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Spezialnahrung: Die Proteinlüge

Alban Gerster hat darauf natürlich eine Antwort parat. Der 51-Jährige arbeitet im Mainzer Fitness-Studio "Muskelkater" und betreibt selbst fast jeden Tag Kraftsport. Sein Körper, sagt Gerster, verbrauche wegen des intensiven Trainings mehr Proteine als der eines Büroarbeiters. Das leuchtet ein: Krafttraining bedeutet immer Muskelanstrengung, und Muskeln können überhaupt nur mit Hilfe eines Proteinkomplexes kontrahieren. Dabei wandert ein Eiweißstrang über Kontaktstellen an einem zweiten entlang, vergleichbar der Bewegung beim Entlangziehen auf einer Turnbank.

Wer regelmäßig Krafttraining betreibt, bei dem werden die beschriebenen Eiweißkomplexe teilweise ab- und wieder aufgebaut. Zusätzlich erhöhen die Muskelzellen und die Zellen des darum liegenden Bindegewebes ihre Aktivität. "Der Körper stellt sich immer auf den Mittelwert der Anforderung ein, die ich an ihn stelle", erklärt Professor Völker vom Institut für Sportmedizin an der Uni Münster. Langfristig setze bei Kraftsportlern das Dickenwachstum der Muskeln ein. Während dabei nur sehr wenige Muskelzellen neu entstehen, wachsen die bereits vorhandenen Zellen deutlich. Um die Zellstruktur trotz des zusätzlichen Volumens aufrecht zu erhalten, brauchen sie Proteine.

Risse in den Muskeln?

"Während des Krafttrainings entstehen im Muskelgewebe kleine Risse", erklärt dagegen Mark Zimmermann, Trainingsleiter und Ernährungsberater bei der Fitness Company Darmstadt, bei dem ich die Eiweiß-Pampe probieren darf. "Für die Reparatur dieser Risse benötigt der Körper Proteine. Beim Kraftsportler öffnet sich nach dem Training also ein Eiweißfenster." Innerhalb von zwei Stunden müsse dann der Proteinbedarf gedeckt werden. Sein Kollege Gerster sieht das anders: Er trinkt seinen Proteindrink lieber bereits vor dem Training. Zusätzlich abends vor dem Schlafengehen noch eines mit Casein, damit "die Muskeln sich über Nacht nicht abbauen".

Ein grausiges Bild, das sich da bietet. Risse in den Muskeln, nächtlicher Schwund und dann auch noch Unklarheit über den passenden Moment für die Rettung. Vorher, nachher, dazwischen – wann ist denn nun der ideale Zeitpunkt für die Proteinzufuhr? "Den gibt es gar nicht", sagt Professor Klaus Baum, Geschäftsführer eines Trainingsinstituts in Köln und Sportphysiologe der Deutschen Sporthochschule Köln. Der Tagesbedarf eines normalen Menschen liege bei etwa einem Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht. "Selbst ein extrem trainierender Bodybuilder braucht maximal ein halbes Gramm mehr", meint Baum. Der Proteinbedarf eines Leistungssportlers liege damit nur leicht über dem Durchschnitt. Das spiele aber keine Rolle, weil der normale, Mischkost zu sich nehmende Mitteleuropäer mitnichten unter Proteinmangel leide. Anders gesagt: Was wir über den Tag verteilt essen, reicht allemal, um den Eiweißbedarf zu decken, auch den eines Kraftsportlers.

Umbau auf molekularer Ebene

Entwarnung in der Proteinfrage also. Was passiert aber mit den Muskelrissen? "Das erzählt man den Leuten, weil sie sich das leichter vorstellen können", meint Baum, der auch die deutsche Handball-Nationalmannschaft betreut. "Im Muskelgewebe entstehen aber keine großstrukturellen Verletzungen, sondern es wird auf molekularer Ebene ab-, um- und wieder aufgebaut." Da der Körper Teilstücke der abgebauten Proteine, die Aminosäuren, wieder zu neuen Eiweißen zusammensetzen kann, ist der Tagesbedarf eines Kraftsportlers nur unwesentlich erhöht – etwa um besagtes halbes Gramm.

Kraft durch Eiweiß? | Leider nein – die zusätzlichen Proteine kann der Körper nämlich gar nicht umsetzen.
Woher stammen dann aber die Zahlen von bis zu vier Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht, die sich in vielen Werbebroschüren finden? "Das weiß keiner", sagt Völker. "Diese Zahlen sind willkürlich und entbehren einer soliden wissenschaftlichen Grundlage", bekräftigt sein Kölner Kollege Baum. Trotzdem halten sich viele lieber an diese Angaben als an die der Deutschen Gesellschaft für Ernährung – mit unkalkulierbaren Folgen.

Erhöhte Harnstoffausscheidung

"Mehr als die angegebene Maximalmenge an Protein kann der Körper nicht in Muskeleiweiß umsetzen", erklärt Dr. Arno Hipp von der Abteilung Sportmedizin an der Uni Tübingen. "Die tägliche Höchstgrenze liegt bei 2,2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht." Die restlichen Proteine werden nur in ihre Bestandteile aufgespaltet, also in Aminosäuren – die man übrigens inzwischen auch schon in Riegel- und Drinkform zu sich nehmen kann und die Alban Gerster liebevoll als "Aminos" bezeichnet. Beim Abbau dieser überzähligen Proteinbruchstücke fällt Stickstoff an, der in Harnstoffmoleküle eingebaut wird. Der Name verrät bereits, wie es weitergeht: "Wer jeden Tag zuviel Protein zu sich nimmt, dessen Nieren sind durch die erhöhte Harnstoffausscheidung erheblich belastet", erklärt Hipp. "Langfristig entsteht dadurch ein erhöhtes Risiko für Nierenschäden."

Bleibt die Frage, wieso die Proteinprodukte überhaupt verkauft werden dürfen. "Sportlernahrung wird grundsätzlich so behandelt wie alle anderen Lebensmittel", sagt Jochen Heimberg, Pressesprecher des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. "Da erfolgt keine Prüfung durch eine staatliche Behörde." Wer solche Produkte auf den Markt bringe, müsse selber dafür sorgen, dass sie dem gesetzlichen Rahmen entsprechen. "Das Lebens- und Futtermittelgesetzbuch gilt dann eben auch für Sportriegel."

Der Begriff "Futter" ist dabei noch nicht einmal aus der Luft gegriffen, wenn man betrachtet, woraus laut dem Sportphysiologen Baum so mancher Proteindrink hergestellt wird: aus Fleischabfall.

Josephina Maier

Dieser Beitrag ist Teil eines Projektes der Studenten des 3. und 5. Semester Wissenschaftsjournalismus der Hochschule Darmstadt zum Thema "Ernährung":
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