, die in freiwilliger Isolation leben. Doch die Initiative des ecuadorianischen Präsidenten scheiterte. Statt der erwarteten 3,6 Milliarden Dollar (verteilt auf 13 Jahre) sagten verschiedene Nationen insgesamt nur knapp 340 Millionen Dollar zu – tatsächlich in den Fonds einbezahlt wurde sogar noch weniger. Mittlerweile rollen die Planierraupen, und neue Straßen dringen mitten in das Zentrum des Nationalparks vor.

Gleichzeitig markiert Yasuní einen bedenklichen Trend: Staatliche wie private Ölfirmen werfen zunehmend einen begehrlichen Blick auf Reserven, die sich unter eigentlich geschütztem Land befinden. Seit Jahren schwelt beispielsweise der Streit, ob im Arctic National Wildlife Refuge in Alaska nach Öl gebohrt werden soll oder nicht. Sobald die US-amerikanischen Ölpreise steigen, wird auch der Ruf nach einer Freigabe des Naturschutzgebiets lauter. In Afrika wiederum sucht der britische Konzern SOCO im Virunga-Nationalpark nach Erdöl – im ältesten Schutzgebiet des Kontinents, das berühmt ist für seine Berggorillas. Weitere Fälle betreffen unter anderem Belize, Peru, die indonesische Provinz Papua, die Meeresreservate im pazifischen Korallendreieck (dem wohl artenreichsten Meeresgebiet der Erde) und allein 42 Nationalparks in den USA.

Für diese "Kronjuwelen" des Naturschutzes sind das schlechte Nachrichten. Die nötigen Straßen sind Türöffner für Jäger, Holzfäller und neue Siedler; eine solche Entwicklung zeigte sich schon in vielen Gebieten im westlichen Amazonien, die für die Rohstoffgewinnung "erschlossen" wurden. Ecuador steht hierfür exemplarisch, denn große Regionen in seinem Amazonasgebiet leiden noch unter den Spätfolgen der Ölförderung durch Texaco, die in den 1960er Jahren begann und bis heute andauert: Immer wieder verseuchten Leckagen Flüsse und Seen mit Öl; noch heute finden sich morastige Ölsümpfe im Dschungel, die eigentlich von dem Ölunternehmen beseitigt werden müssten. Wegen der Umweltschäden wurde Chevron, das Texaco übernommen hat, zur Zahlung einer Milliardenstrafe verurteilt.

Noch verheerender wirkte sich die Erschließung auf den Waldbestand aus, denn mit den Straßen kam die Landwirtschaft, für die große Flächen gerodet wurden. Wilderer erhielten erleichterten Zugang, um Tiere wie Großkatzen, Hirsche, Wildschweine oder Vögel zu jagen. Zudem verschreckten Explosionen die Fauna: Mit den Sprengungen löst man seismische Wellen aus, mit denen man die unterirdischen Lagerstätten aufspürt und abmisst. Und verschiedene indigene Völker wurden an den Rand gedrängt, eines verschwand im Zuge der Exploration sogar völlig: Die Sansahuari existieren nur noch als Name eines Ölfelds.

Angesichts der Fördermengen, die beispielsweise unter dem Yasuní-Block und anderen Reservaten liegen, muss man sich ohnehin fragen, warum diese Naturschutzgebiete geopfert werden sollen: Die geschätzten 920 Millionen Barrel aus dem Yasuní würden den Weltbedarf nur für elf Tage decken. Im gesamten Albertine-Grabenbruch in Ostafrika, zu dem Virunga gehört, sollen es immerhin 2,5 Milliarden Barrell sein, von denen allerdings nur ein kleiner Teil auf den Nationalpark selbst entfällt. Förderkonzessionen bedecken mittlerweile 80 Prozent des Grabenbruchs und erstrecken sich neben Virunga noch auf weitere Schutzgebiete. Ebenfalls 80 Prozent des peruanischen Amazonasgebiets sind betroffen – wiederum inklusive verschiedener Reservate. Proteste gegen den erleichterten Zugang für Ölfirmen zu ihrem Land führten dort zu blutigen Scharmützeln zwischen Armee und Indigenen. Die Aktivitäten rund um die Ölexploration in Nationalparks verstoßen dabei meist nicht nur gegen nationale Umweltgesetze, sondern auch gegen internationale Vorgaben und Abkommen der Weltnaturschutzbehörde IUCN oder der Welterbekommission der Vereinten Nationen.

Natürlich muss man die ökonomischen Interessen der betroffenen Länder berücksichtigen, für die ein Export des Erdöls wertvolle Devisen einbringt oder der Verbrauch im Land Importabhängigkeiten und Handelsdefizite verringert. Beispiele wie das Camisea-Gasfeld in Peru zeigen, dass man durchaus die negativen Folgen für fragile Ökosysteme verringern kann, ohne auf die Förderung der Rohstoffe verzichten zu müssen: Die zentrale Pumpstation liegt wie eine Offshore-Bohrplattform isoliert im Regenwald – keine Straße führt hierher, weshalb es bislang zu keinen ökologischen Kollateralschäden gekommen ist. Doch Camisea gehört bislang zu den absoluten Ausnahmen, denn diese Art der Erschließung steigert die Kosten deutlich.

Ganz ohne Eingriffe kommt aber selbst Camisea nicht aus – und so muss auch diese Art der Förderung in Nationalparks wie Virunga oder Yasuní tabu bleiben. Die Ökosysteme sind einzigartige Laboratorien der Natur für zukünftige Generationen. Wenn selbst international höchst bedeutende Reservate wirtschaftlich ausgebeutet werden dürfen, ist zukünftig kein Park mehr vor kurzfristigen Interessen sicher: Eine Freigabe ist also ein verheerendes Signal. Deshalb dürfen die langfristigen Schutzziele nicht aufgegeben werden. Es kommt schließlich auch niemand auf die Idee, den Kölner Dom zu schleifen, weil er Steine für ein Bürohochhaus benötigt, oder die Mona Lisa in Papier umzuwandeln, um damit Werbeprospekte zu drucken. Wie diese Kunstschätze gehören die Nationalparks zum Welterbe der Menschheit – und müssen deshalb unberührt bleiben.

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