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Fledertiere: Die Phantomjagd der Virensucher

Wieder ist Ebola auf den Menschen übergesprungen. Und wieder wird man es Fledertieren in die Schuhe schieben. Dabei ist die Beweislage weit dürftiger, als viele meinen.
trinkende Fledermaus

Der kleine Nationalpark Kasanka im Nordosten Sambias misst gerade einmal knapp 400 Quadratkilometer. Sein Kernstück, ein rund 40 Hektar großer immergrüner Feigenwald, nimmt kaum mehr Platz ein als die Münchner Theresienwiese. Doch wer sich diesem Wald zwischen Oktober und Dezember nähert, der bemerkt ein gewaltiges Geräusch. »Wie das Rauschen eines großen Wasserfalls«, beschreibt es der niederländische Biologe Frank Willems. Die Quelle des Phänomens: Palmenflughunde aus allen Winkeln Zentralafrikas – und zwar Millionen von ihnen.

Das Fiepsen und Zwitschern der nachtaktiven Fledertierart verstummt plötzlich. Die Dämmerung hat eingesetzt, die Flughunde sind aufbruchbereit. Ihr Ziel sind die Früchte des Waldes, die wilden Feigen, Myrtenbeeren und Mispeln. Zu Zehntausenden steigen sie in die Luft, »still und graziös, mit leichten Schlägen ihrer Flügel, die 80 Zentimeter Spannweite haben«, erzählt Willems.

Keimschleuder oder Leidtragender? Flughund in Malaysia

Das Spektakel wiederholt sich für gut acht Wochen jeden Abend. »In der Spitzenzeit im November sind die Zahlen enorm. Es ist schwierig, präzise zu zählen, aber meiner Meinung nach sind zehn Millionen die realistischste Annahme«, erklärt der Niederländer, der von 2008 bis 2015 leitender Ökologe des Kasanka-Nationalparks war und nach eigenem Bekunden »sieben Jahre Zeit zum systematischen Zählen« hatte.

Kasanka steht damit der berühmten texanischen Bracken Cave kaum nach. Die Höhle im Süden der USA gilt als Heimat der größten Säugetierwanderung der Erde. Jeden Sommer finden sich hier Mexikanische Bulldoggfledermäuse zu einer Kolonie zusammen, deren Größe lange auf bis zu 20 Millionen Exemplare geschätzt wurde. Neue Kalkulationen deuten nun aber auf vielleicht nur gut zehn Millionen hin.

Bulldoggfledermaus in den Händen eines Forschers | Weil sie so einfach zu fangen sind, werden die Tiere überproportional oft untersucht. Und »wer suchet, der findet«, sagt Ökologe Fahr.

Es ist bezeichnend, dass in beiden Fällen Fledertiere den Spitzenrang einnehmen. Die nach den Nagetieren artenreichste Ordnung der Säugetiere umfasst mehr als 900, laut manchen Forschern sogar mehr als 1300 Arten. Die meisten davon zählen zur Untergruppe der Fledermäuse. Mit immerhin noch rund 200 Arten bilden die größeren und robuster gebauten Flughunde die kleinere Untergruppe der Fledertiere.

Beide legen sie enorme Distanzen zurück. 2005 verfolgte die amerikanische Biologin Heidi Richter von der University of Florida mit Hilfe von Satelliten die Flughunde von Kasanka bei ihrer Langstreckenwanderung – bis in den Norden Afrikas und das Kongobecken. Einer der Palmenflughunde flog über 2500 Kilometer weit, ehe sein Sender in der Demokratischen Republik Kongo verstummte. Doch die Satellitenverfolgung ist technisch anspruchsvoll. Das Woher und Wohin der geheimnisvollen Nachtgeschöpfe bleibt an vielen Stellen noch immer rätselhaft.

Gerechtfertigte Angst vor einem unheimlichen Geschöpf?

Was Forscher fasziniert, löst bei Laien mitunter Ängste aus. Gerade wenn wieder einmal Gerüchte die Runde machen, dass Fledertiere hinter dem Ausbruch tödlicher Krankheiten stecken. Schleppen die Fledertiere gefährliche Viren quer durch den Kontinent?

»Man hat den Eindruck, jedes Mal, wenn Forscher nachsehen, finden sie ein neues Virus in den Fledertieren«, sagt Benjamin Neuman, ein britischer Virologe an der Texas A&M University, der sich mit hämorrhagischen Fiebererkrankungen wie Ebola- und Marburgfieber oder auch mit Coronaviren befasst, die die Atemwegserkrankungen SARS und MERS verursachen. Allesamt schwere Krankheiten, bei deren Verbreitung Fledertiere eine Rolle spielen sollen.

Dennoch klagen Biologen über ein stark verzerrtes Bild der Tiere in der Öffentlichkeit. »Fledertiere sind im Moment der schädlichsten Medienkampagne seit über 30 Jahren ausgesetzt«, sagt Merlin Tuttle. Der Gründer der amerikanischen Fledertierschutzorganisation Bat Conservation International befasst sich mit den Tieren seit fast 60 Jahren. »Ich habe das alles schon einmal miterlebt. Als ich 1982 Bat Conservation gründete, glaubte die Mehrheit aller Amerikaner, dass Fledertiere meistens Tollwut hätten und angriffslustige, beißwütige Geschöpfe seien«, erinnert er sich. Es kostete Jahrzehnte der Aufklärungsarbeit, bis sich dieses Bild wandelte. Nun sieht sich Tuttle in die alten Zeiten zurückversetzt.

Wie jedes andere Säugetier auch, der Mensch eingeschlossen, kann ein Fledertier einige hundert Virenarten beherbergen. »Tiere und auch Menschen kommen mit ihren jeweiligen Viren und den daraus resultierenden Krankheiten eigentlich gut zurecht, denn die Immunsysteme haben gelernt, damit umzugehen«, erklärt Jakob Fahr, ein mit dem Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen assoziierter Ökologe. Die bloße Existenz eines Virus in einem Körper bedeute mitnichten, dass es zu einem Krankheitsausbruch kommt.

Gefährlich kann es vor allem dann werden, wenn es zu so genannten Zoonosen kommt. Eine Zoonose ist eine Infektionskrankheit, die von Tier auf Mensch oder von Mensch auf Tier überspringen kann. Etwa 200 Zoonosen sind bereits katalogisiert, die wohl bekannteste ist die Übertragung von Tollwut, besonders von Hund zu Mensch. »Von den hunderten Virenarten, die ein beliebiges Fledertier tragen kann, sind ohnehin schon einmal nur ein Dutzend vielleicht problematisch für den Menschen, in dem Sinne, dass sie auf ihn überspringen könnten«, erläutert Neuman. Dazu zählen viele, die sich nur schwer übertragen lassen und beim Menschen oft nicht einmal Symptome auslösen – aber auch die Viren von Ebola, Marburg, SARS, MERS und Tollwut.

»Die Palmenflughund-Kolonien wurden früher von Menschen in Ruhe gelassen. Jetzt werden sie zu Zielen«
Jakob Fahr

Wobei nur im Fall der Tollwut die Beweislage wirklich geklärt ist. Fledertiere sind Träger des Lyssavirus; wer von einem infizierten Tier gebissen wird, kann an Tollwut erkranken. Lange ging man davon aus, dass bei einem Fledertierbiss eine rund zehnprozentige Gefahr der Tollwutübertragung besteht. Doch eine Studie der University of Calgary fand bei einer arten- und ortsübergreifenden Studie den Erreger nur in einem Prozent der untersuchten Tiere. Da die Übertragung meistens durch Bisse oder Kratzer stattfindet und es in der westlichen Welt kaum noch regelmäßigen Kontakt zwischen Mensch und Fledertieren gibt, gilt die Gefahr im Allgemeinen als gering. In den USA sterben pro Jahr im Schnitt nur zwei Menschen an von Fledermäusen übertragener Tollwut. 99 Prozent aller Fälle weltweit gehen hingegen auf Hunde zurück.

Tollwut, Ebola, Marburg, SARS und MERS – hinter all diesen Infektionen sollen Fledertiere stecken

In Mittel- und Südamerika ist die Lage etwas anders. Hier leben die weltweit einzigen drei Fledermausarten, die sich von Blut ernähren, also nicht nur zum Zweck der Verteidigung beißen. In Ländern wie Brasilien kommt es darum häufiger als anderswo vor, dass ein Mensch von einer Fledermaus gebissen wird. Auch eine Übertragung der Tollwut durch die Fledermaus ist in diesen Ländern häufiger. Bemerkenswert ist, dass Mediziner in letzter Zeit einen Zuwachs an solchen Fällen verzeichnen.

Bei der Suche nach einer Erklärung dafür wird oft argumentiert, dass auch der Kontakt zwischen den beiden Spezies zugenommen habe. »Urbanisierung und Entwaldung« machte beispielsweise die britische Zeitung »The Independent« im Juni 2017 für die Zunahme an Fledertierangriffen verantwortlich. Doch nur dort, wo Dschungel dem Weideland weicht, zum Beispiel in Südamerika, trifft dies in beschränktem Maß zu. Die Urbanisierung habe sogar den gegenteiligen Effekt, erläutert Merlin Tuttle. Menschen hätten sich über Jahrtausende mit Fledertieren »zunächst Höhlen, später Hütten und schließlich Gebäude« geteilt, und nie sei es zu Epidemien gekommen. »Heutzutage schließen wir mit modernen Bauweisen die Tiere von unseren Leben zumeist völlig aus«, so Tuttle.

Die Dämonisierung beginnt zu schaden | Nilflughunde tragen das Marburgvirus in sich. In Uganda vernichteten Minenarbeiter darum eine Kolonie. Das Resultat: Die Tiere kehrten kränker zurück.

Schwieriger ist die Faktenlage, was die Erreger hämorrhagischer Fieber angeht. Vor allem bei Ebola debattieren Wissenschaftler heftig über die Rolle der Fledertiere. Dabei spielt auch die Migration der Palmenflughunde nach Kasanka eine Rolle.

Obwohl der Krankheitsverlauf grausam ist, mit hohem Fieber sowie Blutungen der inneren Organe, und laut Weltgesundheitsorganisation in 25 bis 90 Prozent der Fälle tödlich endet, spielte Ebola in der weltweiten Wahrnehmung lange keine allzu große Rolle. Insgesamt etwas mehr als 1000 Todesfälle wurden bis 2013 meistens in entlegenen afrikanischen Dörfern verzeichnet. Das änderte sich im Dezember 2013, als es in drei westafrikanischen Ländern zu den ersten großflächigen Ausbrüchen kam, die sich zu einer Epidemie mit schätzungsweise über 28 000 Erkrankten entwickelten. Infizierte erreichten Europa und die USA. Bis zum erklärten Ende der Epidemie in Westafrika Anfang 2016 starben mehr als 11 000 Menschen. Der jüngste Ausbruch der Krankheit datiert auf Anfang Mai 2018. In der Demokratischen Republik Kongo steckten sich bislang einige Dutzend Menschen an, mehr als 26 Patienten erlagen der Krankheit bereits.

Milliarden für die Virusjagd

Der Schock von 2014 erzeugte Handlungsdruck bei den Industrienationen. Wissenschaftlern wurden mit einem Mal Millionengelder zur Verfügung gestellt, um der aufkeimenden Panik in der Bevölkerung beizukommen. Der US-Kongress stellte allein der medizinischen Forschungsbehörde CDC für die Jahre 2015 bis 2019 einen Etat von 1,77 Milliarden Dollar für Ebolaforschung bereit. Fördertöpfe dieser Größenordnung brachten eine ganze Generation von Virenjägern hervor, darunter viele, die sich nach Afrika aufmachten und nach der Quelle der Infektion fahndeten.

Denn um die Gefahr, die von der Krankheit ausgeht, zu quantifizieren und womöglich künftige Ausbrüche verhindern zu können, ist es von entscheidender Bedeutung, das Reservoir zu kennen: die ökologische Nische, in der der Erreger nach einem Krankheitsausbruch überdauert und von wo aus er zurückkehrt. Oft ist ein Tier das Reservoir, das geraume Zeit mit dem Erreger lebt und die Infektion in der Regel überlebt. Und obgleich Virologen seit Langem Fledertiere als Reservoirwirt für Ebola verdächtigen, ist die Sache weniger klar, als viele meinen.

Bekannt ist, dass Menschen, Affen, Antilopen, Schweine und auch Fledertiere das Ebolavirus in sich tragen können. Erste Hinweise auf die besondere Rolle der Flughunde lieferten 2005 Forscher um Eric Leroy in der Fachzeitschrift »Nature«. Dort veröffentlichten sie die Ergebnisse ihrer Untersuchung von Ebolaausbrüchen zwischen 2001 und 2003 in Gabun und Kongo-Brazzaville. Die Wissenschaftler hatten mehr als 1000 Nager, Vögel und Fledertiere gefangen und auf eine Ebolainfektion hin untersucht. Hinweise auf symptomfrei verlaufende Ebolainfektionen entdeckten sie nur bei Flughunden von drei verschiedenen Arten. Aus den Ergebnissen schlussfolgerten sie, dass die Tiere das Reservoir sein können. Einen eindeutigen Beweis dafür lieferten sie jedoch nicht.

Bei der Epidemie von 2014 standen dann zunächst Palmenflughunde unter Verdacht. Ein Bericht der National Institutes of Health, der US-Gesundheitsbehörden, führte den Ausbruch in Westafrika auf einen zweijährigen Jungen zurück, der angeblich mit einem Palmenflughund in Guinea in Verbindung gekommen war. Der Kreis der Verdächtigen erweiterte sich schließlich auf Fledermäuse, als deutsche Forscher um Fabian Leendertz vom Robert Koch-Institut in Berlin den Weg des Zweijährigen zu einem hohlen Baum mit einer Kolonie von Angola-Bulldoggfledermäusen zurückverfolgten. Doch wie die Forscher in ihrer 2015 im Journal »EMBO Molecular Medicine« veröffentlichten Untersuchung schreiben, erbrachten sie damit neue Verdachtsmomente, nicht aber einen Beweis für die Rolle der Tiere. Zumal das Ebolavirus in den Fledermäusen der Gegend des Ausbruchs nie nachgewiesen wurde – weder in dieser noch in einem Dutzend weiterer Arten, wie Tuttle betont.

Sind Flughunde das Ebolareservoir – oder nur unbeteiligte Dritte?

Scheinbar eindeutiger war die Sache bei Flughunden, die der japanische Virologe Ayato Takada untersuchte. Der Forscher beschäftigt sich seit gut 20 Jahren mit Ebola. Die Spekulationen über eine Verbindung zu den Palmenflughunden führten ihn schließlich nach Kasanka, wo er über einen Zeitraum von sieben Jahren insgesamt 748 Palmenflughunde untersuchte, die Teil der Kasanka-Migration waren. 2015 veröffentlichte das Team von der Universität Hokkaido die Ergebnisse. Tatsächlich wiesen rund zehn Prozent aller Proben Antikörper auf, die »nahelegen, dass die Tiere in der Vergangenheit, während der Migration, infiziert worden waren«, berichtet Takada. Mehr noch, es zeigte sich ein auffälliges Muster: Immer, wenn es zu Ebolaausbrüchen unter Menschen kam, wiesen die Flughunde passende Antikörper gegen jenen Ebolastamm auf, der gerade aktiv war.

Landstraße in der DR Kongo | Die Ausbreitung des Menschen in einst waldreiche Gebiete bringt Mensch und Wildtier womöglich näher zusammen, als beiden guttut.

Allerdings, erläutert Takada selbst, würden seine Ergebnisse keine Unterscheidung zulassen, ob die Flughunde das Reservoir seien oder ihrerseits nur infiziert worden waren. »Es ist möglich, dass Fledertiere nur Zwischenwirte für das Virus sind.« Nach seiner Einschätzung könnten die Palmenflughunde auf ihrem Weg von und nach Kasanka in Kontakt mit dem Reservoir gelangen.

Auch sonst ist es bemerkenswert, dass der Virologe nicht wie so viele seiner Kollegen der Reservoir-These folgt: »Das Zaire-Ebolavirus, das momentan in Afrika wohl dominant ist, konnte nur ein einziges Mal in Fledertieren nachgewiesen werden, und das trotz massiver Forschungsbemühungen inklusive unserer eigenen«, sagt Takada. Bei einem Reservoir hätte dies öfter geschehen müssen.

Auch die Virologin Siv Aina Jensen Leendertz, ebenfalls vom Berliner Robert Koch-Institut, fordert ihre Fachkollegen zu einer kritischen Betrachtung der Fledertier-These auf. Dabei verweist sie besonders auf den Umstand, dass alle Ebolavirusarten bei ihrer Ausbreitung verschiedenen Flussbetten zu folgen scheinen, was eher auf ein wasserlebendes Reservoir deute als auf die hochgradig mobilen Fledertiere. »Viele ökologische Aspekte von Flüssen, die Schlüsselfaktoren für Virenausbrüche sein könnten, sind noch nicht in Erwägung gezogen worden«, schreibt Leendertz in ihrem im Januar 2016 in der Fachzeitschrift »Viruses« veröffentlichten Beitrag.

Auch bei den Coronaviren dreht sich die Reservoirdebatte um Fledertiere. Hier geht es vor allem um die von Coronaviren verursachten Atemwegserkrankungen SARS und MERS. SARS, eine Art atypische Lungenentzündung, hatte besonders 2002 und 2003 für Schlagzeilen gesorgt, als eine von Asien ausgehende Epidemie knapp 1000 Menschenleben forderte.

Vermeintlich eindeutige Belege dafür, dass Fledertiere an ihrer Übertragung beteiligt sind, erschienen im Juni 2017 im Fachmagazin »Virus Evolution«: Fast zehn Prozent der Fledertiere, die ein Wissenschaftlerteam untersuchte, trugen Coronaviren, während der Prozentsatz für die anderen Arten – Affen und Nagetiere – bei unter einem Prozent lag. Die Forscher um Erstautor Simon Anthony, einen Virologen von der Columbia University in New York, sahen es dadurch als erwiesen an, dass Fledertiere das Reservoir dieser Viren seien.

Vorsicht vor verendeten Tieren | Ein Schild im Kongo warnt die Menschen vor der Ansteckungsgefahr durch tote Tiere.

Merlin Tuttle macht hingegen eine unausgewogene und von Erwartungen getriebene Methodik für die Ergebnisse verantwortlich: »Die Konzentration auf einfach zu fangende Fledertiere scheint die Norm zu werden«, klagt er und verweist darauf, dass fast doppelt so viele Fledertiere untersucht wurden wie Tiere aller anderen Gruppen zusammengenommen.

»Wer suchet, der findet«, bestätigt auch der MPI-Ökologe Jakob Fahr. Der überproportionale Fokus auf Fledertiere liegt seiner Meinung nach in der Tollwutforschung. »Dort haben Virologen angefangen, Fledertiere zu erforschen, dort haben sie erste Beweise gefunden«, erläutert der Ökologe. »Und von da hat sich das Ganze dann wahrscheinlich verselbstständigt.«

Auch bei Coronaviren seien die Übertragungswege letztlich ungeklärt, fasst Virologe Neuman zusammen: Mit SARS könnten sich die Menschen bei einer asiatischen Schleichkatze angesteckt haben, und MERS springe nur auf Menschen über in Gegenden mit vielen Kamelen. Das Landwirtschaftsministerium von Saudi-Arabien fand MERS in 85 Prozent aller untersuchten Dromedare. Bei Rennkamelen, die nach Ende ihrer Karriere in Spanien gehalten wurden, waren es sogar 100 Prozent.

Wissenschaftler diskutieren noch – Fledertiere zahlen schon jetzt den Preis dafür

Ganz abgesehen davon, wie hilfreich die Identifizierung des Reservoirwirts für Prävention und Behandlung der Krankheit überhaupt sein kann – die in Fach- und Nachrichtenmagazinen betriebene Hatz schadet jetzt schon den Tieren. »Wenn in den Medien Zusammenhänge zwischen Fledermäusen und Krankheiten postuliert werden, kann das zu Schnellschussreaktionen führen«, warnt Fahr. Der hohle Baum in Guinea, mutmaßlicher Ausgangspunkt der Ebolaepidemie 2014, steht längst nicht mehr: Er wurde von verängstigten Dorfbewohnern postwendend abgefackelt, mitsamt der Kolonie von Angola-Bulldoggfledermäusen. »Auch die Palmenflughund-Kolonien wurden früher von Menschen in Ruhe gelassen. Jetzt werden sie zu Zielen«, sagt Fahr. Bäume werden umgesägt, Tiere beschossen, brennende Tonnen in Höhlen geworfen.

Vertreibung und Vernichtung können sogar zu gegenteiligen Effekten führen. »Wenn wir Tiere durch Angriffe und Vertreibungsaktionen stressen, schwächen wir ihr Immunsystem. Dadurch kann eine Krankheit bei ihnen erst ausbrechen und dann übertragen werden«, erklärt Fahr. Das wurde bei Fledertieren in Studien bereits mehrfach nachgewiesen.

2007 vernichteten Minenarbeiter in Uganda eine Kolonie von Nilflughunden, nachdem zuvor zwei Touristen an einer Infektion mit dem Marburgvirus verstorben waren. In der damaligen Kolonie wurde das Virus in fünf Prozent der Fledertiere nachgewiesen. 2012 kam es dann zu einem Marburgausbruch mit 15 bestätigten Fällen. Dabei entdeckte man, dass die Nilflughunde die Mine wieder besiedelt hatten. Der mit dem Marburgvirus infizierte Anteil unter ihnen war auf 13 Prozent gestiegen. Nach Einschätzung der Wissenschaftler hatte der Stress der ersten Vertreibung die Tiere anfälliger für einen Krankheitsausbruch gemacht.

Auch eine Studie von 2012 beweist, dass staatlich organisierte Vertreibungsaktionen gegen Vampirfledermäuse in mehreren Staaten Lateinamerikas nicht zu einer Reduzierung von Tollwut führten. »Fälle und Prävalenz nahmen sogar zu«, sagt Jakob Fahr. Und sein Kollege Kevin Olival, ein Experte für Infektionskrankheiten, bestätigt in einem 2016 erschienenen Artikel in »EcoHealth«: »Die Ausmerzung von Fledertieren ist ineffektiv und unmenschlich. Es ist wahrscheinlicher, dass sie einen Anstieg und nicht eine Reduzierung von Erkrankungen unter Menschen nach sich führt.«

Die Wissenschaftler sind überzeugt: Wenn die Menschheit versucht, aus Angst vor Krankheit die Fledertiere auszurotten, hätte sie am Ende selbst das Nachsehen. Insekten fressende Fledermäuse vertilgen tonnenweise Stechmücken, die Krankheiten wie Malaria, Zika oder Dengue verbreiten. Darüber hinaus leisten Fledertiere enorme Dienste für die Landwirtschaft und das ökologische Gleichgewicht des Planeten. Allein im Südwesten der USA ersparen die aus Mexiko einwandernden Bulldoggfledermäuse den Landwirten die Verwendung von Pestiziden im Wert von einer halben Million Dollar pro Jahr. Der Gesamtnutzen der Tiere für die amerikanische Mais-Landwirtschaft wird auf eine Milliarde Dollar pro Jahr beziffert. Und auch in Afrika profitieren die Menschen massiv von den Flughunden: Rund ein Drittel aller wirtschaftlich genutzten Hölzer sind auf die Verbreitung durch den Kot der Tiere angewiesen.

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